„Manche wollen Astronaut werden, ich wollte eine Gucci-Cap“
Geh ins Gymmie, werde skinny: Fünf Jugendliche über Beautytrends auf Social Media und ob ihnen Schönheit zu wichtig ist
Habt ihr euch heute schön gemacht?
Fadi: Ich trage Gucci-Käppi und Nike-Trainingsanzug. Das hat nichts mit Trends zu tun. Das ist unser Style hier.
Yusuf: Seit wir Kinder sind, ist das der Traum, so auszusehen.
Fadi: Ich habe neun Gucci-Caps. Sind aber nicht alle echt.
Yusuf: Manche wollen Astronaut werden, ich wollte eine Gucci-Cap. Mittlerweile ist mein inneres Kind aber glücklich, ich habe die Kurve gekriegt und ziehe mich öfter elegant an.
Was trägst du dann?
Yusuf: Die Marke ist egal. Hauptsache, ein Look, den alle tragen, damit ich nicht in die Neukölln-Schublade gesteckt werde. Ich will als Yusuf gesehen werden, nicht als jemand im Nike-Trainingsanzug.
Lena und Marlene, habt ihr auch einen eigenen Style?
Lena: Mein Pulli ist von einer Rap-Crew, den habe ich einem Kumpel geklaut. Auf meinem Top steht „smash fascism“, das habe ich selber gemacht.
Marlene: Ich gucke bei TikTok nach Inspiration und kaufe die Sachen gebraucht online oder auf Flohmärkten nach. Langsam bekomme ich ein Gespür, worin ich mich wirklich wohlfühle.
Lena: Wir sagen immer: Die besten Klamotten kommen zu dir. In Zu-verschenken-Kisten zum Beispiel oder auf dem Flohmarkt.
Gibt es gerade TikTok-Trends, die euch richtig nerven?
Lena: OMG, diese Kuscheltiere. Ich habe nicht mal TikTok. Die Labubus haben es trotzdem bis zu mir geschafft.
Yusuf: Mein Bruder ist zehn, der macht alle Trends mit. Gerade sehe ich viele kleine Kinder, die übermäßig breite Hosen tragen und ganz kurze T-Shirts, die eng angelegt sind, mit einem auffälligen Gürtel. Die werden zu früh erwachsen.
Fadi: Mein Cousin ist acht und weigert sich, auf den Spielplatz zu gehen, weil er bei TikTok gesehen hat, dass das für kleine Kinder ist.
In Australien wird Jugendlichen unter 16 der Zugang zu Social Media demnächst verboten. Richtig so?
(Alle nicken.)
Lena: Es ist ja für uns schon schwer. Weil alles so kurz ist, merkst du gar nicht, wie dich die Plattformen reinziehen, wie viel Zeit du da verschwendest.
Yusuf: Ich kriege immer öfter das Gefühl, wir sind die letzte Generation mit einer guten Kindheit.
Eda, welche Trends nimmst du wahr?
Eda: What I eat in a day. Da zeigen Leute, was sie am Tag essen. Oder zumindest das, was sie vorgeben zu essen. Zum Frühstück Gurke mit Salz, mittags einen Bananenshake, zum Abendbrot Reiswaffeln. Halten viele für normal.
Marlene: Die Körper da sind völlig unrealistisch. Weiß man auch. Aber viele meiner Freunde haben trotzdem Issues mit ihrem Gewicht und ihrem Essverhalten.
Lena: Ich bin viel im Gym und mache Kampfsport, MMA. Sieht Instagram natürlich: Ich kriege viele Work-outs und Rezepte angezeigt. Aus der gesunden Sportecke rutschst du aber superschnell raus. Auf einmal werden dir deine Spaghetti Carbonara nicht mehr als Rezept, sondern als 500 Kalorien angezeigt. Hast du dir das einmal angeschaut, ist dein Feed kaputt. Deshalb habe ich einen zweiten Account, in dem der Algorithmus auf lustige Memes trainiert ist.
Gleichzeitig ist das Pumpen zurück. Jugendliche schaufeln sich morgens sechs Eier rein, fachsimpeln über Proteinshakes, gehen jeden Tag ins Gym. Findet ihr das schön?
Yusuf: Kann schon gut aussehen.
Fadi: Viele Freunde und meine Cousins trainieren. Die nehmen das todernst, wenn ein Kampfsportler bei TikTok eine Übung oder ein Nahrungsergänzungsmittel promotet. Cool, dass es da Leute gibt, die dich motivieren, was für deinen Körper zu tun, dein Bestes zu geben. Aber dieses „Iss das, trink das, nimm dies“? Das geht mir zu weit.
Yusuf: Ich brauche auch kein Training, um mich gut zu fühlen. Ich habe aber Freunde, die sind eher unsicher oder introvertiert, für die ist das Gym ein wichtiger Ort. Da können sie allein ihr Training durchziehen.
Marlene: Ich find’s gruselig. Die Jungs wollen Sixpacks, die Mädchen lange Haare und dicke Lippen. Irgendwann sehen alle gleich aus. Und dann?
