Mit den jungen Männern von heute könne man ja prima reden, aber manchmal wäre es eben auch ganz schön, wenn sie mal die Initiative übernähmen – einen einfach küssten, anstatt sich melancholisch am Bier festzuhalten. Mit diesem Stoßseufzer hat eine Journalistin vor fast vier Jahren eine Debatte losgetreten, die bis heute anhält. Im Groben geht es um den neuen Mann, der im Zuge der Frauen-Emanzipation vom selbstbewussten Macker zum vergrübelten Schmerzensmann geworden sei.

Nun kann man trefflich darüber streiten, ob es nicht schon immer weiche und harte Kerle gegeben hat (und ob es nicht eher auf die richtige Mischung ankommt) – fest steht, dass lange Zeit die Frauen im Fokus der Gleichstellungspolitik standen. Es galt schließlich, ihre strukturelle Benachteiligung in der Gesellschaft zu verringern. Nun aber macht der Mann immer mehr Probleme: Aus dem starken ist anscheinend das schwache Geschlecht geworden. Bereits in der Schule bekommen die Mädchen die guten Noten, sie erreichen bessere Bildungsabschlüsse und beginnen häufiger ein Universitätsstudium. Dafür neigen Jungen deutlich häufiger zu Gewalt, sogar die Suizidrate ist bei Männern dreimal so hoch wie bei Frauen.

Eins ist klar: Männer müssen liefern. Familie, Schule, Freunde und Jobs richten oft gegensätzliche Erwartungen an sie. Männer sollen Verantwortung übernehmen, aber sich nicht vordrängeln. Attraktiv sein, aber auch nicht zu hübsch. In der Schule sollen sie nicht aggressiv sein, aber beim Fußball sitzen sie auf der Bank, wenn sie nicht aggressiv genug verteidigen. Das verunsichert junge und ältere Männer, die die verschiedenen Erwartungen in unterschiedlichen Kontexten nicht miteinander vereinbaren können und von den Veränderungen der Geschlechterrollen überfordert sind. Viele fühlen sich anscheinend bedroht durch selbstbewusste Frauen und den Verlust von gesellschaftlichen Vorteilen, die Männer früher genossen.  Die männliche Identität habe „sich seit Jahrhunderten primär über die Arbeitsleistung bestimmt“ und daraus, „für die eigene Familie verantwortlich zu sein“, sagt der Soziologe Walter Hollstein, Gutachter des Europarates für Männerfragen. „Bricht dieses Verständnis von Männlichkeit zusammen, brechen auch die Grundfesten von Männlichkeit weg.“

Fallen die Männer etwa einem „Genderwahn“ zum Opfer?

Der Mann, das unverstandene Wesen? Dafür spricht, dass laut der neuesten Shell-Jugendstudie mehr als ein Viertel der jungen Männer glaubt, dass man allein genauso glücklich sein kann wie in einer Familie. Bei den jungen Frauen finden dies nur 16 Prozent.

Männerrechtler sprechen bereits von „Genderwahn“, dem die Männer zum Opfer fielen, und gezielter Benachteiligung von Jungen – vor allem im Bildungssystem. Von der Kita bis zum Gymnasium – überall verwehre eine Übermacht von weiblichen Lehrpersonen den Jungen ihre Männlichkeit. Manche Bildungsforscher fordern, dass mehr Männer in Kindertagesstätten und Grundschulen unterrichten sollen, um Jungen Vorbilder zu bieten. Kritiker dieses Ansatzes halten dagegen, dass nicht allein mehr männliche Lehrer helfen, sondern mehr Nachdenken über Überforderung und Aggressionen.  

Eins ist auffällig: Während viel diskutiert wird über Jungen und wie sie sein sollen, wird eigentlich viel zu selten mit ihnen selbst gesprochen. Also los in den Berliner Stadtteil Wedding, nachmittags auf einigen Schulhöfen herumgefragt: Was ist für euch eigentlich Männlichkeit, Jungs?

Für die Familie sorgen, heißt es dann, cool sein, gut Fußball spielen. Aber Einigkeit herrscht darüber nicht. Für die Familien sollen auch Frauen sorgen, findet ein Elftklässler. Cool sein habe nichts mit Männlichkeit zu tun, sagt ein Neuntklässler, das sei doch was für Macker. Und sein Freund sagt, dass er Fußball nicht mag. Er spiele lieber Tischtennis.

Und dabei wird deutlich: Die Jungen bilden keine einheitliche Gruppe und haben unterschiedliche Bedürfnisse. Ein einziger Bildungsansatz für sie alle greift offensichtlich zu kurz. Aber eins haben sie alle gemeinsam: Den Jungen ist vor allem wichtig, dass sie ernst genommen werden. Sie wollen, dass man ihnen zuhört.

Foto: David Ryder/Getty Images