Mal ganz respektlos gefragt: Warum beschäftigt sich eigentlich ein ganzer Forschungsbereich mit dem Thema Respekt?

Respekt ist eine zentrale Form sozialer Anerkennung und so etwas wie der Kitt der Gesellschaft. Im Alltag sprechen wir von Respekt, wenn jemand eine besondere Leistung in der Schule, bei der Arbeit oder beim Sport erbracht hat. Unsere Forschung hat jedoch gezeigt, dass Menschen Respekt vor allem mit der Anerkennung als gleichwertiges Gegenüber verbinden. In einer liberalen Gesellschaft steht Respekt jedem Menschen gleichermaßen zu. Er ist wichtig, um uns als gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft zu verstehen.

Warum ist Respekt so wichtig für den Zusammenhalt in der Gesellschaft?

Wer respektvoll behandelt wird, hat das Gefühl, nicht übergangen zu werden, ernst genommen und gehört zu werden. Es ist ein grundlegender Wert unseres Miteinanders und ermöglicht Autonomie, Partizipation und die Identifikation als gemeinsame Gruppe. Respekt, und auch andere Formen sozialer Anerkennung, prägen unser Selbstbild von frühester Kindheit an und sind für eine gesunde Identitätsentwicklung wichtig.

Warum bekommen manche Menschen mehr und manche weniger Respekt?

Wer von „Respektsperson“ spricht, meint eine Definition von Respekt, die Leistung oder Autorität zugrunde legt. Der Bundespräsident, eine Polizistin oder ein Lehrer erhält zum Beispiel Anerkennung für ihre besondere Leistung oder Rolle. Gleichheitsbasierter Respekt sollte hingegen nicht unterschiedlich verteilt sein, da er sich auf die Anerkennung von grundlegenden Rechten bezieht. In einer gerechten Gesellschaft sollte jeder das Gefühl bekommen: „Du bist gleichberechtigt und wirst ernst genommen.“

Darf ich denn auch mal jemanden richtig blöd finden und nicht respektieren?

Respekt heißt doch nicht, gleicher Meinung sein zu müssen und sich sympathisch zu finden! Ich kann ablehnen, für was du stehst, und schlecht finden, was du machst oder denkst. Aber ich sehe dich trotzdem als gleichberechtigten Teil der Gesellschaft an und gestehe dir zu, deine Meinung kundzutun. Was dabei herauskommt, nennen wir Toleranz: Toleranz ist Ablehnung, die durch Respekt gebändigt wurde.

Aber ich kann doch niemanden respektieren, der andere schlecht behandelt. Sollte nicht auch gelten:  Keine Toleranz der Intoleranz?

Toleranz kann durchaus da aufhören, wo demokratische Grundwerte angegriffen werden, dann würde man von berechtigter Zurückweisung sprechen. Es ist ein Spannungsfeld, in das Menschen geraten können, und es ist Aufgabe der Gesellschaft, die Regeln festzulegen, ab wann ein bestimmtes Verhalten nicht mehr tolerierbar ist.

Was kann man dagegen tun, wenn einem wenig Respekt entgegengebracht wird?

Wichtig ist, seine Forderungen zu artikulieren. Bei Respektlosigkeiten immer zu schweigen, ist problematisch für die Psyche. Meine Forschungen haben gezeigt, dass Menschen mit hohem Selbstrespekt eher für ihre Rechte eintreten.

Was bedeutet Selbstrespekt?

Es ist die Überzeugung, wirklich grundlegend gleichberechtigt und gleichwertig zu sein. Menschen, die viel Respekt erfahren, bilden ihn stärker aus. Selbstrespekt entsteht durch die Internalisierung von Respekterfahrungen und ermöglicht selbstbehauptendes Verhalten. Wenn ich zum Beispiel einer Minderheit angehöre und aufgrund meiner Hautfarbe diskriminiert werde, ist hoher Selbstrespekt förderlich, um etwas dagegen zu sagen. Menschen, die wenig Achtung erfahren haben, können dieses Selbstbild nicht verinnerlichen und tun sich schwer damit, für ihre Rechte einzutreten oder einfach mal nur „nein“ zu sagen. Erst ein respektvolleres Umfeld kann sie mit den Fähigkeiten ausstatten, irgendwann besser für ihre Rechte eintreten zu können.

Die Black-Power-Bewegung wählte in den 1960er-Jahren Aretha Franklins „Respect“ zu ihrer inoffiziellen Hymne. Zuletzt forderten unter #MeToo Frauen und unter #MeTwo Migranten mehr Respekt ein.

