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Wenn die Müllabfuhr nicht kommt

Viele Menschen in Indonesien verbrennen oder vergraben ihren Abfall. Private Müllbanken wollen das ändern – mit Sparbüchern für altes Bratöl und Plastik

Auf dem Fahrersitz ist kaum Platz für Ika Augustin, so hoch stapeln sich auf ihrem Moped die leeren Kartons und ordentlich verschnürten Pakete mit Plastikverpackungen. Kaum angekommen auf dem Parkplatz, helfen ihr drei Frauen, alles auf eine Lastenwaage zu hieven, neben der sich bereits meterhoch andere Abfälle türmen. 9,5 Kilogramm wiegen die Pappkartons. Die Plastikpakete bringen es auf einer kleineren Waage, die wohl noch aus der holländischen Kolonialzeit stammt, auf immerhin 113 Gramm. „Das macht zusammen 10.600 Rupiah (68 Cent) für mein Sparbuch“, rechnet die Händlerin vor.

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Ika Augustin (Foto: C. Schott)

Heute bringt Ika Augustin Kartons und Plastik zur Müllbank, aber auch Bratöl oder Seifenreste kann sie abgeben

(Foto: C. Schott)

Seit zehn Jahren bringt die 39-Jährige jeden Sonntagvormittag alle wiederverwertbaren Abfälle aus ihrem Tante-Emma-Laden und ihrem Haushalt zu einer Müllbank in der indonesischen Großstadt Yogyakarta. „Müll ist ein großes Problem in Indonesien, und der Staat kümmert sich kaum darum“, sagt Augustin.

Wie jeder Kunde hat auch Augustin bei der Müllbank ein Sparbuch eröffnet. Darin wird je nach Material und Gewicht der angelieferten Abfälle fein säuberlich der Gegenwert eingetragen, den eine Recyclingfabrik dafür bezahlt. Am meisten bringen durchsichtige Plastikflaschen, sauberes Zeitungspapier, Metalle und wiederverwendbare Batterien. Aus Seifen- und Kerzenresten stellen die Mitarbeiter selbst neue Produkte her. Aus ausgewählten Verpackungen basteln sie Tischdeko und Lampenschirme, um sie zu verkaufen. Selbst altes Bratöl sammeln sie ein, um es an eine Biodieselfabrik weiterzuverkaufen.

Die Müllbank öffnet nur am Wochenende, weil alle Beteiligten ehrenamtlich helfen. So wie die 76-jährige Sumarsih: „Mir macht das viel Spaß“, sagt sie. „Wir essen dann auch zusammen und erzählen uns den neuesten Klatsch.“

13 Kilometer weiter südlich liegt die älteste Müllbank Indonesiens. Ein großes Schild an der Hauptstraße weist auf einen holprigen Weg, der durch frisch abgeerntete Reisfelder zu einem bunt bemalten Häuschen führt. Vor dem Eingang stehen verschiedenfarbige Mülltonnen und ein Plastikmann mit Engelsflügeln aus Silberpapier. Hinter dem Büro schließen sich ein Lagerraum für Verpackungsmüll, ein Obstgarten und eine Kompostanlage an. Besucher aus aller Welt sind hier keine Seltenheit – meist kommen sie zu Studienzwecken.

„Ohne einen finanziellen Anreiz macht ein Großteil der Bevölkerung nicht mit.“

2008 kam dem Umwelttechniker Bambang Suwerda die Idee, die Müllbank zu eröffnen. Auf seinem Campus hatte der Hochschuldozent zu jener Zeit bereits eine „Müllwerkstatt“ eingerichtet, in die Studenten alle möglichen Materialien zum Recyceln bringen konnten. „Wozu nützt all unser Wissen, wenn wir es nicht mit der Gesellschaft teilen?“, sagt der 50-Jährige. Monatelang habe er damals mit lokalen Persönlichkeiten gesprochen, sei durch Dorfversammlungen, Hausfrauenkreise und Jugendtreffs gezogen. „Wirklich gut fanden die Leute meine Idee aber erst, als sie verstanden, dass sie mit Müllsammeln auch Geld verdienen können.“ Von Anfang an war der Großteil seiner Kunden weiblich, viele sparen das Geld für die Ausbildung ihrer Kinder.

Indonesien gilt nach China als zweitgrößter Plastikmüllverschmutzer der Weltmeere, wobei ein großer Teil des Mülls aus „westlichen“ Ländern nach Indonesien exportiert wurde. Fünf der dreckigsten Flüsse der Welt fließen auf der Insel Java, wo auch Suwerdas Müllbank liegt. Eine flächendeckende staatliche Müllabfuhr gibt es in Indonesien nicht. Die meisten Bewohner vergraben oder verbrennen daher ihren Abfall oder werfen ihn in die Flüsse. Die Regierung reagiert nur schleppend auf das Problem. Als Vorreiter hat die Provinz Bali kürzlich Einwegplastik verboten, andere wollen folgen.

Stiehlt sich der Staat aus der Verantwortung?

Vor etwa zehn Jahren, als Suwerda seine Müllbank eröffnete, sah das anders aus; erst allmählich sickerte das Problem „Abfall“ in die öffentliche Debatte. Die indonesische Regierung verabschiedete 2008 ein Gesetz, um Müll zu vermeiden und für mehr Recycling zu sorgen. „Die Regierung hat anfangs kein Interesse an den Müllbanken gezeigt“, sagt Suwerda. „Erst als die Medien immer größer über uns berichteten, sprang das Umweltministerium auf den Wagen auf“, berichtet er. „Vermutlich hatten die Offiziellen damals noch keine bessere Idee, wie sie das neue Gesetz umsetzen sollten.“

„Müllbanken wie die von Suwerda haben schon eine gute Struktur, die vollständiger ist als unsere eigene“, erklärt Wahid, stellvertretender Leiter der zuständigen Umweltbehörde. „Wir weiten lieber die Kooperation aus.“ Eine verpflichtende allgemeine Müllabfuhr einzuführen, hält der ehemalige Stadtentwicklungsplaner für wenig erfolgversprechend. Gemeinden, die einen solchen Service wünschen, könnten diesen mittlerweile auch beantragen – vielerorts sei man bereits im Einsatz. „Aber ohne einen finanziellen Anreiz macht ein Großteil der Bevölkerung nicht mit“, sagt Wahid, „das Umweltbewusstsein ist einfach zu gering.

Auf den ersten Blick ist es eine Erfolgsstory: Rund 7.000 Müllbanken sind in den vergangenen zehn Jahren in Indonesien entstanden. Doch sind längst nicht alle aktiv, einige öffnen nur einmal im Monat oder noch seltener. Ihr Erfolg steht und fällt mit der Anzahl der Leute, die sich bei den Müllbanken ehrenamtlich engagieren. Eine flächendeckende Müllentsorgung wird in Indonesien erst möglich sein, sagen Kritiker, wenn der Staat die Verantwortung dafür übernimmt. Bezahltes Personal, um jeden Tag Abfall anzunehmen, können sich bisher nur die großen leisten. Suwerdas Müllbank hat mittlerweile zwei Angestellte – und 1.600 Kunden.

Titelbild: CHAIDEER MAHYUDDIN/AFP via Getty Images

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