Als Peter Gasser seinem Patienten LSD gab, hatte er den Raum wie für eine Yogastunde vorbereitet. Er hatte das Zimmer abgedunkelt, einen Blumenstrauß hingestellt und Kerzen angezündet. Dann reichte Gasser ihm eine Kapsel mit 200 Mikrogramm des Halluzinogens. Ruhige, meditative Musik kam aus den Lautsprechern der Stereoanlage, als der Patient auf einer Matte lag und darauf wartete, dass sein Trip begann.

Gasser ist kein Guru, der Drogenexperimente macht. Er ist Arzt und Psychotherapeut in der Schweiz und davon überzeugt, dass Halluzinogene Menschen mit psychischen Problemen in bestimmten Fällen helfen können. Halluzinogene sind bewusstseinsverändernde Substanzen, die die visuelle, akustische oder auch die haptische Wahrnehmung beeinflussen.

„Viele haben gesagt, die Fixierung auf das Leiden und auf die Angst vor dem Sterben habe sich relativiert“

2014 hat Gasser die Ergebnisse seiner LSD-Studie veröffentlicht, für die er von den Schweizer Behörden eine Sondererlaubnis bekommen hatte. Acht Patienten hatten dabei LSD bekommen und vier ein Placebo. Alle zwölf Patienten hatten eine lebensbedrohliche Krankheit, die meisten Krebs. Sie litten an Angstzuständen, da sie wussten, dass ihr Leben bald zu Ende gehen würde. Nach ihrem LSD-Erlebnis konnten sie mit ihren Ängsten besser umgehen. „Viele haben gesagt, die Fixierung auf das Leiden und auf die Angst vor dem Sterben habe sich relativiert“, sagt Gasser. „Sie waren gelassener, auch dem Tod gegenüber.“

Die Frage, ob Halluzinogene psychische Leiden mindern können, wird gerade neu diskutiert

In den vergangenen Jahren hat eine Gruppe von Wissenschaftlern, zu der auch Gasser gehört, einige Studien über den therapeutischen Einsatz von Halluzinogenen veröffentlicht, die, obwohl es nur kleine Studien waren, viel Aufmerksamkeit erregten. Norwegische Forscher werteten Studien aus den 60er- und 70er-Jahren neu aus. Sie stellten die These auf, dass LSD, das nach heutigem Kenntnisstand körperlich nicht abhängig macht, Alkoholikern helfen könne, von ihrer Sucht wegzukommen. Erst im Mai veröffentlichten Wissenschaftler aus London Ergebnisse einer Studie, bei der sie Menschen mit Depressionen Psilocybin gegeben hatten, den Wirkstoff der sogenannten Zauberpilze. Auch hier hatten die Patienten in der Zeit nach der Einnahme deutlich weniger depressive Symptome.

Die Frage, ob Halluzinogene psychische Leiden mindern können, wird seitdem neu diskutiert. Das enorme Interesse der Öffentlichkeit rührt nicht nur daher, dass 350 Millionen Menschen weltweit an Depressionen leiden, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt. Auch die Wirkung der viel verschriebenen Psychopharmaka wird – außer bei einer kleinen Gruppe schwer Depressiver – selbst von führenden Wissenschaftlern immer stärker in Zweifel gezogen

Könnte die Forschung mit Halluzinogenen auf lange Sicht zu neuen Wegen in der Behandlung von Angstzuständen und Depressionen führen?

Wenn Gasser von seinen LSD-Behandlungen erzählt, klingt es manchmal, als berichte er von kleinen Wundern. Eine schwer kranke Frau setzte sich während ihrer Erfahrung plötzlich auf und sagte, sie sei in ihrem Leben unfreiwillig gehemmt. Sie habe schon viele Jahre nicht mehr getanzt, obwohl sie das früher so gerne getan habe. „Dann ist sie aufgestanden und hat zur Musik getanzt. Und das hat ihr unheimlich gutgetan“, sagt Gasser.

So wirken halluzinogene Drogen

Stoffe wie LSD und Psilocybin wirken auf Andockstellen in unserem Gehirn, die Neurorezeptoren. Sie verändern unsere Sinneswahrnehmung, so dass wir Reize aus unserer Umwelt stärker oder auch verzerrt wahrnehmen. „Die positiven und die schwierigen Gefühle, alles ist mehr“, sagt Gasser über die Wirkung von LSD. „Das logische Denken ist herabgesetzt, aber das intuitive, das assoziative Denken ist gefördert.“ Deshalb sei es möglich, dass ein Patient sein eigenes Leben und sein Umfeld nach der LSD-Erfahrung anders wahrnimmt als zuvor. 

„Die positiven und die schwierigen Gefühle, alles ist mehr“

Forschung, wie Gasser sie in der Schweiz betreibt, ist unter bestimmten Bedingungen auch in Deutschland möglich, die Hürden liegen aber hoch. Das Betäubungsmittelgesetz regelt den Umgang mit Substanzen, die die Gesundheit gefährden oder süchtig machen können. Es besteht seit 1972 und wurde zu einer Zeit beschlossen, als der Handel, der Besitz und die Herstellung von illegalen Drogen erheblich zugenommen hatten. Die Hippie-Bewegung hatte nicht nur Blumenschmuck und freie Liebe gebracht, es kifften auch immer mehr Menschen. Das Gesetz sollte die Rauschgiftkriminalität eindämmen und den Haschischkonsum begrenzen. Mit Stoffen wie LSD oder Psilocybin darf laut dem Betäubungsmittelgesetz nicht gehandelt werden, Ärzte dürfen sie nicht verschreiben. Wissenschaftler können zu Forschungszwecken allerdings eine Sondergenehmigung beantragen. 

