Gleichheit schafft Freiheit

Schuluniformen sind bei vielen Schülern ein wunder Punkt. Kommt das Thema zur Sprache, fangen die meisten an, panisch über die Einschränkung ihrer Individualität zu reden. Ich begrüße Schuluniformen im Allgemeinen. Nicht nur wegen der vielen britischen Jugendfilme, die zeigen, wie gut so eine Einheitskleidung aussehen kann, sondern weil ich denke, dass sie die Schule zu einem anderen Ort machen würden.

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Argumente für die Schuluniform (Corinna von der Groeben)

Schafft Gemeinschaft: Schuluniformen fördern das Wir-Gefühl an einer Schule, findet Lia Friderichs

(Corinna von der Groeben)

Viele argumentieren gegen eine Einheitskleidung mit dem Selbstbestimmungsrecht, das besagt, jeder habe ein Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Theoretisch darf man also überall anziehen, was man will, da man so seine Persönlichkeit „entfaltet“. Es gibt in Deutschland zahlreiche Berufe und Institutionen, die während des Dienstes oder des Aufenthalts dort eine Einheitskleidung erfordern – und wo es eine Selbstverständlichkeit ist, diese zu tragen. Wer kann sich eine Polizistin im Minirock vorstellen? Oder einen Rechtsanwalt in Baggyhose?

Auch in der Schule sollte man angemessen angezogen sein, es würde einem zum Beispiel viel unnötig entblößte Haut im Sommer ersparen, die beim Lernen auch irritieren kann. Die uneingeschränkte Entfaltung der Persönlichkeit ist immer noch nach dem Unterricht möglich, das Leben spielt sich bei den meisten ja hauptsächlich in der Freizeit ab.Natürlich wird ein Teil der Individualität eingeschränkt, wenn alle die gleiche Kleidung tragen, aber ist das bis zu einem gewissen Grad nicht auch ganz gut in der Schule?

Es ist ja unter anderem auch der Sinn einer Schuluniform, dass durch die Kleidung alle gleich vor Schule und Lehrern sind. Individualität entsteht nicht mehr durch Klamotten, sondern durch Charakter, Leistungen und soziales Engagement. Man würde nicht nach dem Äußeren bewertet werden, und soziale Schichten könnte man schwieriger am Kleidungsstil ablesen, was auch zu einer faireren Bewertung der Lehrer führen würde.

Durch eine Schuluniform würde außerdem der Druck der Mitschüler, was Klamotten angeht, extrem nachlassen. Die Pflicht, das „Richtige“ anzuhaben, gibt es in jeder Klassenstufe. Es ist vielen wichtig, die richtigen Marken zu tragen, und dieser Zwang führt oft zur Ausgrenzung von Schülern, deren Eltern nicht für Designerklamotten aufkommen können. Vielen wäre eine Last abgenommen, wenn sie sich keine Gedanken mehr machen müssten, was andere über ihre Kleidung denken. Natürlich würde Mobbing nicht verschwinden, aber viele Schüler würden selbstbewusster durch die Gänge laufen, wenn sie wüssten, dass sowieso alle dasselbe tragen.

Warum nicht Schuluniformen selbst gestalten?

Ein weiterer Punkt ist das Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl. Eine einheitliche Kleidung macht einen zu einer Gruppe und stärkt den Elan bei gemeinsamen Aktivitäten. Ein gutes Beispiel sind amerikanische Schulen, an denen die Schüler mit Stolz die Logos ihrer Sportmannschaften tragen und bei Wettkämpfen die Zuschauer in den Schulfarben als Einheit ihr Team anfeuern. Eine Fußballmannschaft trägt nicht umsonst einheitliche Trikots statt gleichfarbener T-Shirts, die Trikots sollen signalisieren „Wir gehören zusammen, wir stehen zueinander und treten füreinander ein“. Als Schülerin einer staatlichen Berliner Schule fehlt mir dieser Aspekt ziemlich oft im Schulleben. Als einheitliche Gruppe zur Schule zu gehen würde die Lernmotivation stärken und vielleicht dazu anregen, auch außerhalb des Unterrichts an schulischen Aktivitäten teilzunehmen.

Alles in allem würde eine Schuluniform an deutschen Schulen also niemandem schaden. Es ließe sich bestimmt auch ein Kompromiss schließen mit absoluten Gegnern, zum Beispiel ein einheitliches Oberteil, und der Rest kann frei entschieden werden oder, was bestimmt vielen Schülern gefallen würde, dass die Kleidungsstücke selbst entworfen und dann alle paar Jahre erneuert werden können. Und obwohl die Schuluniform so trotzdem gut aussehen könnte, würde sie einem morgens jede Menge Zeit vor dem Kleiderschrank sparen.

Lia Friderichs, 15, geht auf ein Berliner Gymnasium und packt gerade ihre Koffer für ein Auslandsjahr in den USA, bei dem sie sich besonders auf die Collegejacken in den Schulfarben freut.

