Ich nehme meine Behinderung überall mit hin. Ich gehe mit ihr einkaufen, zum Saufen in die Bar oder zu Geburtstagsfeiern. Ich fahre mit ihr U-Bahn und gehe mit ihr arbeiten. Und dann, wenn ich all diese normalen Dinge tue, passiert etwas aus dem Grund, weil ich behindert bin: Menschen werden plötzlich viel zuvorkommender bis überfreundlich, Orte sind auf einmal nicht für mich zugänglich. Mit mir selbst hat das nicht viel zu tun, wohl aber mit dem Rollstuhl, den ich immer dabei habe.

Der stellt erstaunlich oft eine Barriere dar. Gar nicht unbedingt für mich, aber immer wieder für die Menschen um mich herum. Viele benehmen sich plötzlich völlig anders, als wenn kein Rollstuhl in der Nähe ist. Der Typ im Supermarkt, dem seine Anteilnahme ins Gesicht geschrieben ist, weil er mein Leben für unglaublich schwer und kompliziert hält. Der Busfahrer, dem man ansieht, wie genervt er ist, wegen des Rollstuhls die Rampe ausklappen zu müssen. Die beleidigte Passantin, die sich ärgert, weil ihre ungefragt angebotene Hilfe nicht benötigt wird. Die Radfahrerin, die vor lauter Glotzen nicht mehr geradeaus schauen kann und direkt auf einen Laternenpfahl zusteuert. Menschen entwickeln ein großes Bedürfnis, sich mitzuteilen, und sprechen ihr schräges Verständnis von Bewunderung, Anerkennung oder Mitleid aus. Sätze wie „Also, ich könnte das nicht“ oder „Du inspirierst mich“ gehören zu meinem Alltag. An guten Tagen entgegne ich diesen verunsicherten Menschen gerne: „Es ist nur ein Rollstuhl. Bitte bleiben Sie ruhig!“ An schlechteren Tagen packe ich mir ihre komischen Reaktionen auf die Schultern und vergesse manchmal, sie vor meiner Haustür wieder abzuschütteln. 

Meine Behinderung ist für viele Menschen ungewohnt, außergewöhnlich, vielleicht ist sie ihnen sogar unangenehm. Leider habe ich wenig Hoffnung, dass diese Anmaßungen und Diskriminierungen irgendwann aufhören werden. Die Sprüche werden so lange bleiben, wie Behinderte aus der gesellschaftlichen Mitte ausgeschlossen werden und so den ganzen Nichtbehinderten keine Chance gegeben wird, sie als normales Bild im öffentlichen Alltag zu erleben. Laut Statistik ist fast jeder Zehnte in Deutschland schwerbehindert, aber wenn ich mir überlege, wer denn in meinem direkten Umfeld, Bekanntenkreis, bei der Arbeit, im Supermarkt oder bei meiner Frauenärztin sonst noch mit einer Behinderung herumläuft, dann ist das eine verdammt magere Ausbeute. Wie können solche Sprüche, die Berührungsängste und Vorurteile vieler Menschen widerspiegeln, vermieden werden, wenn Menschen mit Behinderung in Heimen wohnen und in Werkstätten arbeiten, abgeschottet vom Rest der Welt? Wenn sie in einer Parallelwelt leben, die sie vom Alltag der anderen separiert?

Durch meinen Alltag zieht sich systematische Ausgrenzung. Durch bauliche Barrieren, durch Gesetze, die mich nicht gleichstellen mit allen anderen. Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung auf eine staatlich finanzierte Assistenz angewiesen sind, dürfen in Deutschland bisher nicht mehr als 2.600 Euro ansparen. Alles, was darüber hinausgeht, wird vom Staat eingezogen, um die Assistenz zu bezahlen. Das Ansparen auf ein Auto, einen Laptop oder die Altersrente wird somit schwierig oder ist für viele unmöglich. Ab 2017 soll der Betrag endlich auf 25.000 Euro erhöht werden.

Ich erwähne das, weil es meine und die Realität vieler anderer Behinderter in Deutschland ist, nicht weil ich meckere, sondern weil es sich lohnt, über das Folgende einmal nachzudenken: Meine Behinderung gehört nicht nur mir allein, meine Behinderung wird von all denen mitverursacht, die mich und meinen Alltag so behindern, dass ich ihn nicht selbstverständlich leben kann.

Meine Behinderung ist für mich selbstverständlich. Der Umgang und das Leben mit ihr wurden zu meiner Normalität. Und damit diese Normalität nicht nur bei mir selbst bleibt, brauche ich Gesetze, die mich teilhaben lassen. Und das Verständnis, dass auch ich mit meiner Identität, zu der meine Behinderung ganz natürlich gehört, die Gesellschaft mitgestalte.