Ob sich Stoffe wie LSD für Therapien eignen? Wissenschaftler sind sich da nicht einig

Die Wissenschaftler in Deutschland stehen dem Thema gespalten gegenüber. Einige sind skeptisch, ob sich Stoffe wie LSD wirklich für Therapien eignen. LSD ist eines der am stärksten wirkenden Halluzinogene. Schon in geringen Dosen ruft es unterschiedliche Zustände hervor, auch ein Horrortrip ist möglich. Hans Förstl, der die Klinik für Psychiatrie am Klinikum rechts der Isar der TU München leitet, warnt vor den langfristigen Folgen eines LSD-Trips, selbst wenn er, wie bei Gassers Patienten, medizinisch betreut wird. „Das ist zwar der tollste Zustand der Welt, wenn sich alles plötzlich erschließt und auf einen zuströmt, aber es ist durch Verstand und Vernunft nicht mehr zu bewältigen“, sagt er. Aus einer LSD-Erfahrung könne „ein dauerhaft verschobenes, ein ver-rücktes Verhältnis zur Welt“ resultieren.

„Das ist zwar der tollste Zustand der Welt, wenn sich alles plötzlich erschließt und auf einen zuströmt, aber es ist durch Verstand und Vernunft nicht mehr zu bewältigen“

Torsten Passie von der Medizinischen Hochschule Hannover, der auch an Gassers LSD-Studie mitgewirkt hat, sieht dagegen in der Forschung mit Halluzinogenen zur therapeutischen Anwendung großes Potenzial. Doch seit die Novellierung des Arzneimittelgesetzes im Jahr 2004 in Kraft getreten ist, müssen Wissenschaftler bei klinischen Studien dieselben Ansprüche erfüllen wie die Pharmaindustrie bei der Forschung für neue Medikamente. Passie erläutert, dass die Substanzen, die verabreicht werden, chemisch vollkommen rein und aufwendig toxikologisch getestet worden sein müssen. Externe Kontrolleure überprüfen außerdem die Studienunterlagen. Er führt seine Forschung zu Halluzinogenen deshalb jetzt als Gastwissenschaftler in den USA fort. Die Kosten für Studien in Deutschland würden so sehr steigen, dass es oft nicht mehr möglich sei, sie zu realisieren, sagt er.

Ketamin ist einfacher zu erforschen als andere Halluzinogene

Für ein Halluzinogen gelten die hohen gesetzlichen Hürden allerdings nicht: Ketamin. Die Substanz, die auch als Partydroge missbraucht wird, ist in Deutschland als verschreibungspflichtiges Arzneimittel zugelassen. Ketamin wird vor allem in der Anästhesie und als Schmerzmittel verwendet – und seit neuestem vereinzelt als Antidepressivum.

Die Biologin Katja Weckmann konnte in ihrer Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München zeigen, dass Ketamin den Energiestoffwechsel im Gehirn verändert. „Vereinfacht gesagt öffnet Ketamin eine Art Fenster, durch das dem Gehirn mehr Energie zur Verfügung steht. Die Patienten können sich dann wieder auf andere Dinge fokussieren – nicht nur auf negative Gedanken und gegebenenfalls empfundene Ängste“, erklärt sie.

„Unsere Erfahrung ist, dass Ketamin bei etwa einem Drittel der Patienten gut und schnell wirkt, bei einem Drittel teilweise und bei einem Drittel gar nicht“

Anders als etwa bei der Behandlung mit LSD oder Psilocybin kommt es den Ärzten bei der Therapie mit Ketamin nicht auf ein bewusstseinsveränderndes Erlebnis an – im Gegenteil: Durch eine möglichst niedrige Dosierung versuchen sie, Nebenwirkungen wie Halluzinationen zu vermeiden.

Malek Bajbouj, Professor am Centrum Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie der Charité Universitätsmedizin Berlin, hat bereits mehr als 50 depressive Patienten mit Ketamin behandelt. „Unsere Erfahrung ist, dass Ketamin bei etwa einem Drittel der Patienten gut und schnell wirkt, bei einem Drittel teilweise und bei einem Drittel gar nicht“, sagt er. Wenn Ketamin wirkt, dann besonders schnell: „Schon in den ersten 24 Stunden sind die Patienten positiver gestimmt, haben wieder mehr Energie und fühlen sich kraftvoller.“

Über die Langzeitwirkung von Ketamin ist bisher kaum etwas bekannt

Ob Ketamin bei Depressionen bald öfter angewendet werden kann, sei aber noch völlig offen, sagt Bajbouj. Vor allem über die Langzeitwirkung sei noch kaum etwas bekannt. Auch die Pharmaindustrie interessiert sich für Ketamin als Antidepressivum und treibt die Forschung voran – bei LSD und Psilocybin ist das nicht der Fall. Sich an der Forschung mit illegalen Drogen zu beteiligen ist ein Imagerisiko. Da Ketamin bereits als Medikament zugelassen ist, müssen hier auch die Pharmakonzerne weniger Bürokratie bewältigen.

Bajbouj hat gerade, unterstützt von einem großen Pharmakonzern, eine neue Ketamin-Studie begonnen, an der mehrere hundert Patienten teilnehmen sollen. Auch Peter Gasser will seine LSD-Forschung mit schwer kranken Patienten fortsetzen. Diesmal mit 40 Teilnehmern. Noch wartet er auf die Bewilligung der schweizerischen Behörden.

Titelbild: Daavid Mörtl

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