Schaffner brauchen Uniformen, Schüler nicht

Immer wieder wird in Deutschland über Schuluniformen diskutiert. Viele Befürworter denken dabei nostalgisch an Internatsfilme, Mannschaftssport und Kollektivismus. Diese Menschen waren vermutlich nie jung. Schließlich ist die Adoleszenz eine Phase des Experimentierens, egal, ob das durch das Färben von Haaren passiert, die Zugehörigkeit zu einer Subkultur – oder eben durch Kleidung.

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Argumente gegen die Schuluniform (Corinna von der Groeben)

Graue Masse: Wenn alle Schüler Uniformen tragen müssten, würde ein Stück Vielfalt verloren gehen, findet Louisa Zimmer

(Corinna von der Groeben)

Wir Jugendlichen sind auf der Suche nach unserem persönlichen Stil und wollen unsere Unabhängigkeit zeigen. Durch unsere Kleidung drücken wir bewusst oder unbewusst unsere Stimmung, unseren Musikgeschmack und vieles mehr aus. Einheitliche Schuluniformen würden die Vielzahl an Individuen zu einer grauen Masse verschmelzen.

In der jüngeren deutschen Geschichte wurden Uniformen für Jugendliche, wie etwa das Blauhemd der Freien Deutschen Jugend (FDJ), immer wieder dazu genutzt, den freien Willen zu unterdrücken und durch Ideologien zu ersetzen. Im 21. Jahrhundert sollten wir uns nicht hinter einer Einheitskleidung verstecken müssen. Dass einige Berufsgruppen auf eine Uniform angewiesen sind, ist dabei kein gutes Argument. Schaffner, Feuerwehrleute oder Streifenpolizisten müssen schlichtweg für die Bevölkerung erkennbar sein, weil sie Dienstleistungen oder Hilfestellungen bieten. Schüler nicht. Schuluniformen haben für die Allgemeinheit keinen Nutzen. Zudem ist Schule keine selbstgewählte Berufung, sondern eine gesetzliche Pflicht. Sie dient hierzulande primär zum Erwerb von Wissen und eines Schulabschlusses. Der gern zitierte anglo-amerikanische „school spirit“ entsteht hingegen nicht durch das Tragen einer Einheitskleidung, sondern beispielsweise durch die Teilnahme an Clubs, Jugendparlamenten oder „extracurricular activities“ wie Sportveranstaltungen oder Tätigkeiten für die Gemeinde.

Wenn sich eine Gemeinschaft nur durch das Tragen bestimmter Kleidung identifiziert, ist die Forderung nach einer Schuluniform im Grunde widersprüchlich. Die Uniform soll eigentlich das Entstehen von Peer Groups vermeiden, könnte aber das Gegenteil bewirken: dass sich Schüler verschiedener Schulformen und Bezirke voneinander abgrenzen.

Klassenkampf wird über das Smartphone ausgetragen, nicht über Jeans und Pullover

Das beliebteste Argument für eine Schuluniform aber ist die Aufhebung von sozialen Kontrasten: Niemand würde mehr für alte Pullover gehänselt werden, niemand könnte sich durch Designerjeans profilieren. Deshalb würden auch die Lehrer die Schüler gerechter beurteilen. Ich wage das zu bezweifeln. Im 21. Jahrhundert wird der Klassenkampf doch nicht nur über die Kleidung ausgetragen. An die Stelle, wo vor 20 Jahren die Marke mit den drei Streifen stand, sind längst andere Dinge wie etwa das neueste Smartphone gerückt. Die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht ließe sich also auch in Einheitskleidung signalisieren bzw. lesen. Außerdem: Wenn alle das Gleiche tragen würden, könnten Charakteristika wie Hautfarbe oder Geschlecht eine noch größere Angriffsfläche für Diskriminierung bieten. Darüber hinaus verschleiert gerade das Argument der „Gleichheit vor dem Lehrer“ das eigentliche Problem: die wachsende soziale Ungleichheit.

Statt sich um Äußerlichkeiten zu kümmern, sollten sich die Uniformfreunde um die tatsächlichen Wurzeln der Ungerechtigkeit in Bildungsinstitutionen Gedanken machen. Statt einer Schuluniform, die einkommensschwächere Familien zusätzlich belasten würde, braucht es endlich richtige Maßnahmen, um sozial benachteiligte Schüler und solche mit Förderbedarf zu unterstützen!

Die Argumentation für eine Schuluniform stammt größtenteils aus dem Lager der Privilegierten. Schließlich haben sozial benachteiligte Jugendliche häufig wesentlich drastischere Probleme als das Fehlen einer Einheitskleidung. Schuluniformen mögen nach außen hin Egalität ausstrahlen, eine reale Chancengleichheit bleibt aber auch mit ihnen bloß Utopie.

Louisa Zimmer, 18, hat als fluter-Reporterin von der diesjährigen Berlinale berichtet. Mit ihrem vor einigen Wochen bestandenen Abitur genießt sie nun ihre temporäre Freiheit. Ganz oben auf der Playlist: „Nie mehr Schule“ von Falco.