„Es ist auf keinen Fall normaler Regelschmerz, wenn man in Ohnmacht fällt“
Endometriose betrifft viele Frauen, wurde aber lange übersehen, falsch diagnostiziert oder einfach als normale Regelschmerzen abgetan. Wieso eigentlich? Sylvia Mechsner von der Charité kennt die Antwort
fluter: Endometriose wird oft als „Chamäleon der Gynäkologie“ bezeichnet. Warum dieser Tiervergleich?
Sylvia Mechsner: Lange galt die Krankheit als schwer zu diagnostizieren, auch weil sie im Bündel mit vielen anderen Symptomen auftritt. Eine Auswertung von Krankenkassendaten zeigt, dass Patientinnen im Durchschnitt 34 Jahre alt sind, wenn sie die Diagnose bekommen. Viele leben da schon zehn, fünfzehn Jahre mit starken Krämpfen, Schmerzen beim Sex, Übelkeit oder Erbrechen vor oder während ihrer Periode. Bei jungen Frauen sind die Läsionen, das sind gutartige Neubildungen, und Verwachsungen auf dem Ultraschall häufig noch nicht zu sehen.
Verliert die Krankheit nach und nach ihren Chamäleon-Status?
Das wäre schön, aber leider scheinen Ärzt:innen immer noch Probleme zu haben, zwischen normalen Regelschmerzen und dieser chronischen Krankheit zu unterscheiden. Betroffene hören dann: Nimm eine Schmerztablette. Oder noch schlimmer: Das ist normal. Da sehe ich eine enorme Versorgungslücke.
„Frühzeitig zu behandeln, ist wichtig. Wenn die Endometriose auf dem Ultraschall zu sehen ist, sind die Zellen bereits in fremdes Gewebe eingewachsen“
Sie sagen, Ärztinnen und Ärzte wissen noch nicht genug über diese Erkrankung. Können Sie erklären, was bei Endometriose im Körper passiert?
Die Gebärmutter ist ein Muskelorgan. Wenn sie während der Periode stark krampft, können mikroskopisch kleine Gewebeverletzungen entstehen. Um diese zu heilen, werden Stammzellen aktiviert. Verlassen diese Zellen die Gebärmutterschleimhaut, können sie in die Wand einwachsen oder siedeln sich im Bauchraum an. Warum sie das tun, wissen wir noch nicht abschließend. Sie können dort neues Gewebe bilden. Das führt oft zu Entzündungsreizen oder zu Verwachsungen. Eierstöcke oder Bauchfell sind dann oft betroffen. Selten können sie auch in den Darm einwachsen. Mit jeder Periode werden die Zellen weiter aktiviert.
Frauen berichten von Schmerzen, die so stark sind, dass sie davon bewusstlos werden.
Es ist auf keinen Fall normaler Regelschmerz, wenn man in Ohnmacht fällt, sich kaltschweißig fühlt oder erbricht. Dann sollte man zu einer gynäkologischen Praxis! Durch die Anamnese, also eine ausführliche Befragung der Patientin zu ihren Schmerzen, kann eine Diagnose gestellt werden. Frühzeitig zu behandeln, ist wichtig. Wenn die Endometriose auf dem Ultraschall zu sehen ist, sind die Zellen bereits in fremdes Gewebe eingewachsen. In sehr seltenen Fällen können die Blase oder der Darm so stark geschädigt werden, dass Teile davon entfernt werden müssen.
In Deutschland ist statistisch jede zehnte Frau von Endometriose betroffen. Sollte eine Befragung nicht Standard in jeder Praxis sein?
Das wäre wünschenswert. Ärzt:innen argumentieren aber, dass ihnen pro Patientin nur fünf bis acht Minuten Zeit bleiben. Ein Ultraschall ist routinemäßig nicht vorgesehen. Dazu kommt: Wenn gegen Endometriose etwa die Pille verschrieben wird, damit die Blutung ausbleibt, macht das keine Patientin mehr einfach so mit. Man muss sich Zeit nehmen und gut erklären, dass wir heute viel mehr bluten als früher, dass es nicht schlimm ist, das zu stoppen und damit das Wachstum von Endometriose nicht weiter anzuregen.
Früher wurde weniger menstruiert?
Noch vor 100 Jahren hatten Frauen etwa 40-mal ihre Periode, heute bluten wir etwa 400-mal in unserem Leben. Dafür gibt es mehrere Gründe: Frauen waren häufiger schwanger, sie haben länger gestillt, waren aber auch unterernährter. Sie lebten in weniger geregelten Abläufen. Das häufigere Menstruieren ist mit ein Grund, warum Frauen Endometriose bekommen. Die Erkrankung kann aber auch vererbt werden.
