Durch meine Adern fließt die Hackerbrause Club-Mate, meine Finger fliegen wie von mir abgelöst über die Laptop-Tastatur, und ich flüstere „space“, „db“ oder „gem carrierwave“ vor mich hin. Seit sechs Stunden sitze ich mit etwa 40 anderen Frauen in einem lichtdurchfluteten Raum der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Draußen glitzert die Frühlingssonne auf der Spree. Ich verbringe meinen Samstag in einem Seminarraum – freiwillig.

Die IT-Branche ist eine Männerdomäne

Ich bin bei den „Rails Girls Berlin“, einer Initiative, die vor ein paar Jahren als Tochter der weltweiten NGO „Rails Girls“ gegründet wurde, um Mädchen und Frauen das Coden näherzubringen. Die Gründerinnen wollen eine Atmosphäre schaffen, in der sich der Einstieg für interessierte Frauen gut anfühlt. Denn viele, die eigentlich eine Affinität zum Programmieren haben, wagen sich in diese Männerdomäne nicht vor. Und das ist die IT-Branche mit einem Frauenanteil von etwa 15 Prozent leider immer noch.

Dabei ist Technologie heute einer der stärksten Hebel, um die Welt zu verändern.

Den Rails Girls geht es darum, mehr Mädchen und Frauen an diese technologischen Hebel der Macht und der politischen Einflussnahme zu bringen – und damit zugleich die Szene der ProgrammiererInnen mit diverseren Sichtweisen der Welt zu bereichern. „Es macht mir Sorgen, dass diese Veränderungen oder Umwandlungen nur von ein paar kalifornischen Jungs in den frühen Zwanzigern mit einer sehr engen Weltsicht angetrieben werden. Technologie ist die Zukunft, ein Teil der großen Revolution, die vor uns liegt“, hat Linda Liukas, eine der Gründerinnen, 2012 dem „Sistermag“ gesagt.

Auf dem Stundenplan stehen „Rails“ und „Ruby“

Lass mal Algorithmen programmieren

Unser Autor hat Nachhilfe bei zwei Informatik-Studenten genommen und gelernt: Auch einfache Algorithmen basieren auf erstmal schwer verständlichem Code -->Hier kannst du lesen, was er sonst noch gelernt hat

So weit denken wir blutigen Anfängerinnen an diesem Samstag im Seminarraum noch nicht. Wohl die wenigsten haben eine konkrete Idee, was sie mit ihrem neuen Programmiererwissen anfangen wollen – jedenfalls sagen sie es nicht. Erst mal geht es darum, dass wir uns an „Rails“, ein sogenanntes Web-Framework, und „Ruby“, die Programmiersprache, mit der man im Framework Webapplikationen schreiben kann, herantasten. Und natürlich: Wir sollen uns auch gegenseitig helfen und miteinander vernetzen. Dabei wird uns zunächst einmal eine sehr lange Leine gelassen und zugetraut, dass wir uns selbstständig mit den Programmen vertraut machen – was sich aufgrund der von den Rails Girls erstellten Online-Tutorials recht gut anlässt.

Neben mir sitzt Ariane, Volontärin, Mitte 20. Abwechselnd werfen wir Blicke auf den Bildschirm der anderen, um uns zu versichern, dass wir die Schritte auch wirklich so nachvollziehen wie vom Tutorial vorgegeben. Als Erstes machen wir uns daran, eine einfache Seite mit Unterseiten zu erstellen. Das ist das Ziel für heute.

Wir arbeiten im sogenannten Framework, einer Art Gerüst für die entstehende Applikation, das als Programm wiederverwendbare Strukturen zur Verfügung stellt, die dann das Ergebnis formen. Um diese abzurufen und miteinander zu verknüpfen, geben wir Codes – also Abkürzungen für Befehle – in das eine Fenster ein und betrachten im anderen das Resultat. Wir setzen Schriftzüge ein, verlinken diese, ändern die Schriftarten – alles mittels des Codens, nicht mal eben mit der rechten Maustaste.