Diese Bewegungen haben gegen respektlose Behandlung und für mehr Gleichberechtigung gekämpft. Der Begriff Res- pekt passt dort also ganz gut. Zumindest dann, wenn der Kampf nicht vor allem darauf ausgelegt ist, anderen zu schaden. Bei der #MeToo-Bewegung gab es zum Beispiel einige Frauen, die nicht nur mehr Respekt und Rechte für Frauen wollten, sondern vor allem, dass alle Männer einen auf den Deckel bekommen. Das hat dann weniger etwas mit dem Einfordern von Respekt zu tun, als vielmehr mit Anspruchsdenken und Racheverhalten.

Aber es ist doch schon so, dass Frauen mit weniger Respekt begegnet wird.

Es ist richtig, dass Frauen in vielen Kontexten nicht gleichberechtigt werden. Klassische Rollenbilder legen sie immer noch oft auf bestimmte Bereiche fest und erschweren so den Zugang zu anderen. Übrigens leiden auch Männer unter den Geschlechterrollenbildern. So werden Frauen aus männertypischen und Männer aus frauentypischen Berufen ausgeschlossen – unabhängig davon, ob sie als Personen für diesen Beruf geeignet wären. Es hängt sehr davon ab, welche Möglichkeiten im Alltag vorgelebt werden. Wenn in Filmen meist der Mann der Held und die Frau nur die schöne Begleitung ist, werden dadurch bestimmte Stereotype verstärkt. Frauen sind eher passiv, Männer die Entscheider, die zum Beispiel für Führungspositionen in Frage kommen.

Wenn man sich die Beschimpfungen und die Erregungen auf Twitter oder Facebook anschaut, hat man den Eindruck, dass die Respektlosigkeiten zunehmen.

Wir leben in einer Zeit, in der vielfältige soziale und politische Positionen aufeinandertreffen und entsprechend häufig gegensätzliche Meinungen vertreten werden. Die Anonymität des Internets erleichtert respektloses Verhalten, da man sich dort nicht in die Augen schauen muss. Aber einige Tendenzen zeigen sich auch offline. Der Ton in gesellschaftlichen Debatten wird rauer und die Grenze des Respekts häufiger überschritten.

Selbst Politiker gehen in Debatten im Bundestag oder in politischen Talkshows oft respektlos miteinander um.

Ich habe den Eindruck, dass einige Politiker Respektlosigkeit quasi als Strategie der politischen Auseinandersetzung nutzen. Klar, sie sind unterschiedlicher Meinung zu Themen, aber sie sollten sich an Normen und Regeln halten und sich als Interaktionspartner/innen respektieren. So ist ein demokratischer Austausch möglich.

Gibt es auch Beispiele für mehr Respekt?

Seit letztem Jahr sind Homosexuelle bei der Ehe gleichberechtigt. Der Kampf um Anerkennung ist ein ständiger Aushandlungsprozess: Wer soll zur Gesellschaft dazugehören, wem sollen gleiche Rechte zugestanden werden? Es muss immer wieder neu hinterfragt werden, wie viel Respekt welche Gruppe in der Gesellschaft bekommt. Vor 120 Jahren konnten Frauen nicht studieren und wählen. Da hat der Kampf für gleiche Rechte sehr viel gebracht.

Welche Rolle spielt Respekt in einer Einwanderungsgesellschaft?

Gegenseitiger Respekt ist eine wichtige Grundlage, um zu einer gemeinsamen Identität zu kommen. Wir haben unser Grundgesetz und unseren Rechtsstaat als Basis. Die Gesellschaft kann erwarten, dass das respektiert wird und die Gesetze befolgt werden. In die Gesellschaft kommen dabei auch Einflüsse, die man noch nicht kannte und an die man sich gewöhnen muss. Toleranz, und damit auch Respekt, erfordert das Aushalten und Akzeptieren von Zumutungen. Das Gute daran: Wenn ich Respekt bekomme, bin ich eher bereit, ihn zu geben. Aber jemand muss den Anfang machen.

Mündiger Bürger oder mündige Bürgerin kann nur sein, wer gesell- schaftliche Anerkennung erfahren hat. Wie diese entsteht und wie sie sich äußert, das untersucht Dr. phil. Daniela Renger mit ihren Studenten an der Christian- Albrechts-Universität zu Kiel.