Thema – Identität

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Aber wo kommst du eigentlich her?

Unser Autor und unsere Autorin werden oft nach ihrer Herkunft gefragt. Ist das immer daneben? Ein Gespräch

Streitgespräch: Wo kommst du her zwischen Arpana Berndt und Nikita Vaillant

Arpana Aischa Berndt: Letztens fragte meine weiße Ärztin nach meiner Herkunft. Woher ich komme, ist für meine Gesundheitsgeschichte aber nicht wichtig! Bei Arztterminen werde ich das oft gefragt. Weil ich dann keine Lust auf Diskussionen habe, erwähne ich manchmal das Herkunftsland meiner Mutter. Die Ärztin hat dann im Behandlungszimmer angefangen, von ihren Töchtern zu erzählen, die in Indien an einem Yogaseminar teilnehmen.

Nikita Vaillant: Vergangenes Wochenende fragte mich ein älterer Herr aus Israel, wo meine Eltern herkommen. Er hatte seiner Frage vorangestellt, dass er sich nicht sicher sei, ob sie politisch korrekt ist. Ich habe gemerkt, dass es aufrichtiges Interesse war, und habe ihm meinen Familienhintergrund kurz erklärt.

„Meistens sage ich, dass ich aus dem Wendland, Berlin oder dem Supermarkt komme.“

Auch aufrichtiges Interesse kann problematisch sein. Spätestens dann, wenn mich jemand fragt, woher ich eigentlich komme, wird es kritisch. Ich bin hier geboren, in den Kindergarten und zur Schule gegangen, studiere, lebe und arbeite hier. Dennoch wird mir häufiger als meinen weißen Freund*innen diese Frage gestellt. Meistens sage ich, dass ich aus dem Wendland, Berlin oder dem Supermarkt komme. Fragende geben sich oft mit dieser Antwort aber nicht zufrieden …

… so wie deine Ärztin. Die Frage, wo einer eigentlich herkommt, ist daneben. Wobei: Einmal fragte mich eine Oma in einem Kaff in Oberbayern danach. Für sie es nicht Normalität, dass manche Deutsche nicht weiß sind. Also habe ich ihr diesen Umstand erklärt und es ihr nicht übel genommen. Der Kontext ist für mich das Entscheidende.

Das stimmt. Aber trotzdem: Was ist der Zweck dieser Frage? Ich könnte denjenigen, die sich wirklich für mich interessieren, einiges über das Wendland erzählen, darüber, wie es ist, auf dem Land aufzuwachsen, als Kind auf Anti-Atomkraft-Demos zu gehen, oder über mein Studium und meine Arbeit berichten. 

Unser Autor ist Person of Color und genervt, dass seine Hautfarbe immer und überall Thema ist

Klar, echtes Interesse steckt nicht immer dahinter. „Was bist du für ein Landsmann?“ oder „Woher kommst du?“ wurde ich seit meiner Kindheit in Berlin-Kreuzberg unzählige Male gefragt. Allerdings von Mitschüler*innen oder Bekannten, die selbst beispielsweise türkischstämmig sind. Oft ging es den Fragenden jedoch genauso um Kategorisierung, weshalb ich auch bei Menschen mit Migrationshintergrund bisweilen einfach nur antworte: „Aus Berlin.“ Arpana, macht es für dich einen Unterschied, wenn du von anderen migrantischen Menschen nach deiner Herkunft gefragt wirst?

Ja, auf jeden Fall. Denn dann werde ich nicht als „fremd“ gekennzeichnet, sondern die gemeinsame Erfahrung, in dieser Gesellschaft als „fremd“ markiert zu werden, steht im Mittelpunkt. Es geht übrigens nicht um die Hautfarbe „weiß“. In deinem Beispiel mit dem Israeli kann die Frage als ein berechtigtes Interesse im Zusammenhang mit seiner Familiengeschichte verstanden werden.

Eine Regel auf so was anzuwenden, finde ich schwierig. Für mich suggeriert eine Frage nach der Migrationsgeschichte auch nicht per se, dass ich zum „Anderen“ gemacht werde.