„Sehr starke Schmerzen über Jahre einfach auszuhalten, ist keine gute Idee. Dadurch füttert man sein Schmerzgedächtnis, und das Risiko für andere Schmerzerkrankungen steigt“
Viele haben Sorge vor den Nebenwirkungen der Pille, zum Beispiel vor Thrombosen. Hilft noch was anderes?
Die Pille wurde in den letzten Jahren verteufelt. Viele Frauen haben sich ganz davon verabschiedet und wollen ihren Zyklus bewusst leben. Das ist für Menschen, die keine Probleme haben, auch völlig in Ordnung. Wir sprechen aber über eine medizinische Indikation. Wenn wir eine Endometriose-Diagnose stellen, verfolgen wir einen ganzheitlichen Therapieansatz. Eine antientzündliche Ernährung hat großen Einfluss, Physiotherapie kann helfen oder Entspannungsübungen. Wir nutzen für die Therapie der Endometriose auch keine kombinierten Pillen, die östrogenhaltig sind und ein gewisses Thromboserisiko haben, sondern eine Pille, die ausschließlich das Hormon Gestagen beinhaltet. Dadurch werden Endometrioseherde inaktiviert und können sich möglicherweise verkleinern, auch wenn sie nicht ganz verschwinden. Wenn eine Hormontherapie nicht anschlägt, nicht erwünscht ist oder ein Kinderwunsch besteht, kann auch eine Operation sinnvoll sein. Sehr starke Schmerzen über Jahre einfach auszuhalten, ist dagegen keine gute Idee. Dadurch füttert man sein Schmerzgedächtnis, und das Risiko für andere Schmerzerkrankungen steigt.
Wäre die Krankheit heute besser erforscht, wenn sie auch Männer betreffen würde?
Das ist schwer zu sagen. Aber der extreme Schmerz durch Endometriose wurde lange verkannt oder sogar als psychosomatisch abgetan.
Frauen wurde also gesagt, sie bilden sich körperlichen Schmerz ein.
Als bei den ersten Betroffenen eine Bauchspiegelung durchgeführt wurde, entdeckte man oft nur kleine Verwachsungen. Daraus schlossen die Ärzt:innen, dass ein psychisches Problem vorliegen muss. Damals operierten vor allem Männer, ich glaube, sie konnten sich diese Schmerzen auch einfach nicht vorstellen. Lange hat sich das niemand genauer angeschaut. Ich begann als junge Wissenschaftlerin 2003 mit der Schmerzforschung in diesem Feld. Die Frauen in meiner Sprechstunde berichteten von schlimmsten Schmerzen. Also habe ich nach Nervenfasern gesucht und entdeckte, dass sie in das Endometriosegewebe einwachsen. Die sind aber so klein, dass man sie nur mit dem Mikroskop sehen kann.
Hat nur der Männerüberschuss im OP-Saal die Forschung beeinflusst oder auch, dass Menstruation lange gesellschaftlich tabuisiert war?
Ich denke, das größere Problem liegt darin, dass sich mit Endometriose kein Geld verdienen lässt. Die Forschung ist sehr komplex und teuer. Dazu kommt der Kampf um die Fördermittel. Meistens gibt es nur einen großen Topf für „Frauengesundheit“. Uns wird häufig zurückgemeldet, unsere Forschung sei nicht fancy genug, weil wir beispielsweise auf Tierversuche verzichten. Endometriose kommt im Tierreich aber kaum vor.
Was müsste sich im deutschen Gesundheitssystem ändern, damit Betroffene schneller Hilfe bekommen?
Wir brauchen mehr Zeit für die Anamnese, und die muss bezahlt sein. Aber auch mehr Wissen über Endometriose bei den Frauenärzt:innen. Wir beobachten, dass sich immer noch viele Frauen an uns wenden, denen gesagt wurde: Auf dem Ultraschall ist nichts zu sehen. Dabei sind die Läsionen, also gutartige Neubildungen, vor allem in der Gebärmutter ganz oft klar zu erkennen. Oft mangelt es an Erfahrung mit der Krankheit. Und wir brauchen dringend mehr Grundlagenforschung.
Prof. Dr. Sylvia Mechsner, geboren 1972, ist Professorin für Endometrioseforschung an der Universitätsklinik Charité in Berlin. Sie leitet auch das Endometriosezentrum der Charité.
Portrait: privat
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Illustration: Alexander Glandien