Könnt ihr genauer beschreiben, wie die Schönheitsideale in eurer Generation aussehen?
Yusuf: Bei Jungs ist die Jawline wichtig, ein ausgeprägter Kiefer, und die Hairline muss gerade sitzen. Das Gesicht soll eckig sein, markant, auf keinen Fall rund.
Fadi: Die wollen mit acht, neun Jahren einen Bart. Die kaufen dafür richtig ein. Wie heißt diese Creme noch?
Yusuf: Regaine.
Fadi: Regaine! Die ist eigentlich gegen Haarausfall, aber die schmieren sich das ins Gesicht, benutzen Bartroller und Rosmarinöl. Wo ich denk: Ey, das ist schädlich für die Haut. Warte doch, dein Bart kommt von allein.
Lena: Eine Freundin will unbedingt Brüste. Sie ist elf. In dem Alter haben wir Mamas Schminke geklaut und uns zum Clown gemacht. Heute gehen sie nach der Schule zu Sephora. Die machen richtig Marketing für Kinder, das ist wie Spielzeug. Mit elf brauchst du aber keine Skincare-Routinen mit irgendwelchen Säuren und Seren. Deine Haut ist am Chillen, du musst da gar nichts drauftun außer einmal die Woche ein bisschen Creme.
Ist denn Skincare jetzt der Trend? Früher wurde viel über Make-up gepostet, heute ist alles voller Pflegeprodukte.
Eda: Ich glaube, der Skincare-Kram ist mit TikTok gewachsen.
Lena: Ein Riesengeschäft. Die Drogerien bringen Dupes ohne Ende, damit sie Produkte, die viral gehen, billiger im Sortiment haben. Dabei ist das oft einfach ein neues Wort für dieselbe Creme.
Eda: In der Pandemie hat bei TikTok K-Beauty angefangen, so teure Kosmetik aus Südkorea. Ich hatte damals Struggles mit meiner Haut und dachte, mit den Produkten wird die so rein wie in den Videos. Aber da wird halt extrem mit Filtern gearbeitet.
Benutzt ihr Filter?
Eda: Nur lustige. Oder Farbfilter. Zum Beispiel 2017-Throwback ...
Lena: ... Rio de Janeiro!
Eda: Den auch. Die verändern aber nicht dein Aussehen, sondern den Look des Fotos.
Sollten Fotos, die mit Filtern bearbeitet wurden, gekennzeichnet werden?
Marlene: Fänd ich wichtig. Gerade Jüngere raffen sonst zu spät, wie viel da Fake ist.
Lena: Filter wirken wie ein Spaß. Aber in meiner Hochphase auf Snapchat habe ich mich ohne gar nicht mehr wohlgefühlt. Wenn ich mich auschecken wollte, hab ich im Selfiemodus geschaut, weil im Spiegel der Filter fehlte.
Gibt es etwas, das ihr gern an euch verändern würdet?
Yusuf: Nein. Man soll dazu stehen, wer man ist. Wenn ich eine schiefe Nase habe, finde ich die toll, auch wenn sie nicht dem Ideal entspricht. Aber zum Glück ist meine Nase nicht schief.
Hyaluron- und Botoxbehandlungen sind beliebt wie nie, auch bei sehr jungen Menschen. Sogenannte Facedesigner empfehlen in den USA, schon zwischen 20 und 30 mit „präventivem“ Botox anzufangen.
Lena: Präventiv?
Yusuf: Sorry, aber das ist verrückt.
Fadi: Ich kenne zwei Mädchen, die mit 16 ihre Lippen haben machen lassen. Ich hab die anfangs gar nicht wiedererkannt.
Marlene: In meinem Umfeld hat noch niemand überlegt. Glaube ich.
Eda: Als damals der Pointy-Nose-Trend rumging, hat mich das richtig gehittet. Ich habe auch angefangen, mir einen dunklen Strich vor die Nasenspitze zu schminken, damit es so aussieht, als würde sie leicht nach oben zeigen und einen Schatten werfen. Wie eine richtige Stupsnase halt. Bis ich irgendwann realisiert habe: Okay, ich habe keine Pointy Nose, aber die würde auch gar nicht zu meiner Gesichtsform passen.
Ihr scheint ziemlich reflektiert, was euren Social-Media-Konsum angeht. War das immer so?
Lena: Niemand kann das hundertprozentig von sich fernhalten. Die Accounts können noch so random sein, irgendwie kriegen die dich. Bei Social Media wird so viel von Selbstermächtigung geredet. Aber es ist schwer zu trennen, wann ich mich schön machen will und wo das zu einer Art Zwang wird. Das sieht man doch schon an diesen Clean Girl Aesthetics. Soll aussehen, als ob du ungeschminkt bist. Aber du schminkst dich.
Eda: 2022 habe ich mich bei TikTok angemeldet. Und kam gar nicht mehr runter. Ich kam zu spät zur Schule, bin zu spät schlafen gegangen, habe vergessen zu essen. Da habe ich mich selber gelimitet und die App nur an Nachmittagen runtergeladen, an denen ich nichts zu tun hatte. Da bin ich stolz drauf.
