„Wenn wir uns am Bild der Massenmedien orientieren, lernen wir heute alles darüber, wie Afrikaner sterben, aber nichts darüber, wie sie leben“, hat der schwedische Autor Henning Mankell einmal gesagt, der lange in Mosambik gelebt hat. Sein Vorwurf: Die westlichen Medien würden fast nur Negatives über Afrika berichten und sich auf die sogenannten K-Themen stürzen: auf Kriege, Katastrophen, Krisen, Krankheiten und Korruption.

Für die großen deutschen Tageszeitungen stimmt die Diagnose Mankells: In ihnen erfährt man viel über Terroranschläge und Seuchen – aber kaum etwas über den Boom in vielen Staaten Afrikas oder die Lebensrealität der meisten Afrikaner. Im Rahmen meiner Magisterarbeit habe ich circa 1.000 Artikel analysiert. In rund der Hälfte der untersuchten Beiträge, die zwischen 1999 und 2013 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, der „Frankfurter Rundschau“, der „Süddeutschen Zeitung“, der „taz“ und der „WELT“ erschienen sind, ist ein Krieg, Konflikt, Unfall oder eine Katastrophe das Hauptthema. Nur wenige Berichte kommen ohne negative Themen aus, und über Wirtschaft oder Kultur wird so gut wie gar nicht geschrieben. Die Berichterstattung über Afrika südlich der Sahara ist noch genauso klischeebeladen und verzerrt wie zur Jahrtausendwende.

Immerhin: Diskriminierende oder klischeehafte Begriffe wie „Buschmann“ oder „Naturvolk“ kommen nur noch selten vor

Im Mittelpunkt der Artikel stehen meist Eliten wie Regierungsvertreter und Militärs. Mitglieder der afrikanischen Zivilgesellschaften – etwa Unternehmer oder Aktivisten – kommen selten zu Wort. Eher wird über Deutsche berichtet. Allerdings nicht, wenn Schuldige genannt werden, dann sind dies meist Afrikaner. Lösungskompetenz wiederum wird eher westlichen Akteuren, Organisationen oder der UN zugeschrieben. „Mit deutschen Millionenkrediten wird Kenias wichtigste Eisenbahnlinie saniert“, titelt zum Beispiel die „WELT“, „Berlin hilft Afrika bei Vogelgrippe“, heißt es in der „FAZ“.

Ab und zu werden westliche Akteure sogar zu Heilsbringern stilisiert. So vermeldet die „WELT“ „mitten im Katastrophenwinter eine gute Nachricht aus Afrika“: Es sei „dem Westen – einmal mehr mit vereinten Kräften – gelungen“, genug Druck auf eine Regierung auszuüben. In der gleichen Zeitung ist vom „bettelarmen“ Malawi die Rede, wo Madonna ein Kind adoptiert hat. Für den Vater des Kindes, das fortan in den USA aufwachsen darf, müsse dies ein „Geschenk des Himmels“ sein, schreibt der Autor.

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Zeitungscollage Afrika  (Illustration: Daavid Mörtl)

Ziemlich eurozentristisch: das Bild, das deutsche Medien aus Afrika vermitteln

(Illustration: Daavid Mörtl)

Immerhin: Diskriminierende oder klischeehafte Begriffe wie „Buschmann“ oder „Naturvolk“ kommen nur noch selten vor. Zumindest im Schnitt: Die „WELT“ greift in jedem achten Artikel auf solche Begriffe zurück. Die „taz“ nur in jedem hundertsten. Zwischen den Zeilen schwingen jedoch öfter abwertende Inhalte mit. Etwa wenn in der „FAZ“ eine Autorin die südafrikanische Bürgerinitiative, die sich gegen ein Pharmaunternehmen wehrt, zum aufmüpfigen „Stamm“ umdichtet. Vom „dunklen Erdteil“ oder „Schwarzafrika“ ist auch immer mal wieder die Rede – das ist insofern problematisch, da solche Begriffe im Kolonialismus entstanden sind, wo sie zur Abgrenzung dienten.
Hochhäuser und U-Bahnen? Passen nicht ins exotische Afrika-Bild

In der Kolonialzeit liegen auch die Wurzeln der klischeebeladenen Berichterstattung. Denn damals, so analysiert es der Journalismusforscher Lutz Mükke, legten sich die Europäer ein Afrika-Bild zurecht, „das Eroberung, Beherrschung und Ausbeutung rechtfertigte und den Gegensatz zur vermeintlichen weißen Überlegenheit bildete.“ Dieses Bild hat überlebt. Dem langjährigen Afrika-Korrespondenten Bartholomäus Grill zufolge seien die in der Kolonialzeit geschaffenen „Zerrbilder“ von Afrika „unauslöschlich“, da Publizisten und Korrespondenten für stete Auffrischung der Klischees sorgten. „Da lesen wir von kriegerischen Rassen und wilden Stämmen, die kaum der Urexistenz entsprungen seien (…), von den entfesselten Mächten der Steinzeit“, beschreibt Grill seine Lektüre von Peter Scholl-Latours Bestseller „Mord am großen Fluß“. Solche Beschreibungen – Grill nennt es „Veteranenprosa“ – hätten eine nachhaltige Wirkung auf die Wahrnehmung des Kontinents.

