Vollgekritzeltes Portrait von Gnu aka Jasmin Sibel

Wie wichtig ist Schönheit?

Gamerin Gnu hat etliche Schönheits-OPs machen lassen. Heute bereut sie alle

Interview: Rabea Weihser
Thema: Körper
22. September 2025

Jasmin Sibel, als „Gnu“ gelten Sie als erfolgreichste deutsche Gamerin auf Youtube. In vielen Videos erzählen Sie von Ihren Schönheitseingriffen. Was haben Sie machen lassen? 

Jasmin Sibel: Der erste Eingriff ist mehr als 15 Jahre her. Damals waren volle Lippen in, so wie die von Angelina Jolie. Social Media waren noch nicht so ein Problem. Aber ich habe nebenbei gemodelt und war von perfekt gemachten Frauen umgeben: superschlank, große Brüste, volle Lippen. Ich habe mir also die Lippen machen lassen, dann was in die Wangen spritzen lassen, dann in die Nasolabialfalten. Es wurde immer mehr.

Haben Sie die Kontrolle verloren?

Ja. Durch eine körperdysmorphe Störung konnte ich gar nicht mehr richtig wahrnehmen, wie ich aussehe. Ich hatte asymmetrische Brüste. Die habe ich mit Lipofilling machen lassen: Da wird Fett aus Beinen und Gesäß entnommen und in die Brust gespritzt. Jetzt habe ich zwar symmetrische Brüste, aber eine Riesendelle im Hintern. Irgendwann habe ich gemerkt, dass mein Mund schief und meine Mimik anders war: Die Hyaluronsäurefiller hatten sich unter der Haut verschoben.

Fillermigration. Das erleben viele – und lösen die Unterspritzungen wieder auf. 

Ich auch. Dabei habe ich gemerkt, wie schön meine natürlichen Lippen waren. Das war eine reine Trend-OP. Davon sollte man unbedingt die Finger lassen.

„Ich würde Influencer viel stärker in die Verantwortung nehmen. Filter und KI-generierte Bilder müssen gekennzeichnet werden“

Was hat Sie zu den Eingriffen gebracht? 

Der Einstieg in die Modelbranche. In der sagt dir ständig jemand, was an deinem Aussehen alles nicht passt. In meinem Umfeld hatte ich auch viele toxische Leute. Männer haben mich verspottet, wenn ich zugenommen hatte, Frauen haben sich über meine Zahnstellung oder mein Bindegewebe lustig gemacht. Ich habe 16-jährige Mädels im Freibad tuscheln gehört: „Gott, hat die ’nen schrecklichen Arsch!“

Erhöhen soziale Medien den Schönheitsdruck? 

Klar, die ganzen Filter! Das Publikum will aussehen wie die Leute, denen es folgt. Ich würde Influencer viel stärker in die Verantwortung nehmen. Filter und KI-generierte Bilder müssen gekennzeichnet werden. Die verzerren unsere Wahrnehmung. Und wer ästhetische Eingriffe bewirbt, sollte verpflichtet sein, auch die Risiken zu benennen. 

Braucht es dafür Regeln? 

Unbedingt. Und Eingriffe wie Fillerunterspritzungen sollten nur in fachärztlichen Praxen durchgeführt werden dürfen. Viele wollen damit aber die schnelle Kohle machen. Das wird immer öfter von unqualifiziertem Personal gemacht. Da kann so viel schiefgehen. 

Hat sich die Bedeutung von Attraktivität seit Ihrer ersten Operation verändert?

Es ist schlimmer geworden. Ich bin 36, und die Leute reagieren krass auf mein Alter. So schwachsinnige Kommentare wie „Ab 30 ist es vorbei mit der Fruchtbarkeit“. Unter diesem Schönheitswahn leiden ja auch Jungs. 14-Jährige, die jeden Tag trainieren. Die steroidähnliche Substanzen in viel zu hohen Dosen nehmen. Früher haben die Fußball gespielt, jetzt pumpen die sich kaputt. 

„Unter dem Schönheitswahn leiden ja auch Jungs. 14-Jährige, die jeden Tag trainieren. Früher haben die Fußball gespielt, jetzt pumpen die sich kaputt“

Spielt Mobbing dabei auch eine Rolle? 

Eine große. Mein Partner hatte als Junge Segelohren. Er war dankbar, dass er sie mit 14 operativ anlegen lassen konnte: Damit endete auch das Mobbing. Mich hat das auch in die OPs getrieben, weil ich dachte: Du musst dein Aussehen anpassen, damit du geliebt wirst. Komplett falsch. Wenn ich mich auf Social Media umschaue, bin ich eher gelangweilt. Alles sieht gleich aus. 

In Ihren Videos sagen Sie, der Glow-up starte „von innen“. Was genau meinen Sie damit? 

Jeder von uns kennt Personen, die wir vielleicht nicht schön nennen würden, die aber selbstsicher und smart sind, die eine Ausstrahlung haben! Ich habe 15 Jahre damit verbracht, über mein Aussehen nachzudenken. Hätte ich stattdessen ein Instrument gelernt oder – ich bin Halbtürkin – vielleicht mal Türkisch, dann hätte ich heute deutlich mehr, das mich einzigartig macht. 

Hilft das gegen den Drang, sich ständig optimieren zu wollen? 

Ja. Lernt eine Sprache. Oder ein Instrument. Lest ein Buch. Geht tanzen. Geht ins Freibad und schaut euch echte Leute an. Scheißegal, ob ihr Cellulite habt oder dürre Ärmchen oder einen Bauch. Habt Spaß am Leben. 

Hatten Sie es als Streamerin eigentlich leichter wegen Ihres Aussehens?

Nicht unbedingt. Dadurch wurde ich eher sexualisiert. Je weniger mich gekümmert hat, wie ich aussehe, desto besser lief es. Heute fühle ich mich wohl wie nie. Die meisten Likes bekommen heute die Posts, in denen ich verratzt auf der Couch liege. 

Titelbild des fluter 96 zum Thema Schönheit
Dieser Artikel ist aus dem fluter „Schönheit“.
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Illustration: Moriz Oberberger