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Du sollst nicht löten...

... so lautet das erste Gebot vieler Firmen, die ihre Produkte so gestalten, dass man sie nicht reparieren kann. Die Bewegung der Repaircafés will Menschen ermächtigen, Technologie zu verstehen und Dinge wieder instand zu setzen

  • 5 Min.
Repaircafe

Sein Hawaiihemd ist mit bunten Papageien bedruckt, die grauen Haare sind zum Pferdeschwanz gebunden, und der rechte Zeigefinger steckt in einem Lederverband – da hat er sich mit der Säge verletzt, als er kürzlich sein Dach reparierte, um einen oft gehörten Rat zu befolgen: „Kümmer dich doch auch mal um deinen Kram!“

Denn meist kümmert sich Norbert Boenigk um den Kram der anderen. Um Toaster, Drucker und Wasserkocher. Der Techniker war in seinem Berufsleben jahrelang mit dem Lötkolben im Außendienst unterwegs, gab später Schulungen für den Nachwuchs und hat heute, als Rentner, eine Mission: Er wünscht sich einen Bewusstseinswandel. Reparieren statt wegschmeißen. Behalten statt ersetzen.

„Die Herabsetzung des Alten und Wertvollmachung des Neuen ist vielleicht die zentralste ökonomische Operation überhaupt“, hat der Philosoph Boris Groys gesagt, und tatsächlich ist Boenigks Mission angesichts einer konsumfreudigen Gesellschaft und einer Industrie, deren Wachstum auf ständigen Neuanschaffungen gründet, keine leichte. „Ich komme mir vor wie Don Quijote“, sagt der 68-Jährige. „Ich sitze falsch rum auf einem Esel, hab eine Stange in der Hand und komm nirgends ran.“

Norbert Boenigk engagiert sich im Repaircafé

Doch die kleinen Erfolgserlebnisse reichen aus, um den Retter von Toastern, Handys und Rasenmähern bei Laune zu halten. Deshalb engagiert er sich in verschiedenen Repaircafés in Berlin – unter anderem zweimal monatlich in einem Kinder- und Jugendzentrum in Berlin-Neukölln. Für Besucher gibt es dort erst einmal einen Kaffee, die Maschine hat Boenigk selbst aus dem Müll gefischt.

Vier ältere Herren haben sich um Boenigks randvollen mobilen Werkzeugkasten versammelt. Sie bohren, löten und schrauben. Einer haut gerade die Halterung eines alten Hammers in Form. Ein anderer läutet eine Glocke – das Zeichen, dass eine Reparatur erfolgreich abgeschlossen wurde.

Die ehrenamtlichen Repaircafé-Techniker beheben – immer gemeinsam mit den jeweiligen Besitzerinnen und Besitzern der Produkte – mechanische Defekte oder einfache Softwareprobleme, und manchmal werden auch gemeinsam kaputte Klamotten geflickt.

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Norbert Boenigk

Norbert Boenigk gibt selten auf. Bevor etwas im Abfall landet, wird erst mal gelötet und geschraubt. War die Reparatur erfolgreich, wird eine Glocke geläutet

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Repaircafe
Laut Boenigk wird es immer schwieriger, Laptops instand zu setzen: Akkus sind fest eingebaut, Bildschirme sind so verklebt, dass nur Profis sie auswechseln können

Das Konzept der Repaircafés hat sich in den letzten Jahren weltweit verbreitet, vor allem in Europa. Worauf es bei der Gründung solcher Cafés ankommt, beschreibt die niederländische Journalistin Martine Postma, die 2009 das erste Repaircafé in Amsterdam eröffnete, in einem Handbuch. Die Idee: Menschen reparieren gemeinsam bei Kaffee und Kuchen und unter Anleitung ehrenamtlicher Profis ihre Haushaltsgegenstände. Ein Beitrag zum sozialen Kitt im Kiez und zur Reduzierung der Elektroschrottberge, die alljährlich in die Höhe schießen.

