Alles Aura
Fühl doch mal, wie schön du bist. Fabiana Kühl ist 31, Inklusions-Influencerin und blind
Als Jugendliche habe ich oft in Zeitschriften geblättert. Weil ich mit nur 20 Prozent Sehkraft geboren wurde, musste ich ganz nah ran, um die Leute zu sehen. Weiße Zähne, gebräunte Haut, kurvig, aber bitte nicht zu kurvig: Die Bilder haben mich geprägt.
Seit neun Jahren gelte ich als gesetzlich blind. Das heißt, mein Sehvermögen liegt unter zwei Prozent. Meine visuelle Erinnerung besteht also aus dem, was ich als Kind und Jugendliche gesehen habe. Ich weiß noch ungefähr, wie ich aussehe. Wenn das Licht gut fällt, kann ich meine Umrisse im Spiegel erkennen. Veränderungen fallen mir beim Eincremen auf. Neulich habe ich eine Lachfalte an meinem Auge entdeckt.
Mir wird manchmal gesagt, ich sei hübsch. Und man sehe mir mein Blindsein gar nicht an. Als würden sehbehinderte oder blinde Menschen grundsätzlich verwahrlost aussehen. Uns wird oft abgesprochen, dass wir uns für schöne Dinge und für unser Aussehen interessieren. Dabei ist das vielen Sehbehinderten besonders wichtig, das ist ein Stück Kontrolle übers eigene Leben. Als ich noch allein gelebt habe, habe ich mir zum Essen oft einen Bademantel angezogen. Ich wollte nicht mit Flecken rumlaufen, damit niemand denkt: Klar ist ihre Kleidung dreckig, die ist ja blind.
Ich versuche, mein Aussehen weniger wichtig zu nehmen. Die Bilder auf Instagram lasse ich mir von meinem Handy beschreiben. Zum Glück erreichen mich die Massen normschöner Körper nicht im gleichen Maße wie sehende Menschen. Wenn ich durch die Stadt laufe, sehe ich ja auch keine Werbeplakate. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, als sehende Person permanent visuell überflutet zu werden. Trotzdem kann ich mich dem Schönheitsdruck nicht entziehen.
Gerade stört mich mein dunkler Haaransatz. Ich war ewig nicht beim Friseur. Make-up trage ich fast nur noch beruflich, zum Beispiel wenn ich auf einem Videodreh bin. Als ich mich als Teenagerin zum ersten Mal geschminkt habe, wollte ich direkt Smokey Eyes. Da war am Ende deutlich mehr schwarz als meine Augen. Mit der Zeit habe ich mein Gesicht kennengelernt und weiß, wie viel ich wovon wo auftragen muss. Ich erinnere mich auch an Farben. Wo welcher Lidschatten in der Palette ist, lasse ich mir von einer sehenden Person beschreiben und merke es mir. So mache ich das auch bei Kleidung, bevor ich sie kaufe. Dann kann ich mein Outfit allein aussuchen. Ich bin basic gekleidet, da besteht keine Gefahr, wild Farben und Muster zu mixen. Besonders mag ich gewebte Stoffe oder Strickmuster, die fassen sich toll an.
Schön kann vieles sein. Ich bin zum Beispiel total gerne im Wald. Da ist um mich herum ganz viel los, der Boden fühlt sich weich an, und Licht und Schatten wechseln sich ab, wenn die Sonne durch die Blätter scheint. Gerüche sind auch schön, die versetzen dich direkt in Situationen. Denkt mal an den Geruch von Sonnencreme oder von frischem Kuchen! Wenn ich gebacken habe, gehe ich kurz auf den Balkon und dann wieder in die Küche, um den Geruch noch mal richtig intensiv wahrzunehmen.
Wen ich attraktiv finde, beeinflussen Geruch, Stimme und ganz stark die Aura. Menschen strahlen aus, ob sie eher zurückhaltend oder einnehmend sind. Wenn jemand sehr charismatisch ist, spüre ich das direkt. Ein Händedruck oder eine Umarmung verraten etwas über die Statur. Manchmal lasse ich mir Personen von anderen beschreiben. Das ist für mich wie für Sehende, die ein Buch lesen und sich die Figuren vorstellen.
Ich fühle mich besonders schön, wenn ich geduscht habe. Dann bin ich frisch. Und nach dem Sport, wenn ich meinen ganzen Körper spüre. Da kommt das Gefühl von Schönheit richtig von innen heraus.
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