Ich gehöre hier zu den Jüngsten. Es kommen Frauen verschiedenen Alters – von 20 bis 60 Jahren – zusammen, deutsch- und englischsprachig. Manche haben konkret nach einem Coding-Workshop gesucht, andere sind ganz zufällig darauf gestoßen oder wurden von Freundinnen auf die Rails Girls aufmerksam gemacht. Die Frauen kommen aus unterschiedlichen Städten und Arbeitsbereichen. Das erzählen wir uns in den Pausen am Kaffeestand und bei kleinen Gruppenvorstellungsrunden. Auch wer keinen eigenen Laptop hat, ist willkommen.

Mal reagiert das Programm nicht auf meine Befehle, mal verliere ich mich in der langen Anleitung

Die Veranstalterinnen legen Wert auf eine möglichst diverse Gruppe und möchten, dass sich alle Teilnehmerinnen auf dem ihnen unbekannten Terrain wohl und sicher fühlen. Wer mitmachen möchte, muss vorher den „Code of Conduct“ unterschreiben. Das ist eine Art Verhaltenskodex, der die Erwartungen der Veranstalterinnen an die Teilnehmerinnen beschreibt und der sie zu einem rücksichts- und respektvollen Verhalten anhält. Und auch zu Beginn des Workshops wird an alle appelliert, auf einen bewussten und gerechten Sprachgebrauch zu achten, damit es für alle eine positive Erfahrung wird und eine gute Lernatmosphäre entsteht.

Kommerz lass nach

Im Internet geben Konzerne wie Facebook und Alphabet (besser bekannt als Google) den Ton an. Aber es existiert auch eine Gegenwelt, in der nicht nur der Profit zählt --> mehr darüber erfährst du in diesem Artikel

Mir gegenüber sitzt Beate, eine Bankerin von Mitte 50, die seelenruhig vor sich hin tippt und dabei offenbar auf keinerlei Probleme stößt. Bei mir ist es leider ganz anders: Mal reagiert das Programm nicht auf meine Befehle, mal verliere ich mich in der langen Anleitung. Gut, dass um unsere vierköpfige Gruppe drei internationale TrainerInnen aus Polen, Australien und Spanien herumwuseln, die eine ungemein große Gelassenheit an den Tag legen und uns jederzeit weiterhelfen, wenn es mal ein Problem gibt.

Meine Befürchtung, ich könnte mich hier blockiert fühlen wie früher so oft in Mathe-Nachhilfestunden, war offenbar unbegründet. Obwohl die TrainerInnen alle IT-Profis sind, müssen sie sich oft auch erst einmal untereinander beratschlagen oder selbst mal kurz googeln. Das befürchtete Augenrollen jedenfalls bleibt aus.

Die Person, die einst den Grundstein zum Programmieren legte, war eine Frau: Ada Lovelace

Damit unsere auf Hochleistung arbeitenden Köpfe genug Energiezufuhr erhalten, gibt es ein Buffet, zu dem jede Teilnehmerin eingeladen war, etwas beizutragen. Wir stopfen uns mit Nudelsalat, Spinat-Blätterteigtaschen und Baklava voll, schnappen ein wenig frische Luft und lassen uns, erschöpft und elektrisiert zugleich, auf die Plastikstühle fallen. Die gute Lernatmosphäre und Kostenlosigkeit des Workshops – niemand wird für den Workshoptag bezahlt, und niemand muss dafür zahlen, Materialien, Getränke und Räumlichkeiten werden von lokalen Sponsoren finanziert – sind zwei der Anreize, mit denen die Rails Girls Frauen zum Programmieren animieren möchten. 

Möchtest du auch?

Die Rails Girls gibt es in über 30 Städten innerhalb und außerhalb Deutschlands. Auf ihrer Website schreiben sie übrigens, dass sich auch Jungen und Männer bewerben können, je nach Kapazitäten Frauen aber Vorrang haben. Wer bei den Rails Girls nicht unterkommt, hat aber noch eine Menge Alternativen: Es gibt es ein großes Spektrum an anderen Netzwerken und Initiativen, zum Beispiel die CodeWeek, die Opentechschool, die ClosureBridge. Auch viele Volkshochschulen bieten Programmierkurse auf unterschiedlichen Niveaus und sind meist für Schüler*innen und Student*innen besonders erschwinglich. Eine weitere Möglichkeit, sich ans Coden heranzutasten, sind Online-Tutorials und Foren. Auch die Rails Girls stellen einige Tutorials auf ihrer Website zur Verfügung, man findet sie aber auch bei Youtube und über andere Netzwerke wie die CodeAcademy oder die CodeSchool.
 

