1949 entschied der Parlamentarische Rat, das aktive Wahlalter auf die Volljährigkeit, also damals 21 Jahre, festzulegen. Mitte der 60er-Jahre sprachen sich dann besonders jüngere Bundestagsabgeordnete für die Herabsetzung des Wahlalters auf 18 Jahre aus. Unter dem Eindruck der Protestbewegungen 1967/1968 befürworteten bald alle im damaligen Bundestag vertretenen Parteien ihr Anliegen. 1970 beschloss dann der Bundestag die Absenkung des Wahlalters auf 18 Jahre - allerdings ohne gleichzeitig das Volljährigkeitsalter zu senken. Diese Angleichung wurde erst 1975 vollzogen.

Seit Mitte der 90er-Jahre hat das Thema "Wahlalter" erneut an Bedeutung gewonnen. Einer sinkenden Wahlbeteiligung und einer von Medien und Politik formulierten Politikverdrossenheit junger Mensch soll mit der Herabsetzung des Wahlalters begegnet werden. 1996 durften bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen erstmals 16-Jährige wählen. Außer in Niedersachsen gibt es momentan in Mecklenburg-Vorpommern, in Nordrhein-Westfalen, in Sachsen-Anhalt und in Schleswig-Holstein ein aktives Kommunalwahlrecht ab 16. Bei allen Landtags- sowie den Bundestagswahlen dürfen aber weiterhin erst 18-Jährige wählen.

Die in der Diskussion um das Wählen ab 16 angeführten Argumente hat Fluter zusammengestellt:

Pro:
- Auch viele Erwachsene sind "politische Analphabeten" und leicht beeinflussbar. Warum sollte man von Jugendlichen höhere Qualifikationen fordern? Sie müssen heute schon sehr früh Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen.

Contra:
- 16-Jährige sind politisch unreif. Auch wenn sie heute einen höheren Bildungsstand haben als früher, sind sie noch nicht fähig, sich ein vernünftiges Urteil in einer Welt zu bilden, die immer komplizierter wird. Deshalb sind sie leicht manipulierbar.

Pro:
- Demokratie darf Jugendliche nicht ausschließen. Repräsentative Wahlstatistiken zeigen: Das Wahlverhalten von Erstwählern weicht nicht eklatant von dem anderer Bevölkerungsteile ab. Die Ausgrenzung fördert erst die Neigung zur Radikalität.

Contra:
- Jugendliche haben eine Abneigung gegen Parteien und Mandatsträger. Deshalb neigen sie zu politischem Extremismus. Das ist eine Gefahr für die Stabilität der Demokratie.

Pro:
- 16- und 17-Jährige haben existenzielle Interessen, die von Erwachsenen wenig oder gar nicht vertreten werden. Außerdem erhalten Jugendliche ab dem 16. Lebensjahr eine Reihe von Rechten zugesprochen wie zum Beispiel Ehefähigkeit, Eidesfähigkeit usw.

Contra:
- Wer wählen will, der muss auch volljährig und strafmündig sein. Wer strafrechtlich nicht voll verantwortlich ist für sein Verhalten, kann auch nicht verantwortlich sein für das Schicksal des Staates.

Pro:
- Jugendliche haben das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Die Politikverdrossenheit unter jungen Menschen wird abnehmen, wenn sie durch das aktive Wahlrecht in die politische Entscheidungsfindung einbezogen werden: Wer weiß, dass er etwas bewirken kann, hat auch mehr Interesse an Politik.

Contra:
- Jugendliche stehen Parteien, Mandatsträgern und Wahlen ablehnend gegenüber. Ein früherer Zugang zu Wahlen trifft deshalb die Interessen der Jugendlichen nicht. Es ist sinnvoller, die von Jugendlichen favorisierten Elemente direkter Politik auszubauen und ihnen die Chance zu geben, in Jugendparlamenten oder Anhörungen etc. zu Wort zu kommen.