Das sehe ich anders. Wenn mir zum Beispiel gesagt wird, wie exotisch ich aussähe, wenn ich gefragt werde, wo ich denn so gut Deutsch gelernt hätte, und eben auch, wo ich herkomme, dann werde immer ich zur „Anderen“ gemacht. Othering nennt man das in der Wissenschaft. Die fragende Person suggeriert, dass ich nicht dazugehöre, und betont, dass ich von der Norm abweiche. Ich werde gefragt, weil ich eine Person of Color bin, weil es die Vorstellung gibt, dass Deutsche weiß sind. Weiß, blond, blauäugig: Möchten wir dieses Bild von Deutschen beibehalten?

Warum soll ich Weißen automatisch unterstellen, dass sie mich abseits der Norm verorten, wenn sie fragen: „Woher kommen deine Eltern?“ Ich kenne viele Weiße, für die migrantische Eltern völlig normal sind. So eine Einstellung am Äußeren des Gegenübers festzumachen ist für mich irrsinnig. Aufrichtiges Interesse an der Geschichte seiner Mitmenschen ist für mich etwas sehr Positives. Ich finde, man hat in solchen Situationen ein Gespür dafür, wann jemand mit der Frage ausschließen möchte und wann nicht.

„Dieser ewig lamentierende Umgang bringt niemandem etwas. Wir sollten uns auf konkrete rassistische Strukturen konzentrieren.“

Es geht nicht um die individuelle Motivation der Fragenden, sondern um die gesellschaftlichen Verhältnisse. Im Zusammenhang mit der öffentlichen Diskussion über die Rolle von Migrant*innen in Deutschland und die Begrenzung von Zuwanderung kann Othering als bedrohlich empfunden werden. Rassistisches Denken ist in unseren Köpfen so tief verankert, dass auch „aufrichtiges Interesse“ zu rassistischen Handlungen führen kann, zum Beispiel zur Absprache von gesellschaftlicher Teilhabe.

Dass der Rassismus strukturell tief in unserer Gesellschaft verankert ist, steht für mich auch außer Frage. Wir sollten im Alltag klarmachen, dass man nicht weiß sein muss, um Deutsche*r zu sein. Aber immer anzukreiden, wenn jemand die antirassistischen Formeln nicht kennt, finde ich überzogen. Dieser ewig lamentierende Umgang bringt niemandem etwas. Ich finde, wir sollten uns auf konkrete rassistische Strukturen wie die Diskriminierung auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt konzentrieren, die die gesellschaftliche Teilhabe migrantischer Menschen weiterhin erschweren. Das ist wichtiger, als sich in Debatten zu verheddern, bei denen es oft subjektive Interpretationssache ist, ob nun etwas rassistisch war oder nicht.

Gerade auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt greifen ähnliche ausgrenzende Mechanismen wie bei der Herkunftsfrage. Solche psychischen Gewalterfahrungen als „subjektive Interpretationssache“ zu verharmlosen ist gefährlich! Rassismus ist kein Gefühl oder persönliche Wahrnehmung, sondern steht immer im Zusammenhang mit Macht und Strukturen, die über so eine Argumentation unsichtbar gemacht werden. Du kannst die Herkunftsfrage für dich persönlich nicht so schlimm finden: Das ist vollkommen in Ordnung. Es ändert aber nichts daran, dass Rassismus existiert und Personen ihre Definitionsmacht ausüben und versuchen, andere Menschen zu kategorisieren. Wem die Frage nach der Herkunft unter den Nägeln brennt, sollte am besten die eigene gesellschaftliche Position hinterfragen und Rassismusbetroffenen zuhören. Vielleicht ist es viel interessanter, nach Gemeinsamkeiten zu suchen, statt über Othering Unterschiede hervorzuheben.

Arpana Aischa Berndt hat Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim studiert. Sie ist viel auf Instagram unterwegs, schreibt Prosa und Essays und engagiert sich in der politischen Bildungsarbeit.

Nikita Vaillant macht seinen Bachelor in Sozial- und Kulturwissenschaften an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Für fluter.de schreibt er meistens über soziale Gerechtigkeit, (Anti-)Rassismus und Hip-Hop-Kultur.

Titelbild: deebeephunky (links) ; cv.studio.berlin (rechts)

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