Und wer es dann richtig wissen will, kann sich auch an ein Studium im Informatik-Bereich heranwagen oder eine Ausbildung zur/m Fachinformatiker*in für Anwendungsentwicklung machen. Die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin bietet übrigens einen Bachelorstudiengang zu Informatik und Wirtschaft nur für Frauen an. In Rheinland Pfalz gibt es das Ada-Lovelace-Mentoring-Netzwerk für Frauen in MINT-Fächern.

Andere sind zum Beispiel, dass die Person, die einst den Grundstein zum Programmieren legte, eine Frau war: die 1815 geborene Ada Lovelace. Oder dass mit der Programmiersprache, die wir nun, am frühen Nachmittag, bereits in den Grundzügen kennen, auch „Twitter“ geschrieben wurde. Dies alles erfahren wir nach der Mittagspause in den fünf- bis zehnminütigen „Lightening Talks“, die die TrainierInnen geben. Das sind kleine Vorträge, die eine Menge Witze, Emojis und PowerPoint-Effekte beinhalten und Titel wie „How to be a badass“ tragen. Da geht es zum Beispiel um die Bandbreite von Programmiersprachen und -tools oder um die Frage, welche Möglichkeiten zur Vernetzung es innerhalb der Community gibt. Und jede Menge Tipps zum Weiterlernen nach dem Seminar. Spätestens jetzt wird klar: Das hier war allerhöchstens ein Reinschnuppern, da jetzt wirklich dranzubleiben wäre eine Menge Arbeit.

Ich platze beinahe vor Stolz über meine erste Webapplikation

Nach den Lightening Talks machen wir uns noch einmal an unsere eigenen Webapplikationen. Am Ende habe ich eine einfache Seite mit weißem Hintergrund erstellt. Sie zeigt eine Übersicht meiner Unterseite mit den verlinkten Kategorien: Name, Beschreibung, Bild. Ich lege spontan die Seiten „Lakritze“ mit der Unterschrift „lecker“ und „Girl Power“ mit der Unterschrift „so cool“ an und lade dazu passende Fotos hoch. Zwar sind die Bilder zuerst nicht in der Vorschau zu sehen und erscheinen, wenn man darauf klickt, merkwürdig groß im Vergleich zur kleinen Schrift. Trotzdem platze ich beinahe vor Stolz über meine Programmierleistung!

Am Ende des Tages machen wir mit allen erschöpft dreinblickenden Teilnehmerinnen ein Gruppenfoto. Ich klebe mir einen Rails-Girls-Sticker auf meinen Laptop und muss in der U-Bahn ein wenig kichern bei dem Gedanken, dass die Teilnehmerinnen zu Hause ihre Laptops aufklappen, um anderen Menschen stolz die selbst gemachte Webapplikation zu zeigen. Denen sieht man nun wirklich nicht an, wie viele Stunden Arbeit drinstecken.

Auch ein paar Tage später bin ich noch ganz selig erfüllt vom Workshop, klicke mich durch die bestehenden Netzwerke und nehme auch den Informatik-Frauenstudiengang in Berlin noch mal unter die Lupe. Aber Dranbleiben ist für mich trotzdem kein Thema. Dafür müsste ich mir schon zweifelsfrei zutrauen, dass ich mir diese Dinge auch in Eigenregie weiter erschließen könnte. Ich bin aber davon überzeugt, dass der Workshop bei der einen oder anderen Teilnehmerin ins Schwarze trifft und an jenem Wochenende ein paar Quereinsteigerinnen mehr für das Netzwerk und die IT-Branche gewonnen worden sind.

Titelbild: Kostis Vokas