Fantastic Men
In den vergangenen Jahren wuchsen Barbershops überall aus dem Boden. Wir haben mit ein paar Barbieren und ihren Kunden gesprochen. Werden hier auch Vorurteile rasiert?
Das Haareschneiden hat sich Malik selbst beigebracht. Mit 14 wollte er seinen Vater nicht mehr nach Geld fragen, also schnitt er seinen Freunden für ein paar Euro die Haare – und wurde immer besser.
Heute ist Malik 20 und arbeitet seit gut zwei Jahren in einem Berliner Barbershop. Aus den Boxen wummern US-Rap und Reggaeton, Kunden sind gerade keine da. Also lässt Malik seine Haare machen, von Kollege José („Dem Mann vertraue ich blind“). Eine gute Gelegenheit, über das Geschäft zu reden, wo man doch das Gefühl hat, dass die Barbershops wie Pilze aus dem Boden schießen. Woran liegt das?
„Ich glaube, die Stimmung ist bei uns lockerer als in deutsch-deutschen Salons. Wir hören Musik, wir machen unsere Gags, hier hängen alle rum, auch die, die sich nicht die Haare schneiden lassen. Es ist wie ein Wohnzimmer“, sagt Malik. Viele der Shops werden von türkisch- oder arabischstämmigen Männern geführt. Vielleicht liegt es daran, dass sie als Rückzugsort funktionieren. Oder daran, dass die Männer hier meist unter sich bleiben, mutmaßt Malik: Da rede man offener. Ein guter Barber sei jedenfalls auch eine Art Therapeut.
„Jüngere Kunden gestehen mir oft, dass sie eine Freundin haben, aber trotzdem an andere Mädchen denken müssen. Bei den Älteren geht es um die Hochzeit oder Kinder. Gestern hat ein Kunde erzählt, dass ihn die Familie seiner Freundin nicht akzeptiert, weil er kein Deutscher ist.“
Hier kommen öfter mal die Tränen. Spätestens beim Warmwachs. In die Barbershops gehen viele nicht nur für einen Kurzhaarschnitt: Hier wird frisiert und rasiert, hier werden aber auch Bartöle und Gesichtsmasken aufgetragen, Nasenhaare getrimmt, Augenbrauen mit einem Faden gezupft, Köpfe massiert und Ohrhaare weggeflammt. In den Salons riecht es nach warmem Wachs und Kolonya, einem türkischen Duftwasser.
Auch bei Musti (Name geändert), 19, der in Berlin im Barbershop seines Vaters arbeitet.
„Als Jugendlicher habe ich meinem Vater zugeguckt und auf Youtube Videos angeschaut. Schule war nichts für mich, aber beim Haaremachen bin ich richtig aufgegangen. Bei mir selbst habe ich angefangen, dann habe ich die Haare meiner Freunde gemacht, und seit drei Jahren arbeite ich hier im Laden. Ich träume davon, ein Meisterbarbier zu werden und Profifußballern die Haare zu machen.“
Den klassischen Meisterbrief meint er damit nicht. Die Berufsbezeichnung „Barbier“ ist in Deutschland nicht geschützt. Wer Haare schneiden will, braucht eine Friseurausbildung; wer einen Laden eröffnen möchte, in dem auch frisiert wird, braucht einen Meisterbrief. Ohne Ausbildung dürften Barbiere nur kosmetisch arbeiten, also das Gesicht pflegen und Bärte schneiden. Es gibt Ausnahmegenehmigungen, in der Praxis wird aber oft ohne frisiert.
Die Styles hätten sich verändert, erzählt Musti. Früher hätten alle Fasson gewollt, also einen klassischen Schnitt, bei dem die Seiten und der Nacken ausrasiert werden und das Deckhaar zu einer Seite fällt. Oder den Boxerschnitt: rasierte Seiten, auf dem Kopf einen kleinen Deckel aus Haar. „Heute wollen alle Mullet“, einen Vokuhila mit weit ausrasierten Ohren. Ihm selbst stünden Vollbart und Lockenschopf mit sauberer Kontur am besten, sagt Musti. Die macht er sich natürlich selbst.
„Aussehen ist für viele extrem wichtig. Neulich ist einer ausgerastet, weil ich seinen Bart zu weit über Kiefer und Kinn getrimmt habe. Der ist richtig handgreiflich geworden.“
Auch in Düsseldorf gibt es Dutzende Barbershops. Vor den meisten dreht sich eine Säule in den Farben Rot, Weiß und Blau: die Barberpole. Rot soll für das Blut, weiß für den Verband, Blau für die Venen stehen. Im Mittelalter war der Barbier auch eine Art Chirurg, der Aderlässe durchführte und Zähne zog. Das Handwerk ist jahrhundertealt. War aber in Deutschland eine Weile nicht so gefragt.
