Es war eine befremdliche Äußerung, nicht nur für alle Pflegekräfte, Erzieher, Hebammen und sonstige Geringverdiener: In der Bundesliga verdienten sie „eher zu wenig“, befand Fußballprofi Sandro Wagner unlängst in der „Bild“-Zeitung. Wer es zum Profi bringen wolle, müsse große Opfer bringen („kannst nicht einfach in die Disco abends“). Und daran gemessen seien selbst die Millionengehälter des FC Bayern zu schmal.

Die große Mehrheit der deutschen Spitzensportler – Leichtathleten, Turner und Gewichtheber, die nicht im Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit stehen – muss mit deutlich weniger Geld auskommen als die Fußballprofis in den oberen Ligen – einer Studie aus dem Jahr 2010 zufolge mit durchschnittlich 626 Euro pro Monat. Medaillen bei internationalen Wettbewerben holen sollen sie trotzdem, wie die viel diskutierten Zielvereinbarungen des für den Sport zuständigen Bundesinnenministeriums (BMI) zeigen.

Millionen-Gehalt? Fehlanzeige. Kuffners Miete zahlen seine Eltern

„Ziemlich fragwürdig“ fand Andreas Kuffner das Statement deshalb. Der Hüne mit dem Schumi-Kinn hat 2012 bei Olympia in London die Goldmedaille im deutschen Ruder-Achter gewonnen und sich in den vergangenen Monaten intensiv auf die Spiele von Rio vorbereitet. Sieben Tage pro Woche hat er trainiert, zwei- bis dreimal am Tag. Zusammen mit den Fahrtzeiten, den Physiotherapie- und Regenerationseinheiten war das ein Fulltimejob. Millionengehalt? Fehlanzeige. Kuffners Miete zahlen seine Eltern.

Außerdem unterstützen ihn sein Ruderverein, der Olympiastützpunkt Berlin und vor allem die Deutsche Sporthilfe. Die durch Spenden, Vermarktung und Lotteriegelder finanzierte Stiftung fördert insgesamt rund 3.800 Sportler mit jährlich bis zu 12,5 Millionen Euro. Der 29-Jährige, der nun schon sein halbes Leben rudert, erhielt anfangs 75 Euro im Monat, mittlerweile ist er im A-Kader angelangt und erhält in den anderthalb Jahren vor Olympia eine spezielle Förderung von 1.500 Euro pro Monat. Die hält ihm jetzt erst einmal den Rücken frei, nach dem Wettkampf ist damit aber Schluss.

„Finanziell gesehen lohnt sich der Aufwand für mich sicher nicht“, sagt Kuffner. In Nichtolympiajahren reiche das Geld gerade so, Rücklagen bilden könne er nicht. Auch die Siegprämie für die Goldmedaille von London habe daran nichts geändert: 15.000 Euro zahlte ihm die Sporthilfe, in diesem Jahr wären es für dieselbe Platzierung 20.000 – ausgezahlt jeweils über den Verlauf eines Jahres.

Statt über die kärgliche Finanzierung zu jammern, entschied sich der Ruderer für ein Studium im Fach Wirtschaftsingenieurwesen, derzeit schreibt er an seiner Masterarbeit. Seit Studienbeginn hat er trotz seiner Verpflichtungen als Profisportler nur vier Semester über die Regelstudienzeit hinaus angehäuft. Vollzeitjob plus Vollzeitstudium – Kuffner schont sich nicht. Über die Jahre hat er allein Tausende Stunden im Zug verbracht: Er lebt und studiert in Berlin, die Ruderer des Deutschland-Achters trainieren in Dortmund.

Eine Alternative, die derzeit rund 1.000 Sportler in Anspruch nehmen, ist die Spitzensportförderung des Bundes, die ihnen durch eine Anstellung bei der Bundespolizei, beim Zoll oder etwa der Bundeswehr ermöglicht wird. Wer als Topathlet beim Bund arbeitet, kann sich weitestgehend auf den Sport konzentrieren, wird etwa von beruflichen Verpflichtungen wie Lehrgängen befreit – und hat trotzdem ein sicheres Einkommen.

