„Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näherzutreten.“ Noch heute macht der US-amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau mit Sätzen wie diesem aus seinem 1854 erschienenen Buch „Walden“ vor allem viele Städter ganz hibbelig. Raus aus der Stadt, aus der Globalisierung, aus dem Konsumwahnsinn, aus der Entfremdung – das wäre es doch. Im Einklang mit der Natur leben, das wahre Leben spüren, gute Luft einatmen, wäre das nicht besser? Und auch umweltfreundlicher?

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Sorry Amigo, die Leute holen sich ihre Pilze im Supermarkt um die Ecke – ist vielleicht auch umweltfreundlicher (Foto: Jordis Antonia Schlösser/OSTKREUZ)
(Foto: Jordis Antonia Schlösser/OSTKREUZ)

Sorry Amigo, die Leute holen sich ihre Pilze im Supermarkt um die Ecke – ist vielleicht auch umweltfreundlicher

Es ist wohl kein Zufall, dass der Bekleidungshersteller Schöffel in einem Spot so wirbt: „An alle Proteindrinktrinker, Indoorstepper, Laufbandläufer... macht erst mal ohne mich weiter. Ich bin raus.“ Und dass ein neues Magazin mit dem Namen „Walden“ vor kurzem gegründet wurde, Untertitel: „Die Natur will dich zurück“.

Der Haken an der Sache: Es gibt viele Anzeichen dafür, dass das nicht stimmt. Die Natur kann den Menschen gar nicht zurückwollen, weil er, sobald er ihr näher rückt, sie zu zerstören beginnt. So argumentiert jedenfalls Edward Glaeser, Ökonomieprofessor an der amerikanischen Elite-Universität Harvard, und führt dafür in seinem 2011 erschienenen Buch „Triumph of the City“ auch das Beispiel Thoreau an. Als der etwa nach dem Fischen ein Feuer machte, gingen gleich mehr als 120 Hektar Wald in Flammen auf. Glaesers Moral der Geschichte: „Wir sind eine destruktive Spezies, und wer die Natur liebt, sollte ihr fernbleiben. Die beste Weise, die Umwelt zu schützen, ist, im Herzen der Stadt zu leben.“

Auch wenn es in der Praxis eher die Alltagsgewohnheiten in den Bereichen Verkehr und Konsum statt Lagerfeuer sind, welche die Umwelt bedrohen, macht diese These hellhörig. Und Glaeser liefert Zahlen zur Unterstützung seiner Thesen zumindest über die Situation in den USA: 40 Prozent der Treibhausgase, die ein US-Amerikaner freisetzt, stammen aus Autoauspuffen und dem Energieaufwand für das Haus (Strom, Gas und Heizung). Dass Menschen in den Vorstädten und auf dem Land mehr Auto fahren, verwundert nicht, schließlich gibt es keinen öffentlichen Nahverkehr, und viele pendeln lieber mit dem Auto als mit der Bahn.

In der Stadt ist es einfacher, umweltfreundlich zu leben

Laut Glaeser ergibt sich daraus, dass ein städtischer Haushalt bis zu 3,4 Tonnen weniger CO2 pro Kopf und Jahr in die Luft bläst, als er es auf dem Land tun würde. Aber auch die Häuser verbrauchen mehr CO2 auf dem Land. Meist einfach deshalb, weil mehr Leute dort in Einfamilien- statt in Mehrfamilien- oder Reihenhäusern wohnen. Mehr Platz für sich zu haben ist ja für viele der Hauptgrund, überhaupt aufs Land zu ziehen. Deshalb verbrauchen sie aber auch mehr Energie: Allein der Stromverbrauch der ländlichen Haushalte in den USA ist im Durchschnitt um 88 Prozent höher als der von städtischen Haushalten.

Insgesamt ergibt sich aus dem höheren Heizungs- und Stromverbrauch ländlicher Haushalte in den USA eine Mehrbelastung der Umwelt von fast sechs Tonnen CO2 pro Haushalt, rechnet Glaeser aus. Und sechs Tonnen sind statistisch eine Menge. Zum Vergleich: Durchschnittlich verursacht ein US-Amerikaner 16 Tonnen CO2 im Jahr, ein EU-Bürger 6,8 Tonnen. Nun ist Glaeser einer von vielen Ökonomen, und in den Vereinigten Staaten unterscheiden sich die Verkehrsbedingungen von Deutschland.