Ende der 1970er-Jahre trugen junge Männer lange Haare oder rasierten sich glatt – aus Protest gegen ihre Eltern und Professoren. Ältere ließen sich von ihren Frauen oder in gemischten Friseursalons frisieren. In den 2010er-Jahren waren maskuline Frisuren und gepflegte Bärte wieder modern. Mit ihnen gab einen wahren Barber-Boom. Weil ein eigener Shop für viele attraktiv ist: Die Voraussetzungen scheinen gering, die Löhne auch, weil dabei oft Regelungen im Handwerk umschifft werden. Und auch kulturelle Gründe könnten eine Rolle spielen: Dass die Männer hier in der Regel unter sich sind, scheint viele anzusprechen, auch die, die das aus ihren Herkunftsländern in Nordafrika oder dem Nahen Osten gewohnt sind.
„Ein Besuch beim Barber ist immer auch einer in Marokko, meiner Heimat“, sagt Karim, 21, aus Düsseldorf. „Meine Familie und die meines Friseurs kommen aus derselben Ecke. Wir reden über Alltägliches, über Familie, den Job, Bitcoin. Aber es ist etwas anderes, wenn du in deiner Muttersprache sprichst.“
Die Shops haben häufig Begriffe wie „Gentleman“, „Brother“ oder „Hermano“ im Namen. Von außen wie von innen entsteht so der Eindruck, die Läden seien Männern vorbehalten.
Neben der Barberpole haben viele Barbershops weitere Gemeinsamkeiten: Sie werben mit Bildern von Männern mit markanten Gesichtern, Gelfrisuren und akkuraten Bärten. Die Inneneinrichtung dominieren Ledersofas, warme Holzdekore und Accessoires wie Boxhandschuhe oder verschiedene Klingen. Die Shops haben häufig Begriffe wie „Gentleman“, „Brother“ oder „Hermano“ im Namen, wenn sie nicht gerade direkt nach ihrem Standort oder Betreiber benannt sind. Von außen wie von innen entsteht so der Eindruck, die Läden seien Männern vorbehalten.
Freitags ist Hochbetrieb im Barbershop. Auch weil viele muslimische Männer vor dem Freitagsgebet herkommen, um die Moschee frisch frisiert und rasiert zu betreten. Die Rasierer surren, Scheren klackern. Edward, 24, aus Ghana, geht später nicht in die Moschee, er will einfach gepflegt aussehen. Im Spiegel checkt er erst mal seine Hairline, die wie mit dem Geodreieck gezogen ist.
„Barber ist Routine. Aber Schönheit ist eine zwiespältige Sache. Ich model neben dem Studium, lebe also von meinem Aussehen und befasse mich jeden Tag damit. Andererseits studiere ich Psychologie und bin so viel mit dem Inneren des Menschen beschäftigt. Das ist mir auch wichtiger.“
Auf einem anderen Stuhl sitzt Medi, 16, den seine Freunde Levin und Ilyas begleitet haben.
„Kennst du den Film ,Scarface‘? Ich bin schon mal mit einem Foto von Al Pacino hergekommen. Den Style feier ich, elegant, aber mit starkem Auftreten. Mit Aura. Einmal die Woche komme ich hier in den Barbershop, Haaremachen ist ja auch Hygiene. Eine Freundin habe ich gerade nicht, aber wenn ich gepflegt aussehe, kommen auch die Chayas.“
Auf sein Äußeres zu achten, über neue Looks nachzudenken, Zeit und Geld in sich zu investieren, das sind für viele eher Dinge, die Frauen tun. Aber es hat sich einiges verändert, gerade auf den Köpfen. Fußballer lassen ihre Friseure vor wichtigen Spielen einfliegen, immer mehr junge Männer werden Friseure, und Social Media ist voll von Beauty-Tipps für Männer, die mehr wollen als 3-in-1-Shampoo. Verändert sich auch in den Barbershops, was es heißt, ein Mann zu sein?
„Ich glaube schon“, sagt Karim. Er wartet vor dem Laden, weil er heute spontan ohne Termin gekommen ist.
„Früher hatten Männer kurze Haare. Punkt. Heute ist das zum Glück anders. Ich liebe den Style, den die Jungs in Frankreich fahren, da tragen auch Rapper wie Ademo lange Haare. Meine trage ich gern kurz. Die Seiten mache ich jede Woche auf null, das passt am besten zu Sonnenbrille und Jogger. Aber ich könnte lange Haare tragen. Das macht meinen Style zu einer Entscheidung.“
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