Hell yeah
Mit heller Haut hast du größere Chancen, es zu etwas zu bringen, – glauben viele in Jamaika und bleichen sich mit speziellen Cremes, Chlor und Zahnpasta
Jamaika ist ein Land der Schönheitswettbewerbe. In Gemeinden, Bezirken und auf Landesebene werden Jahr für Jahr die Hübschesten gekürt: Frauen und Männer in allen möglichen Altersklassen. Monyque Blake ist 2024 „Miss Teen Queen Jamaica“ geworden. Aber nicht der Titel hat sie landesweit bekannt gemacht, sondern die Kampagne #saynotoskinbleaching, die sie mit einer befreundeten Schönheitskönigin startete. Denn das Aufhellen der Haut ist in der Schwarzen* Bevölkerung Jamaikas verbreitet.
Die Gründe dafür liegen in der Geschichte. Mehr als 400 Jahre war Jamaika eine Kolonie. Die Kolonialisten beuteten die Menschen auf der Karibikinsel brutal aus. Die Taíno, die vor der Ankunft der Europäer auf Jamaika lebten, wurden von den spanischen Besatzern fast vollständig ausgelöscht. 1655 eroberten die Briten die Insel. Schwarze Sklaven aus Afrika schufteten auf den Plantagen, auf denen Zuckerrohr und Kaffee für die Besatzer angebaut wurden. Sie revoltierten immer wieder. Aber erst 1962 zogen die Briten ab.
An der Spitze der jamaikanischen Gesellschaft stehen heute noch einige hellhäutige Geschäftsmänner, Politiker oder Musiker, dabei sind mehr als 90 Prozent der Bevölkerung Schwarz. Zwar ist in Jamaika inzwischen eine Schwarze Mittelklasse entstanden, aber Schwarze Jamaikanerinnen und Jamaikaner sind immer noch übermäßig häufig von Armut betroffen. Bis heute ist die Hautfarbe ein Merkmal für sozialen Status.
Der Clash der Schönheitsideale
Viele treibt die Vorstellung, dass hellere Haut schöner sei. „Es gibt eine Art magersüchtiges, eurozentrisches Schönheitsideal“, sagt die jamaikanische Kulturwissenschaftlerin Carolyn Cooper. Das konkurriere mit afrikanischen Schönheitsidealen: In Teilen der jamaikanischen Gesellschaft stehen füllige Silhouetten und große Hintern für Gesundheit, Wohlstand und Fruchtbarkeit. In den 1990er-Jahren ging das so weit, dass Frauen „Chicken Pills“ schluckten. Die waren zum Mästen von Hühnern gedacht und enthielten giftiges Arsen, das den Appetit anregt. Die Medikamente riefen Durchfall, Entzündungen und sogar Krebs hervor und dürfen heute nicht mehr verkauft werden, weder für Tiere noch für Menschen.
Mit den Bleaching-Produkten ist man noch nicht so weit. Dermatologen fürchten, ein Verbot könnte ihren Verkauf auf dem Schwarzmarkt befördern – so wie in einigen afrikanischen Ländern. Sie befürworten stattdessen eine stärkere Regulierung, zum Beispiel mit einer Verschreibungspflicht, unter der nur noch Apotheken die Mittel verkaufen dürfen. Derzeit sind Bleaching-Seifen und -Cremes in den Drogerien, Supermärkten und an den Straßenständen des Landes allgegenwärtig, in der Werbung sowieso.
Die Mittel kommen harmlos daher, dabei enthalten viele gesundheitsschädliche Mengen Quecksilber. Sie hemmen die Bildung von Melanin im Körper, einem Pigment, das die Haut dunkel macht. Die Haut wird dadurch dünner und anfällig für Ausschläge und Hauterkrankungen. Wer sich die teuren Mittel nicht leisten kann, mischt selbst Cremes an, zum Beispiel aus Zahnpasta, Chlor oder WC-Reiniger. Bei längerfristigem Bleaching verfärbt sich die Haut oft rötlich, ein Anzeichen für Hautschäden.
