CONTRA: Nazis mitreden lassen? Das ist naiv und gefährlich

Medien sollten verhindern, dass rechtsextreme Meinungen durch öffentliche Debatten salonfähig werden, findet Johannes Radke. Sonst würden sie nämlich indirekt für Ideologien werben, die ganz offensichtlich menschenverachtend sind

Sind überzeugte Neonazis nicht auch nur Menschen? Muss man in einer Demokratie nicht auch mit deren Gegnern ganz offen sprechen? Der Berliner Radiosender Kiss FM hat genau das im Oktober 2016 ausprobiert – und ist damit grandios gescheitert.

Eingeladen in die Sendung war der militante Nazirapper Julian Fritsch, der unter dem Pseudonym „Makss Damage“ seine rechtsextremen Mord- und Vergewaltigungsfantasien besingt. Zuletzt trat er vor 5.000 „Sieg Heil“ grölenden Neonazis bei einem Rechtsrockkonzert in der Schweiz auf.

So löblich der Versuch auch sein mag, rechtsextreme Meinungen öffentlich zu entkräften... 

Ziel der Livesendung war es offenbar, seine rechtsextremen Denkmuster zu entkräften. Man wolle auch „harte und emotional aufreibende Themen nicht auslassen“, lautete die Begründung des Senders. Das ging komplett daneben. Entlarvend war das Gespräch lediglich für die Moderatoren, die Fritsch unter anderem vorsichtig fragten, ob er denn ein Neonazi sei und ob er auch mal einen Döner essen würde. Trauriger Höhepunkt der Sendung war, als Fritsch schließlich für seine „Toleranz“ gelobt wurde, weil er überhaupt das Interview zugesagt hatte. Dass er zuvor als Bedingung gestellt hatte, dass nicht über den Holocaust gesprochen wird, blieb unerwähnt.

Dabei ist es nicht so, als würden Rechtsextreme die etablierte Presse meiden. Ganz im Gegenteil. Jedes Interview wird als Erfolg gefeiert. Auf seiner Facebook-Seite gratulierten Dutzende „Kameraden“ Fritsch für seinen PR-Coup. Die NPD fordert seit Jahren ihre Mitglieder explizit dazu auf, Demokraten zu Gesprächen zu nötigen und bei öffentlichen Veranstaltungen die Diskussion zu kapern. „Wortergreifungsstrategie“ nennt die Partei das. „Drängen wir ihnen unsere Gedanken auf, ja, zwingen wir sie dazu, sich mit uns, unseren Forderungen und Zielsetzungen zu beschäftigen“, sagte 2004 der damalige NPD-Vorsitzende Udo Voigt auf einem Parteitag.

...man gibt ihnen damit eine Bühne, die sie nicht haben dürfen

Ihr Ziel ist es, den gesellschaftlichen Diskurs in ihrem Sinne zu beeinflussen. Um einen echten, offenen Austausch von Argumenten geht es keinem geschulten Kader. Sie wollen lediglich ihre Ideen als legitime Meinung im politischen Raum salonfähig machen. Und sie wissen, wie sie dafür die Vorzüge der Demokratie nutzen, die sie eigentlich abschaffen wollen.

Aber die rechtsextreme Ideologie ist eben keine politische Meinung wie jede andere. Sie steht für Antisemitismus, Rassismus, Homophobie, Sexismus, Demokratiefeindlichkeit und in ihrer finalen Konsequenz für die Ermordung aller, die aus Nazisicht „unwertes Leben“ sind. Dafür muss man nicht bis in den historischen Nationalsozialismus zurückschauen. Es reicht ein Blick auf die lange Liste von mehr als 160 Todesopfern rechter Gewalt seit 1990 in Deutschland.

Weshalb über demokratische Grundrechte diskutieren?

Wer sich wie Fritsch selbst außerhalb des demokratischen Grundkonsenses stellt, hat in einer Talkshow, auf einem Podium oder in einem Zeitungsinterview nichts zu suchen. Das Argument, man müsse mit allen reden, ist nicht nur naiv, sondern auch gefährlich. Man stelle sich eine Talkshow zum Thema Sexismus vor. Würde man dafür einen Serienvergewaltiger als Experten einladen? Sicher nicht.