Gleich mehrere Faktoren bewirken, dass Geräte immer früher entsorgt werden. Was Norbert Boenigk „das Marketing-Diktat“ nennt, führt zu einer vermeintlichen Alterung der Geräte: Schnell ist etwas Besseres mit neuen Features auf dem Markt. Und dann gibt es da noch die ewige Frage, ob es eine geplante „Obsoleszenz“ gibt. Das bedeutet, dass Unternehmen ganz bewusst eine kurze Lebensdauer in ihre Produkte einbauen. Eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes von 2016 hat für diese Annahme keine Belege gefunden. Tüftler Boenigk sieht dennoch Handlungsbedarf: Zwar ließen sich bei Produkten keine Sollbruchstellen nachweisen, aber es kämen Mechanismen und Materialien zum Einsatz, die eine gewisse Zeit gar nicht überdauern könnten. Ist ein Gerät dann defekt, sei die Reparatur oft ähnlich teuer wie eine Neuanschaffung.

Viele Geräte werde heute so gebaut, dass man sie gar nicht reparieren kann 

Es ist ein Teufelskreis. Dem Konsumenten fehlt das Bewusstsein oder das technische Wissen für eine Reparatur, und viele Teile sind so verbaut, dass ein Austausch kaum möglich ist. Als ein junger Mann vor dem Anhänger des Rollberger Repaircafés stehen bleibt und ein Handy mit kaputtem Display in die Runde zeigt, schütteln die Tüftler den Kopf. Einen Profi, sagt Boenigk, zeichne aus, dass er an der richtigen Stelle sagt: „Diese Tablette gibt es in meiner Apotheke nicht.“

Handys und Laptops, erklärt Boenigk, seien mit jeder neuen Generation schwerer instand zu setzen: die Akkus fest eingebaut, die Displays so verklebt, dass sie sich nicht von Halbprofis austauschen lassen. Oft bleibt die Wahl zwischen kostspieliger Profireparatur und ebenfalls teuren Ersatzteilen– oder der Entsorgung.

Weltweit gibt es über 53,6 Millionen Tonnen Elektromüll...

Laut der Organisation Global E-waste Statistics Partnership (GESP) belief sich der weltweit angesammelte Elektromüll 2019 auf rund 53,6 Millionen Tonnen. 2030 könnte laut der Prognose die Menge bei 74,7 Millionen Tonnen liegen. Nur rund 17,4 Prozent des Elektroschrotts wurden laut GESP 2019 in professionellen Anlagen recycelt, der Rest landete auf Müllhalden oder wurde verbrannt, oftmals in armen Ländern.

Auf dem „informellen“ (also nicht staatlich geregelten) Industriesektor des globalen Südens, zu dem auch die Elektroschrott-Bearbeitung gehört, arbeiten laut einem aktuellen Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 18 Millionen Kinder und Jugendliche. Die grausamen Zustände auf einer Müllkippe in Ghana, wo Menschen in Wolken aus giftigen Dämpfen Tag für Tag den Schrott der Industrienationen in Einzelteile zerlegen, waren 2018 in dem Dokumentarfilm „Welcome to Sodom“ zu sehen.

... zumindest deutschlandweit gibt es dafür fast 900 Reparatur-Initiativen

Doch bei allem berechtigten Pessimismus: Im Kleinen nimmt das Bewusstsein für Müllvermeidung zu. Fast 900 Projekte wie das Rollberger Repaircafé listet das Netzwerk Reparatur-Initiativen inzwischen deutschlandweit auf. Und auch Norbert Boenigk freut sich über immer mehr Zuspruch und Interesse: über Lehrer und Lehrerinnen, die sich an den Schulen Reparaturkurse wünschen, über das Berliner Technikmuseum, das jetzt ein dauerhaftes Repaircafé einrichten will

Am nächsten Tag ruft Boenigk den jungen Mann mit dem kaputten Handy vom Vortag an. Dass er ihn wegschicken musste, hat ihm keine Ruhe gelassen. Er bittet ihn, zum nächsten Repaircafé zu kommen, dann will er seine Wärmeplatte mitbringen und versuchen, Display und Bildschirm zu lösen. Einen Versuch ist es wert. „Was wir erreichen, ist viel zu wenig. Aber ganz untätig würde ich mich fragen: Hallo, hast du noch alle Tassen im Schrank? Ich will nicht nur reparieren, ich will was anschieben. Und wer weiß, vielleicht ist ja in zwei Jahren aus dem Flattern ein Taifun entstanden.“ Der Don Quijote im Hawaiihemd gibt seinen Kampf nicht auf.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.