„Entweder eine altruistische und oft mitleidige Haltung oder exotische Neugier“

Dazu passt die Einschätzung des Journalisten Patrick Leusch, dass sich die Beziehung der Deutschen zu Afrika „entweder über eine altruistische und oft mitleidige Haltung oder über exotische Neugier“ definiere. Denn Exotismus ist in der Berichterstattung immer wieder zu finden. Zum Beispiel, wenn die „WELT“ Äthiopien in einem Artikel als „geheimnisvoll“ und „am Rande der Welt“ tituliert. Eine solche Beschreibung ist umso interessanter, wenn man bedenkt, dass der Staat mit etwa 100 Millionen Einwohnern eines der wirtschaftlichen Zugpferde Afrikas ist, in dessen Hauptstadt Hochhäuser wie Pilze aus dem Boden schießen – während gleichzeitig aber auch Millionen Menschen im Land von einer Hungersnot bedroht sind.

Immerhin: Über das politische und wirtschaftliche Schwergewicht Äthiopien wird berichtet. Auch Artikel über Südafrika und die Demokratische Republik Kongo – hier liegt ein „taz“-Schwerpunkt – schaffen es ab und zu in die Auslandsressorts der überregionalen Tageszeitungen. Passiert nichts Katastrophales, wird aber selbst über große Länder wie Kamerun oder Tansania jahrelang kaum ein Wort geschrieben – so fanden sich in 1.000 untersuchten Artikeln zu 13 Staaten so gut wie keine Berichte. Um es bildlich zu machen: Über Sierra Leone wird quasi erst dann berichtet, wenn dort Ebola ausbricht.

Über Kriege und Krisen muss berichtet werden, keine Frage. Aber was ist mit all den anderen ebenfalls berichtenswerten Ereignissen? Es gibt Versuche, anders über Afrika zu informieren. Etwa in der „taz“, wo mit vielen freien Korrespondenten gearbeitet wird anstatt mit einem, der die meisten Berichte in einem südafrikanischen oder kenianischen Büro verfasst. Außerdem hat die „taz“ auch in der Redaktionszentrale einen Afrika-Redakteur. So berichtet sie trotz geringem Seitenumfang häufiger über Entwicklungen auf dem Kontinent als andere Zeitungen. Sowohl die „WELT“ als auch die „FR“ bestreiten ihre Afrika-Berichterstattung hingegen fast zur Hälfte aus Agenturmaterial. Das ist nicht unproblematisch: So machten Kritiker die Agenturen schon in den 1970er-Jahren für einen in ihren Augen dünnen und häufig verfälschten Nachrichtenstrom aus Afrika mitverantwortlich.

Einen jüngeren Versuch, anders zu berichten, unternahmen Studenten in Leipzig

Einen jüngeren Versuch, anders zu berichten, unternahmen Studenten Ende 2014 in Leipzig. Die mittlerweile in Berlin ansässigen Journalisten um Philipp Lemmerich haben das Nachrichtenportal „JournAfrica!“ gegründet: Dort gibt es Texte, die man sonst nur selten findet: Berichte über Banking in Malawi etwa, über politische Satire in Kenia oder über die Rolle lokaler Sprachen in Kamerun. Vor allem gibt es auf „JournAfrica!“ jedoch eines: Berichte von afrikanischen Autoren – die das 20-köpfige Team in Deutschland redigiert und übersetzt. Die afrikanische Perspektive ist das Markenzeichen der Plattform. Die Beiträge sollen dabei helfen, die Dynamiken des im Umbruch befindlichen Kontinents zu verstehen. „Und wir wollen versuchen, konstruktiv zu sein“, so Lemmerich. Also auch mal etwas zeigen, das funktioniert.

Besonders erfolgreich seien persönliche Artikel, bunte Storys oder das Thema Migration. Und langsam kommt das Angebot auch bei etablierten Medien an: So druckt die „Frankfurter Rundschau“ monatlich einen Artikel des Portals ab. Übrigens schreiben Autoren des Portals auch für „fluter“.

Noch arbeiten die Journalisten bei „JournAfrica!“ ehrenamtlich, per Crowdfunding haben sie Geld gesammelt, um zumindest den Autoren Honorare zahlen zu können. Seit kurzem gibt es auch eine Community und eine kritische Medienanalyse – den „Mediendschungel“.  „Wir haben die einseitige Berichterstattung über afrikanische Länder satt“, heißt es auf der Seite. Und: „Wir wollen zu einem Austausch auf Augenhöhe beitragen.“ Damit Menschen in Deutschland erfahren, wie Menschen in Afrika leben.

Fabian Scheuermann ist Volontär bei der Bundeszentrale für politische Bildung. In seiner Magisterarbeit hat er 15 Jahre Afrika-Berichterstattung unter die Lupe genommen. Dafür hat er knapp 1.000 Artikel der überregionalen Tageszeitungen „FAZ“, „FR“, „SZ“, „taz“ und „WELT“ analysiert. Ernüchternd war für ihn der Befund, dass sich die Berichterstattung über Afrika in 15 Jahren nicht verbessert hat. Dass in Mosambik mal ein Geier ins Getriebe eines Kleinflugzeugs geraten ist, wie in der „Süddeutschen Zeitung“ 2004 zu lesen war, hält er nicht für sonderlich berichtenswert; sehr wohl aber den Umbruch, in dem sich das Land befindet. Ob darüber mal jemand schreibt?

Titelbild: Daavid Mört