– wenn sie doch gar nicht zur Debatte stehen

Es gibt keinen Grund, sich mit einem ideologisch gefestigten Rechtsextremen öffentlich an einen Tisch zu setzen. Es gibt demokratische Grundwerte, die nicht verhandelbar sind. Da gibt es nichts zu diskutieren. 

Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels hat schon 1935 in einer Rede erklärt, wie er die Meinungsfreiheit zu nutzen weiß: „Wenn unsere Gegner sagen: ‚Ja, wir haben euch doch früher die Freiheit der Meinung zugebilligt.‘ Ja, ihr uns! Das ist doch kein Beweis, dass wir das euch auch tuen sollen! Dass ihr das uns gegeben habt, das ist ja ein Beweis, wie dumm ihr seid!“

Was Neonazis denken, was ihre Ideologie ausmacht und was sie sich für eine Welt vorstellen, ist hinlänglich bekannt. Es gibt Hunderte Texte, Lieder und Strategiepapiere, die man zitieren kann, um ihre Weltsicht dezidiert auseinanderzunehmen.

Wer trotzdem überzeugte Neonazis auf eine Bühne hebt, um auf Augenhöhe mit ihnen zu diskutieren, tut am Ende nur eines: Er macht kostenlose Werbung für eine menschenverachtende Ideologie.

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Johannes Radke (Illustration: Renke Brandt, Foto: privat)
(Illustration: Renke Brandt, Foto: privat)

Johannes Radke ist freier Journalist mit dem Themenschwerpunkt Rechtsextremismus und Jugendkultur. Er betreut für Zeit Online den Watchblog Stoerungsmelder.org. Er war Gründungsredakteur von „Netz gegen Nazis“ und ist Autor des Buches „Neue Nazis“. Ansonsten schreibt er für „taz“, „Tagesspiegel“, „Dummy“, „Die Zeit“, die Bundeszentrale für politische Bildung und weitere Zeitungen und Magazine.

PRO: Nur so kann man ihre Argumente entkräften

Nikola Endlich warnt: Wer Rechtsextreme aus der Öffentlichkeit ausschließt, riskiert, dass sie ihre Ideologie auf anderen Kanälen ungehindert verbreiten. Besser wäre es, ihnen vor aller Augen mit nüchternen Argumenten zu begegnen

Mit jenen öffentlich zu streiten, die nicht nur einfach eine andere politische Meinung vertreten, sondern sich gegen alles richten, für das eine offene, liberale und demokratische Gesellschaft steht, macht keinen Spaß, ist aber notwendig.

Redaktionen können zwar beschließen, Rechtsextreme nicht in ihre Talkshows einzuladen, und Politiker, mit ihnen keine parlamentarischen Debatten zu führen. Doch im Internet haben sich Nazis ohnehin längst ihre eigene Bühne gebaut, jenseits der Massenmedien und der Parlamente.

Im Internet können Nazis ihre Ansichen nahezu ungestört verbreiten 

Rechte Parteien kommen auf ziemlich viele Facebook-Fans, und auch sonst ist die Präsenz von Rechten in den sozialen Medien und anderen Bereichen des Netzes hoch. Mit eigenen Videoplattformen, rechten Nachrichtenportalen, Online-Radiosendern oder der Einblendung von rechtsextremer Symbolik in Videoclips versuchen Rechtsextreme, ihr Gedankengut im Netz zu verbreiten.

Die Position, dass man mit Nazis nicht reden sollte, bewirkt daher leider: Rechte können weitgehend unkommentiert und ungehindert Räume in Beschlag nehmen und dabei auch Lügen und verkürzte Wahrheiten verbreiten. Denn eine ganze Menge der rassistischen, antisemitischen, demokratiefeindlichen und diskriminierenden Inhalte auf Naziseiten kann man nicht rechtlich ahnden, weil sie von Servern aus dem Ausland hochgeladen werden, die für die deutsche Justiz unzugänglich bleiben. Deshalb ist es wichtig, dieser rechtsextremen Präsenz im Netz etwas entgegenzusetzen. Eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, die falsche Behauptungen mit Aufklärung und Fakten kontert.