Pro:
- Die demografische Entwicklung verlagert schon heute Entscheidungen über die Zukunft unserer Gesellschaft auf ältere Menschen. Diese Entwicklung wird sich noch verstärken. Die notwendige Anpassung politischer Entscheidungen an gesellschaftliche Veränderungsprozesse ist eher von denen zu erwarten, die unter diesen Bedingungen den größten Teil ihres Lebens verbringen müssen: den Jungen.

Contra:
- Repräsentative Umfragen belegen, dass es eine große Skepsis gegenüber der Senkung des Wahlalters gibt. Dieses Resultat entspricht auch der Stimmung unter Jugendlichen: Je wichtiger die jeweilige Wahl empfunden wird, desto größer ist die Zurückhaltung, da die Jugendlichen sich noch nicht reif genug für derartige Entscheidungen fühlen.

Parteipositionen zur Frage "Wählen mit 16?"
-
Die SPD mit ihrer Jugendorganisation Die Jungsozialisten (JUSOS) befürwortet das Wahlrecht für Jugendliche auf kommunaler Ebene.
- Die CDU und ihre Jugendorganisation Junge Union (JU) ist gegen das Wahlrecht für Jugendliche.
- Bündnis 90 / Die Grünen und die ihnen nahe stehende Grüne Jugend plädieren für eine Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre.
- Die FDP lehnt das Wahlrecht für Jugendliche ab. Innerhalb ihrer Jugendorganisation Die Jungen Liberalen (JuLis) gibt es unterschiedliche Ansichten zur Frage "Wählen mit 16?".
- Die PDS mit ihrem Jugendverband ['solid] tritt dafür ein, das aktive Wahlalter auf allen Ebenen der Politik auf 16 Jahre zu senken.

 

Valentin Nann ist Volontär bei der Bundeszentrale für Politische Bildung in Bonn.

Weitere Informationen zum Thema "Wählen ab 16?" gibt es hier:

http://jugend-macht-politik.de
Gegenüberstellung der Argumente für und gegen eine Senkung des Wahlalters

www.wahlalter-16.de
Website der Jusos zur Kommunalwahl in NRW 1999

www.junge-union.de
Argumentation der Jungen Union gegen das Jugendwahlrecht

www.gaj-sh.de/wahlalter
Plädoyer der Grünen Jugend in Schleswig-Holstein für die Senkung des Wahlalters

www.16plus.de
Website des Ministeriums für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung in NRW zur Kommunalwahl 1999

www.geocities.com/CapitolHill/Lobby
Argumente für das Wahlrecht ab 16

www.ich-will-waehlen.de
"Ich bin unter 18 - und ich will wählen." Wer diese bundesweite Kampagne im Internet unterstützen will, hat noch bis zum 12. September 2002 Zeit. Zehn Tage vor der Wahl werden dann alle Unterschriften als Petition dem Bundestag übergeben. Die Kampagne wird unter anderem von der BundesschülerInnenvertretung, der Deutschen Jugendpresse und der Grünen Jugend unterstützt.

www.kraetzae.de
Das Berliner Kinderrechtsprojekt KinderRÄchTsZÄnker (K.R.Ä.T.Z.Ä.) fordert seit 1992 das Wahlrecht ohne Altersgrenze. Nach der Argumentation von K.R.Ä.T.Z.Ä. ist das Recht auf politische Mitbestimmung ein demokratisches Menschenrecht, von dem in einer Demokratie niemand ausgeschlossen werden darf - auch nicht wegen seines Alters.

www.u18.org
U 18 Berlin 2002 - Die Kinder- und Jugendwahl. Am 13. September 2002, eine Woche vor der Bundestagswahl, wollen Einrichtungen der freien und kommunalen Jugendhilfe und Schulen in Berlin eine Wahl für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren veranstalten. Die Ergebnisse der Wahl, die mit echt aussehenden Wahlscheinen in den Berliner Wahllokalen stattfindet, sollen noch am gleichen Abend auf Wahlparties medienwirksam öffentlich gemacht werden.