* Wir schreiben „Schwarz“ groß, um zu verdeutlichen, dass damit keine Hautfarbe beschrieben wird, sondern eine politische Selbstbezeichnung.
Monyque Blake (links) und eine der vielen Reggaepartys, auf denen auch die afrikanischen Wurzeln einer Mehrheit der jamaikanischen Bevölkerung gefeiert werden
Foto: Debbie Bragg/Alamy Stock Photos/mauritius images
Das Gesundheitsministerium startete 2007 die Kampagne „Don’t Kill the Skin“, die über Bleaching-Produkte aufklären sollte und für strengere Kontrolle warb. In einer Umfrage aus dem Jahr 2017 gaben mehr als zehn Prozent der Jamaikanerinnen und Jamaikaner an, schon mal gebleacht zu haben. Aktuelle Zahlen gibt es nicht, Jamaika zählt aber bis heute zu den Ländern mit einem ausgeprägten Internetsuchinteresse für das Thema Hautbleaching.
„Wir besuchen Schulen und drehen Videos für Social Media, um über die Gefahren der Hautaufhellung zu informieren“, sagt Schönheitskönigin Monyque Blake. Sie will, dass gerade junge Menschen stolz auf das afrikanische Erbe ihres Landes sind. Die Verbindung zu Afrika wird auch in etlichen Reggaesongs besungen. Viele bekannte Musiker wie Bob Marley waren Teil der Panafrikanischen Bewegung und des Black Consciousness Movement, die die afrikanische Abstammung der Schwarzen Bevölkerung als wichtiges kulturelles Erbe betonten. Heute hören viele junge Menschen auf Jamaika statt Reggae lieber Dancehall. Eine Musikrichtung, die Reggae mit Hip-Hop-Elementen vereint. Einige der prominentesten Dancehall-Acts feiern in ihren Songs das Aufhellen der Haut.
„Street vybz a get mi hyper,
Bleaching cream ah get mi brighter ...
Mi high like cloud wid mi face white out“
„Die Straße macht mich hyper,
Bleichcreme macht mich weißer ...
Ich bin high wie eine Wolke, mein Gesicht ist weiß“
Eine ältere Zeile von Dancehall-Star Vybz Kartel. Viele Jahre hat er das Hautaufhellen gepriesen und sogar eine Kosmetiklinie auf den Markt gebracht. Seit einer abgesessenen Haftstrafe gibt sich Kartel geläutert, was das Bleachen anbelangt. „Aber er hat viele junge Jamaikanerinnen und Jamaikaner beeinflusst“, sagt Monyque Blake. Es werde immer zu wenig über das Thema gesprochen.
Mittlerweile folgt Jamaika stärker westlichen Trends. Das Nonplusultra ist für viele Frauen ein Körper wie eine Coca-Cola-Flasche: schmale Taille, ausladender Busen und Hintern. Im Jamaikanischen heißt das „thin-thick“, dünn-dick. Blake hofft, dass sich Frauen von solchen Männerfantasien emanzipieren. „Die Jamaikanerinnen müssen ihre Körper so akzeptieren, wie sie sind.“
Was leicht gesagt ist. Denn Jamaika leidet auch unter einem anderen Problem: Rund die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung ist übergewichtig oder sogar fettleibig. Westliche Lebensmittelkonzerne haben das Land mit Fast Food und ungesunden Lebensmitteln geflutet. Die kosten oft weniger als frische Nahrungsmittel und lassen sich schnell zubereiten. Deshalb wird darüber diskutiert, hochverarbeitete Lebensmittel höher zu besteuern.
Monyque Blake hat eine große Mission. Sie träumt von einer eigenen Agentur und einer Karriere im Modelbusiness. Gleichzeitig will sie, dass die Jamaikanerinnen und Jamaikaner sich selbst lieben. „Black is beautiful“, sagt Blake. „Und Teil der jamaikanischen Kultur.“
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Titelbild: Marlon James