Operation Seele
Wie der deutsche Chirurg Jacques Joseph die moderne Schönheitschirurgie erfunden hat, ist eine irre Geschichte mit traurigem Ende
Im Jahr 1916 sucht ein junger Leutnant den Chirurgen Dr. Jacques Joseph in Berlin auf. Er heißt Karl Hasbach und hat keine Nase mehr.
Der Erste Weltkrieg konfrontiert die Gesellschaft mit Gesichtern, wie es sie bis dahin nicht gegeben hat. Durch den jahrelangen Stellungskrieg und die gleichzeitig bessere medizinische Versorgung kehren Hunderttausende Soldaten nach Deutschland zurück: als Überlebende, aber schwer entstellt. Karl Hasbach hat ein Granatsplitter die Nase und den Oberkiefer zertrümmert. In 19 Operationen heilen die Ärzte seine Wunden. Aber sie sind nicht in der Lage, seine Nase zu rekonstruieren. Das ist die Stunde von Jacques Joseph.
In mehreren Eingriffen formt er Hasbach aus Haut aus seiner Stirn, Ohrknorpel und Knochenstücken aus dem Schienbein eine neue Nase (siehe Fotos oben). Hasbach hatte kurz vor seiner Einberufung sein Staatsexamen abgelegt und promoviert. Später schreibt Hasbach, Joseph habe „es ermöglicht, dass ich meinen Beruf als Mathematik- und Physiklehrer voll und mit viel Freude viele Jahre ausüben konnte“.
1865 kommt Jakob Lewin Joseph als Sohn eines Rabbiners im ostpreußischen Königsberg zur Welt. Er studiert Medizin in Berlin und legt seinen jüdischen Vornamen ab. Joseph tritt eine Stelle als Assistent an der renommierten Berliner Chirurgisch-Orthopädischen Universitätsklinik bei Professor Julius Wolff an, einem Pionier der orthopädischen Chirurgie. Er heiratet eine junge Frau aus der Oberschicht, alles deutet auf eine große Karriere hin. Bis Joseph selbst alles aufs Spiel setzt.
Den Anfang machten Segelohren
Schon während seiner Facharztausbildung interessiert er sich für plastische Gesichtschirurgie, die sich dank neuer und sicherer Operationstechniken rasant entwickelt. 1896 steht eine Mutter mit ihrem zehnjährigen Sohn in Josephs Sprechzimmer: Das Kind werde wegen seiner großen, abstehenden Ohren gehänselt und wolle nicht mehr in die Schule gehen. Joseph lehnt die Behandlung ab: Körperlich ist das Kind gesund, unter den Ohren leidet nur die Psyche. Und Operationen aus rein kosmetischen Gründen gelten als „unärztlich“.
Ein paar Tage später besinnt sich Joseph – und will helfen. Ohne Professor Wolff zu informieren, verkleinert er dem Jungen die Ohren und legt sie an. Er hat diesen Eingriff nie zuvor durchgeführt. Aber er gelingt. Seine Kollegen feiern Joseph, Wolff schmeißt ihn raus. Seine Hochschulkarriere ist dahin.
Für eine neue Nase nahm Joseph auch mal Haut vom Arm. Damit die anwachsen konnte, liefen Patienten mit so einem Gips herum
Joseph eröffnet eine eigene Praxis. Seine erste Rhinoplastik, wie die Nasenkorrektur in der Fachsprache heißt, führt er 1898 an einem jungen Mann durch. Er hat von Josephs Ohrenkorrektur gehört und hofft, der Chirurg könne seine Nase verkleinern, die „ein beträchtliches Ärgernis darstellte“, wie Joseph notiert. „Wo immer er hinkam, wurde er von allen angestarrt; oft war er Ziel von Bemerkungen und spöttischen Gesten, wodurch er melancholisch wurde.“ Joseph übt den Eingriff zuerst an einem Leichnam. Die Nasenkorrektur am nächsten Tag glückt.
All diese Operationen – ob an den Ohren des Schülers, Josephs erste Rhinoplastik oder die an Hasbachs Gesicht – ebneten einer Disziplin den Weg, die man heute Schönheitschirurgie nennt. Joseph geht es dabei nicht darum, einen kranken Körper zu behandeln. Sondern darum, einen Körper zu verändern, der gesellschaftlich nicht akzeptiert ist und deswegen als Belastung wahrgenommen wird. Das „Hauptziel der plastischen Gesichtsoperation“, schreibt er in einem Lehrbuch, sei es gewesen, die „psychische Depression des Patienten zu heilen“.
Sie nannten ihn den „Nasenjoseph“
In den folgenden Jahren operiert Joseph so viel, dass man ihn in Berlin den „Nasenjoseph“ nennt. Er modelliert Knochen aus Elfenbein, erfindet Operationstechniken, die keine Narben hinterlassen, und Instrumente, die bis heute verwendet werden. Außerdem definiert er den angeblich idealen Profilwinkel für Nasen: 30 Grad. Diesen durchschnittlichen Winkel ergab Josephs Analyse von mehr als hundert bekannten Kunstwerken. Nasen, die um mehr als acht Grad abwichen, bezeichnete er als „abnorm“. Die Vorlage sollte seine Nasenkorrekturen vereinfachen.
1919 erhält Joseph das Eiserne Kreuz und den Professorentitel – obwohl er Jude ist und der Antisemitismus in Teilen der Bevölkerung bereits lauter wird. Später werden die Nationalsozialisten versessen versuchen, die angebliche Andersartigkeit aller Jüdinnen und Juden zu beweisen. Sie werden als unattraktiv, klein und abnorm markiert und gedemütigt. Rassenideologen vergleichen Hautfarben, Haarstrukturen und Nasenkrümmungen, um pseudowissenschaftliche Belege für den Ausschluss jüdischer Menschen aus der „arischen Rasse“ zu sammeln. Das treibt viele in Josephs Praxis: Sie lassen ihn ihre „jüdisch aussehenden“ Nasen „eindeutschen“.
Joseph will helfen, schreibt dabei aber auch Vorstellungen der Nazis in der Medizin fest: Als Vorlage für seine Arbeit dient der Körper, der in dieser rassistischen Gesellschaft als richtig gilt.
Was nicht verhindert, dass seine Karriere nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten endet. Mehrfach wird Joseph inhaftiert, 1933 verliert er wie alle jüdischen Ärzte seine Kassenzulassung. Den Holocaust erlebt er nicht mehr: Im Februar 1934 stirbt Jacques Joseph in seiner Berliner Villa an einem Herzinfarkt.
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Fotos: Joseph J, Nasenplastik und sonstige Gesichtsplastik, nebst einem Anhang über Mammaplastik. Verlag von C. Kabitzsch, Leipzig, 1931. Reprint Dr. Reinhard Kaden Verlag GmbH & Co KG