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„Über tausend Personen benutzen denselben Wasserhahn“

Trotzdem versucht das überfüllte Flüchtlingslager Moria, sich für Covid-19 zu wappnen. Wie, erklärt die Krankenpflegerin Maria Fix

fluter.de: Frau Fix, wie muss man sich Ihre Arbeit in diesen Tagen vorstellen?

Maria Fix: Unsere kleine Container-Klinik außerhalb des Camps Moria kann nur noch von Montag bis Freitag, 9 bis 16 Uhr, öffnen. Für mehr Schichten haben wir kein Personal. Es ist fürchterlich, gerade kommen viele Menschen zu kurz. Jeder, der Symptome wie Fieber oder Husten hat, kann nur noch unter freiem Himmel behandelt werden. Es gibt keine Privatsphäre. Das ist für Personen mit gesundheitlichen Problemen an intimen Stellen oder psychischem Leid besonders schwierig.

Wegen der Pandemie und rechtsextremer Proteste haben viele NGO-Mitarbeiter*innen die Insel Lesbos verlassen. Insgesamt 18 Ärzt*innen und Krankenpfleger*innen versorgen derzeit noch die knapp 22.000 Geflüchteten im Camp. Haben Sie auch darüber nachgedacht, nach Deutschland auszureisen?

Im Gegenteil. Dass Faschisten hier Leute angreifen, war nur ein weiterer Grund für mich hierzubleiben. Im April wäre ich eigentlich zurück nach Deutschland geflogen, meine Ablöse ist schon hier. Aber jetzt werde ich so lange bleiben, wie es die Corona-Situation verlangt.

Das Virus ist noch nicht im Camp angekommen.

Nein, aber das ist wohl nur eine Frage der Zeit. Es gab bisher sechs Covid-19-Fälle auf Lesbos, allesamt Griech*innen. Zum Glück wird es dem Virus gerade schwer gemacht, auf die Insel zu gelangen. Jeder, der hier landet, muss in 14-tägige Quarantäne. Schwierig ist es für Geflüchtete, die mit dem Boot an der Küste von Lesbos ankommen. Sie müssen ohne Schutz, Unterkunft und Versorgung am Strand mindestens zwei Wochen warten. Die Polizei überprüft das und untersagt jegliche Hilfe.

„Hier leben 4.400 unbegleitete Flüchtlingskinder. Wie will Deutschland aus denen 50 auswählen?“

Wie bereitet sich das Camp auf einen möglichen Corona-Ausbruch vor?

Die Campbewohner haben ein Moria-Corona-Awareness-Team gegründet: Es hat viele Infoplakate aufgehängt, Seifen verteilt und Masken genäht. In der Klinik bereiten wir uns bestmöglich vor: Ältere Personen und Schwerkranke wurden verlegt, manche aufs Festland, manche in Hotels auf der Insel. Es sollen Stationen gebaut werden, wo Corona-Patienten isoliert werden könnten – aber wir wissen nicht, wann. Unser größtes Problem ist die mangelnde Schutzausrüstung, hier kommt keine Lieferung an. Käme es zum Ausbruch, wären wir als medizinisches Personal die schnellsten und besten Verbreiter des Virus.

Könnte Social Distancing im Camp umgesetzt werden?

Wie soll das funktionieren, wenn eine Organisation das Essen für 20.000 Personen liefert – und dafür täglich durch das enge Zeltlager muss? Wie soll es funktionieren, wenn sich knapp 200 Personen eine Toilette teilen und die Wasserleitungen schon vorher total überlastet waren. Hier benutzen etwa 1.300 Personen einen Wasserhahn! Außerdem kann man Menschen nicht 24/7 in einem Zelt einsperren, das wenige Quadratmeter groß ist und in dem zwölf Menschen schlafen. Die psychische Belastung hätte Auswirkungen, die wir noch gar nicht absehen können.

In den Nachrichten wird viel von minderjährigen Geflüchteten berichtet. Leben im Moria-Camp vor allem junge Menschen, die eher nicht zur Risikogruppe gehören?

Ich weiß, man sieht in den Medien meist junge Menschen. Die Personen, die das Virus gefährlich treffen wird, sitzen aber in den Zelten und zeigen sich nicht den Kameras. Viele Bewohner haben chronische Erkrankungen: Diabetes, Bluthochdruck, Leberinsuffizienz oder Nierenversagen, Krebs und auch HIV.

Die Bundesrepublik will jetzt 50 unbegleitete Minderjährige aus griechischen Flüchtlingslagern ausfliegen. Ein erster Schritt?

Eher ein Tropfen auf den heißen Stein. Was ich mich frage: Wie sollen die 50 eigentlich ausgewählt werden? Auf den griechischen Inseln leben insgesamt 4.400 unbegleitete Kinder in Flüchtlingslagern.

Die sogenannte Koalition der Willigen, zu der auch Deutschland gehört, kündigte schon vor etwa einem Monat an, über 1.000 minderjährige Geflüchtete evakuieren zu wollen.

Es wurden von Europa in den letzten Jahren so viele Versprechungen gemacht, dass das keiner mehr wirklich glaubt. Die Hoffnung gab es nicht wirklich. Ich würde der EU gerne sagen: Evakuiert! Nicht heute, nicht morgen, das hätte schon gestern passiert sein sollen. Aber damit das geschieht, müsste sich der Druck der Zivilgesellschaft auf die Politik noch erhöhen. Ganz Moria ist eine Menschenrechtsverletzung.

Maria Fix, 29, arbeitet seit Oktober 2018 für Medicals Volunteers International e.V. als Field-und Medical-Koordinatorin auf Lesbos. Zuvor war sie Intensivkrankenpflegerin an der Uniklinik Köln. (Foto: Till Gläser)

Fotos: Refugee Media Team / Murat Türemiş / laif

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