Das ist umstritten. „Vor 30 Jahren haben wir auf den Ostblock und seine ‚Staatsamateure‘ geschimpft“, sagt etwa Wolfgang Maennig, der 1988 selbst Olympia-Gold im Ruder-Achter gewann und heute Professor für Wirtschaftswissenschaften ist. Es sei verpönt gewesen, dass die Sportler dort beim Militär angestellt waren, aber in Wirklichkeit keine Ausbildung absolvierten und keinem Beruf nachgingen, sondern nur ihren Sport betrieben. „Heute machen wir genau das Gleiche.“

„Wo bleibt unser Idealbild von mündigen, ganzheitlich entwickelten Athleten?“

Dabei halten Experten das Modell nicht bloß für ein Relikt des Kalten Krieges, auch die Effektivität der Förderpraxis sei bereits in einigen Untersuchungen widerlegt worden. Die Sportsoldaten und -soldatinnen würden zu wenig gefordert und ließen sich einlullen. „Auch die trainingsintensivsten Sportarten nehmen nicht den ganzen Tag ein“, sagt Maennig. Die Lücken würden mit Skat und Fernsehen gestopft, am Ende entwickelten sich viele auch sportlich schlechter als ihre Kollegen außerhalb der Bundeswehr. „Wo bleibt unser Idealbild von mündigen, ganzheitlich entwickelten Athleten?“

Andreas Kuffner hat mittlerweile eine Perspektive für das Leben nach der Sportlerkarriere. Geholfen habe ihm auch hier die Deutsche Sporthilfe mit ihrer dualen Karriereförderung, die unter anderem die Vermittlung von Praktika und Mentoren beinhaltet. Das BMI hat ein ähnliches „Sprungbrett“ geschaffen, um Leistungssportlern im Anschluss an ihre Sportkarriere den Einstieg ins „normale“ Berufsleben zu erleichtern, und auch bei der Bundespolizei sind die beruflichen Perspektiven für Sportler gut.

Mitglieder der Sportfördergruppen der Bundeswehr hingegen erzählen hinter vorgehaltener Hand, dass sie für eine Bundeswehrlaufbahn eigentlich gar nicht geeignet seien. Sieben Jahre ist einer dabei, die Lehrgänge kann er an einer Hand abzählen: „Wie man eine P8 auseinanderbaut? Weiß ich nicht mehr.“ Das deckt sich mit der Einschätzung von Professor Maennig: „Zu viele stehen nach den Jahren in Bundeswehr und Spitzensport vor dem beruflichen Nichts.“ Das Bundesverteidigungsministerium kommentierte diese Kritik auf Anfrage nicht.

Die deutsche Sportförderung sei ineffizient und voller Interessenkonflikte, sagt Sportwissenschaftler Arne Güllich

Wo liegt das Problem mit der Sportförderung also? Es gebe zu wenig Geld für die Sportler, ist regelmäßig vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) zu hören. Dabei gab allein das BMI im vergangenen Jahr rund 157 Millionen Euro für den Spitzensport aus, das Geld ging etwa an die einzelnen Verbände oder wurde in Sportstätten gesteckt. Es sei nicht ersichtlich, nach welchen Kriterien die öffentlichen Gelder verteilt werden, stellte der Bundesrechnungshof fest. Die deutsche Sportförderung sei ineffizient und voller Interessenkonflikte, sagt Sportwissenschaftler Arne Güllich, der zwölf Jahre beim DOSB tätig war.

Beim Bundesministerium des Innern kennt man die Kritikpunkte und sieht durchaus auch Handlungsbedarf: Nach den Spielen von Rio wolle das Ministerium gemeinsam mit dem DOSB ein Konzept zur Neuausrichtung der Sportförderung vorstellen, sagte die Pressesprecherin auf Anfrage von fluter.de. Vom Streben nach Medaillen wird das BMI aber nicht abrücken: Zu wichtig sei die „gesamtstaatliche Repräsentation“. Außerdem würden die Steuerzahler Erfolge erwarten.

Die meisten Sportler selbst sprechen zurückhaltend über diese Themen. Nur eins ist wohl für keinen von ihnen akzeptabel: mehr von den Sportlern fordern, aber nicht auch bereit sein, dafür mehr in den Sport zu investieren.

Wenn Andreas Kuffner sich etwas wünschen könnte, wäre das dennoch nicht in erster Linie mehr Geld. Lieber wäre ihm mehr Aufmerksamkeit für Randsportarten. Damit ist natürlich auch das Finanzielle verbunden, es geht ihm aber auch um Anerkennung für das, was er macht. Für ihn ein erster Schritt: eine „Sportschau“, die ihren Namen verdient – also nicht größtenteils bloß eine Fußballschau ist.

Titelbild: Renke Brandt