Fragt man bei deutschen Experten nach, erfährt man, dass es Vergleichsstudien zwischen Stadt und Land wie die von Glaeser zwar hierzulande nicht gibt. Überrascht von seinen Thesen und Ergebnissen sind sie aber nicht. „In der Stadt ist es einfacher, umweltfreundlich zu leben, als auf dem Land“, sagt Daniel Bleher der beim Öko-Institut, einem privaten Umweltforschungsinstitut in Freiburg, für Infrastruktur und Unternehmen zuständig ist. Vor allem liege das daran, dass die Menschen in ländlichen Regionen mehr Auto fahren. „Und das Autofahren macht nun einmal durchschnittlich ein Viertel des ökologischen Fußabdrucks eines jeden aus.“

Christine Wenzl, Expertin für Nachhaltigkeitsstrategie beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), pflichtet ihm bei. Allerdings ist eine Flucht in die Stadt, wie Glaeser sie begrüßt, für Wenzl auch keine Lösung. „Die Umwelt in vielen ländlichen Gebieten leidet darunter, dass die Menschen wegziehen“, sagt sie. Tatsächlich verlieren ländliche Regionen trotz all dem Outdoor-Enthusiasmus einiger Städter seit Jahren Einwohner – aufgrund der Abwanderung vieler junger Menschen in die größeren Zentren und einer niedrigen Geburtenrate.

Gehen immer mehr Leute in die Stadt, schadet das der Umwelt aber auch

Das Resultat: Die, die übrig geblieben sind, fahren noch mehr Auto. Je weniger Menschen in einem Ort wohnen, desto unwirtschaftlicher ist es dort für die alteingesessenen Einzelhändler. Die Zeiten sind vorbei, in denen auch in den kleinsten Dörfern der Tante-Emma-Laden die Bewohner mit dem Nötigsten versorgte. Dafür muss man heute meist in die größeren Gemeinden fahren. Ähnliches gilt für Arbeitsplätze und Ausbildung: Dienstleistungen, Gewerbe, Behörden und Schulen konzentrieren sich auf immer weniger zentrale Orte. Folgt man den Argumenten von Glaeser, scheint es ein Teufelskreis zu sein, der sich auch durch mehr Zuzug in die Städte nicht lösen lässt: Denn in der Stadt lässt es sich zwar weniger umweltschädigend leben. Gehen aber immer mehr Leute in die Stadt, schadet das der Umwelt auch, weil die auf dem Land Verbliebenen der Umwelt dann noch mehr schaden.

Aber es gibt auch Forschungsergebnisse, die ein anderes Bild zeichnen. Sie kommen aus Finnland, einem Sehnsuchtsort vieler Naturliebhaber. Jukka Heinonen, jetzt an der Universität Island in Reykjavík, hat mit Kollegen ebenfalls untersucht, ob Städter oder Dörfler den größeren CO2-Fußabdruck haben. Und er kommt zu ganz anderen Ergebnissen als Edward Glaeser in den USA. Die genaue Bilanz: 9,6 Tonnen pro Kopf und Jahr in den Städten, 9,5 Tonnen pro Jahr in semiurbanen Gebieten und 8,9 Tonnen in den ländlichen Gemeinden.

Heinonens Begründung: Stadtbewohner sind meist wohlhabender als Menschen in ländlichen Gebieten. Mit dem urbanen Lebensstil verbrauchen Städter mehr Waren und konsumieren mehr Dienstleistungen. Zwar benutzten sie mehr öffentliche Verkehrsmittel, dafür reisten sie aber öfter mit dem Flugzeug. Vielleicht kommt es also gar nicht so sehr darauf an, ob man in der Stadt oder auf dem Land lebt, um der Umwelt möglichst wenig zu schaden. Vielleicht sollte man einfach mehr darauf achten, wie man lebt.