– umso wichtiger ist es, ihnen öffentlich mit Gegenargumenten zu begegnen

Die Sorge, egal wie man es anstelle, am Ende werte man die Ansichten von Rechtsextremen schon allein durch den Beginn eines Gespräches mit ihnen ein Stück weit auf, ist berechtigt. Es ist auch schon passiert, dass Rechtsextreme zusätzlich Aufmerksamkeit erhalten, wenn man nicht mit ihnen spricht – aufgrund ihrer Behauptung, Demokraten würden das Gespräch verweigern und könnten ihren Positionen nichts entgegenbringen.

Auch die rechtspopulistische AfD, die inzwischen in zehn Landesparlamenten vertreten ist, und die Anhänger der Pegida-Bewegung beziehen einen großen Teil ihrer Attraktivität mittlerweile daraus, immer wieder darauf zu verweisen, ihre Forderungen, mit ihnen zu sprechen, würden ignoriert und die Medien würden einseitig berichten. Auch wenn in Wirklichkeit viel über die Rechtspopulisten berichtet wird und sie umgekehrt unliebsame Journalisten bei ihren Veranstaltungen ausschließen. Angesichts solcher Behauptungen ist es umso dringlicher, den Eindruck zu entkräften, Demokraten könnten den verqueren Ansichten am rechten Rand nichts entgegensetzen.

Dabei die richtigen Worte und den richtigen Ton zu treffen, ist schwer –

Gespräche mit Rechtsextremen sind mühsam und erfordern eine extrem gute Vorbereitung. Angesichts der Verhaltensmuster, rechter Parolen und Provokationen regieren ihre demokratischen Gegner oft emotional. Journalisten, Politiker und Personen des öffentlichen Lebens, die sich mit der Szene auskennen und wissen, wie man geschulte NPD-Kader und Neonazis durch scharfe Analyse, konsequentes und geschicktes Nachfragen ins Schleudern bringt, raten aber eher zur Nüchternheit.

Im sächsischen Landtag, in den die NPD 2004 und 2009 einzog, verließ das Gros der demokratischen Fraktionen bei volksverhetzenden, antisemitischen, rassistischen oder anderen rechten Parolen demonstrativ den Plenarsaal.  So war klar, dass gewisse demokratische Werte und Grundrechte eben nicht diskutierbar sind und der Raum des Sagbaren nicht beliebig erweitert werden kann. Gleichzeitig stellte sich im Umgang mit der NPD-Fraktion aber die nüchterne Widerlegung rechtsextremer Ansichten schnell als wirksamer heraus als diese demonstrative Geste. CDU, SPD, Linke, FDP und Grüne einigten sich zudem auf einen antifaschistischen Konsens, in dem etwa festgelegt war, auf parlamentarische Initiativen der NPD mit einem Redebeitrag im Namen aller demokratischen Fraktionen zu reagieren.

– aber dringend nötig: Es braucht einen Raum für Gegenöffentlichkeit

Mit diesen Gesprächen kann man sicherlich keine eingefleischten Neonazis von ihrer braunen Gesinnung abbringen, aber einen Raum für Gegenöffentlichkeit schaffen. Und darum sollte man es tun.

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Nikola Endlich (Illustration: Renke Brandt, Foto: privat)
(Illustration: Renke Brandt, Foto: privat)

Nikola Endlich lebt und arbeitet als freie Autorin in Berlin. In einem Wartezimmer erlebte sie neulich, wie eine ältere Dame sich abwertend über ein junges Mädchen mit türkischen Wurzeln äußerte, das gerade den Raum verlassen hatte. Das Mädchen sei nicht deutsch und gehöre nicht hierher. Als Nikola Endlich überlegte, ob sie etwas entgegnen oder lieber den Raum verlassen sollte, wurde sie aufgerufen. 

Titelbild: Renke Brandt