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cms-image-000043348.jpg (Foto: Port-au-Prince Pictures/Barnsteiner Film)
(Foto: Port-au-Prince Pictures/Barnsteiner Film)

Hans Uwe Ahrendt. Fritz Ludger Ahrendt. Hans Uwe Ahrendt. Fritz Ludger Ahrendt. Hans Uwe Ahrendt. Fritz Ludger Ahrendt. Immer wieder lässt eine völlig entkräftete Mutter ihre beiden Söhne ihre Namen aufsagen. Dann, in der Nacht, stirbt sie. Es ist Sommer. Das Jahr: 1946. Hans und Fritzchen sind jetzt völlig auf sich allein gestellt.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges irrten rund 25.000 Kinder durch Ostpreußen und Litauen. Ohne Eltern waren sie auf der Suche nach Nahrung und Unterkunft. Einige wurden in den Nachkriegswirren von ihren Eltern getrennt. Die meisten waren Waisen: Ihre Mütter starben 1945 während der Flucht vor der Roten Armee an Krankheiten oder Hunger, wurden verschleppt oder erschossen. Viele Kinder kamen ebenfalls ums Leben. Einige fanden in Litauen Unterschlupf, wo sie auf Bauernhöfen schufteten und zum Teil mit litauischen Namen ein neues Leben begannen.

Der deutsche Regisseur Rick Ostermann recherchierte intensiv, er bereiste die Gegend und sprach mit überlebenden Wolfskindern, wie sie wegen ihres ständigen Hungers von der Bevölkerung genannt wurden. Sein Wissen über das Thema stellt Ostermann bei der Inszenierung des Films aber in den Hintergrund.Er erzählt die Geschichte nicht über Texttafeln, die das Geschehen in einen Kontext einordnen, oder erklärende Dialoge. Im Gegenteil: Ostermann verzichtet über weite Strecken auf Worte und lässt Bilder sprechen. Auf diese Weise erreicht er, dass sich die Distanz zwischen Zuschauer und Protagonisten auflöst. Wir werden Teil der Odyssee, wir erleben mehr, als dass wir verstehen.

Es sind Bilder, die sich in die Netzhaut einbrennen. Hans und Fritzchen stehlen ein Pferd, erschießen es und essen das Fleisch. Bei der dramatischen Flucht vor Soldaten über die Memel wird ein kleines Mädchen erschossen, die beiden Brüder getrennt. Hans schließt sich mit anderen Kindern zusammen. Sie ernähren sich von Beeren, Fröschen und dem rohen Fleisch eines Huhns. Sie werden von Bauern verjagt und von Soldaten gehetzt.

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cms-image-000043347.jpg (Foto: Port-au-Prince Pictures/Barnsteiner Film)
(Foto: Port-au-Prince Pictures/Barnsteiner Film)

Im Jahr 2012 beschäftigte sich das Drama „Lore“ mit einer ähnlichen Thematik, hier flüchtet die Titelheldin mit ihren Geschwistern von Süddeutschland durch die Wälder bis an die Nordsee. Auch stilistisch sind beide Filme vergleichbar, setzt die „Lore“-Regisseurin Cate Shortland doch ähnlich wie Rick Ostermann den Naturraum als Konstante ein. Dennoch ist „Wolfskinder“ kein Nachahmer. Der Film setzt andere Akzente als „Lore“. Cate Shortland stellt die existenzielle Erfahrung des Ausgeliefertseins in einen Kontext, in dem Lore sich selbst erkennen und von der Nazi-Vergangenheit ihrer Eltern distanzieren kann.

Ostermann ist radikaler. Ein Erkenntnisgewinn ist für die Kinder bei ihm nicht möglich. Für sie geht es bis zum Schluss um das nackte Überleben. Und damit um die Frage nach der eigenen Identität. Darum ist die Szene am Anfang, in der Hans und Fritz immer wieder ihre Namen aufsagen, so bedeutungsvoll. Ihre Namen sind für diese Kinder das Einzige, was ihnen von ihrem alten Leben bleibt. Die Welt ist ein rätselhafter Ort der Gefahr.

Umso schöner ist, dass der Regisseur vor allem Hans seine Kraft zur Zärtlichkeit, zum Träumen, zum Staunen belässt. Ostermanns Film erinnert nicht nur an das Schicksal der Wolfskinder, sondern an die vielen Kinder, die heute an Kriegsschauplätzen wie Syrien, dem Gazastreifen oder der Ukraine leiden.