Marlene: Wenn es dir nicht gut geht, ist es noch wichtiger, wie du aussiehst. Ich habe das Gefühl, der ganze Körperstress kommt weniger an mich ran, seit ich ein sicheres Umfeld habe und gute Freunde.
Lena: Ja, dass Social Media nicht die Realität zeigt, merkt man vor allem in der Schule, wo wir uns jeden Tag sehen.
Würdet ihr Fotos von euch hochladen, auf denen ihr nicht geschminkt seid?
Lena: Macht mir nichts aus.
Marlene: Mir auch nicht. Man kennt mich ja auch in Real Life so. Gerade trage ich nur Mascara. Ich bin einfach zu faul, mich da morgens hinzustellen.
Kriegt man Kommentare, wenn man ungeschminkt zur Schule geht?
Eda: Häufig. Vor allem von Jungs. „Boah, siehst du müde aus.“
Lena: „Wirst du krank?“
Marlene: Die checken nicht, dass ungeschminkt der Normalzustand ist.
Wann fühlt ihr euch schön?
Lena: Das hängt davon ab, wie gut ich geschlafen habe.
Yusuf: Wenn ich meinen pinken Trainingsanzug trage. Da kriege ich Blicke, und das gefällt mir.
Marlene: Wenn wir am Wochenende was machen, schminke ich mich gern. Das ist wie eine mentale Vorbereitung. Und macht dann auch Spaß: Du kannst dir überlegen, wer du an dem Tag sein willst.
Eda: Bei mir hängt das leider krass von der Tagesform ab. Manchmal denke ich morgens: Was passiert hier? Und am nächsten Tag: Wow, so clean, ohne Make-up, so gehe ich in die Schule.
Lena: Vermutlich siehst du an beiden Tagen gleich aus.
Eda: Haare sind auch ein Faktor. Meine machen, was sie wollen. Wenn die krass aussehen, gehe ich mit einem anderen Vibe zur Schule.
Fadi: Bei mir auch so. Ich fühle mich nach dem Friseur am schönsten.
Wie oft gehst du?
Fadi: Alle zehn bis vierzehn Tage.
Yusuf: Ich jeden Samstag. Und danach ins Soli.
Lena: Ehrlich, du gehst ins Solarium?
Yusuf: Ja klar. Tut gut. Sieht gesund aus. Meine Cousinen reagieren auch immer so. Was, Yusuf, warum gehst du jetzt schon wieder ins Soli? Und dann sage ich: Hey, kommt, Schminken ist eure Sache, Frisur und Soli ist meine. Samstag ist Care-Day, mein Wellness, mein Spa.
Probiert ihr mit neuen Frisuren rum?
Fadi: Nein. Immer dieselbe. Ich komme, setze mich, mein Friseur legt los.
Yusuf: Schon. Ich sehe mich ja jeden Tag, da brauche ich manchmal Abwechslung. Samstag geht’s wieder los.
Lena: Was willst du machen?
Yusuf: Ich hab die Seiten wachsen lassen. Die sollen runter. Das sieht fresh aus und ist bequemer im Sommer.
Hast du das Gefühl, dass dich TikTok beeinflusst, was Frisuren angeht?
Yusuf: Inspiration hole ich mir da definitiv. Viele schneiden sich die Haare selber und machen Anleitungen dafür. Nichts für mich, ich hatte echt viele Cuts im Gesicht. In der Hinsicht finde ich TikTok schon eine gute Sache. Wenn man sich nicht mitreißen lässt. So was wie den Edgar Cut mache ich nicht. Da hätte ich von meinem Vater auch einen Latschen bekommen.
Was ist das eigentlich, Schönheit? Wann fühlt ihr euch zu anderen hingezogen?
Lena: Krasse Frage.
Yusuf: Ich gucke nicht nach Körpergröße oder so. Frauen, die ich gut finde, kennen ihren Wert, sind nicht auf die Aufmerksamkeit von anderen angewiesen.
Eda: Wenn ich von jemandem einen unsympathischen Vibe kriege, finde ich die Person automatisch unattraktiver. Eigentlich voll die gute Abwehr, die sich da im Gehirn abspielt.
Fadi: Aussehen zieht an, Charakter hält fest. Sagt man so. Stimmt auch.
Lena: Eigentlich merkt man Schönheit mehr, als man sie sieht. Wenn sich jemand wohlfühlt, selbstbewusst ist. Das gilt für Typen wie für Mädchen. Ich finde, Schönheit ist das Individuellste, was es so gibt.
Marlene: Das habt ihr schön gesagt.
Fadi (18) ist auf TikTok, Bildschirmzeit: rund 6 Stunden täglich
Yusuf (18) mag Reddit, weil es sachlicher zugehe als auf TikTok
Lena (17) nutzt Insta, aber auf dem Tablet, damit die App weniger Spaß macht
Marlene (16) hat sich für Insta und TikTok Zeitlimits eingestellt – die sie meist ignoriert
Eda (16) holt sich TikTok nur an freien Nachmittagen aufs Handy
Alle gehen aufs Albrecht-Dürer-Gymnasium in Berlin-Neukölln.
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