Thema – Land

Suchen Newsletter ABO Mediathek

„Bevor i in die Stod geh, schiaß i mia ins Knia!“

Über die Dörfer mit unserem Reporter Bartholomäus von Laffert. Teil 2: Gaindorf in Niederbayern

  • 3 Min.

„Wema uns jetzt küssen, dann woas des morgen des ganze Dorf.“

Der Satz steckt fest in meinem Hirn, als ich morgens aufwache. Außerdem spüre ich einen staubigen Klumpen Teer im Rachen, die Jacke riecht nach Lagerfeuer, in meinem Kopf schallert ein Ohrwurm: „Du bist der geilste Ort der Welt / bist unser Leben und alles, was zählt.“

Es war die Nacht vom 30. April auf den 1. Mai, ich saß in Niederbayern auf dem Land und bewachte einen Baum, besser: eine 28-Meter-Fichte auf dem Dorfplatz in Gaindorf, aus der später ein Maibaum wurde. Die Landjugend hatte Bierbänke aufgestellt und Schilder entlang der Dorfstraße, auf denen stand: „Du hupst, wir trinken!“ Ständig hupte einer, wir tranken Bier, die Fahrer Cola-Mix. 150 Mitglieder hat die Landjugend, 90 sind aktiv. Erzieherinnen und Optikerinnen die Frauen, Landwirte, Schweinemäster und Käser die Männer. Der Rest arbeitet bei BMW, jeden Morgen um halb sieben fährt der Werksbus über die Höfe, transportiert die Arbeiter vom Land nach München und am Abend wieder zurück. „Wenn BMW noch mal hustet, dann hat die Region a Riesenproblem“, sagte einer.

Die Jugendlichen in Gaindorf tragen entweder Bauern-Prada von Engelbert Strauss oder Landjugendpullover in Schwarz mit dem identitätsstiftenden Wappen: ein Kreuz, ein Pflug, ein Acker. Die Burschen dazu Lederhosen, die zwei Weltkriege überlebt haben. Maskuline Statussymbole, von den Großvätern vererbt. So ist das in Bayern auf dem Land: Der Vater ist Schreiner, du übernimmst die Schreinerei, der Vater ist Bauer, du übernimmst den Hof. Und mit dem Betrieb wird ein Stück Familienstolz gleich mitvererbt.

„Manche gehen halt in d’ Stadt, weil des jetzt so a Art Trend ist: nach Minga, Rengschburg, Dingolfing. Wir bleim dahoam, weil’s dahoam am scheensten ist“, sagt Lucas und fügt an: „Der Nonplusultra-Punkt ist die GMIATLICHKEIT.“ Jetzt darf man nicht den Fehler machen und Gmiatlichkeit der Einfachheit wegen mit Gemütlichkeit übersetzen. Es ist mehr eine tiefe, ehrliche Zufriedenheit, wenn man morgens vors Hoftor tritt, in die Weite blickt, die Alpen am Horizont, und sich krumm freut, dass man geboren wurde.

Gmiatlichkeit ist auch: die Entschädigung für harte Arbeit, so sagt es der Hinteregger Martin. Ein Mannsbild von Typ mit gerötetem Gesicht und fleischwolfartigem Händedruck. Zusammen mit dem Vater schmeißt er eine Schweinemast.

Ich stand irgendwann am Straßenrand und pinkelte gegen einen Baum, als der Hinteregger Martin kommentierte: „Schaut’s a mal her, der lasst sein Brunzbursch’n so richtig aussahenga!“ Es war zwei Uhr morgens, fast alle in Deutschland hatten an diesem Tag, dem Tag der Arbeit, frei, nur der Hinteregger Martin nicht. „I werd um sechs Uhr aufstehn, d’ Sau fuadan.“

Und wann machst du frei?

„Sechs Tag im Jahr fahr i auf d’ Berghütt’n, mehr is ned drin.“

Hast du dir mal ein anderes Leben erträumt?

„Na, nie. Aber oans woaß i gewiss: Bevor i in die Stod geh, schiaß i mia ins Knia!“

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.