fluter.de: Frau Ramsauer, laut Reporter ohne Grenzen ist Syrien momentan das gefährlichste Land für Journalisten. Sie waren seit Kriegsbeginn schon mehrfach in umkämpften Gebieten dort. Warum machen Sie das?

Petra Ramsauer: Gerade jetzt, wo die Debatte um Fake News beharrlich läuft, werde ich in meiner Berufswahl immer wieder bestätigt: Vor Ort zu sein verleiht Glaubwürdigkeit. Wenn man sich für einen Syrieneinsatz gut vorbereitet und genau arbeitet, kann man außerdem viele Risiken minimieren. 

Wie frei können Sie in Syrien recherchieren?

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Petra Ramsauer (Foto: Jacqueline Godany)

Die österreichische Journalistin Petra Ramsauer berichtet seit rund 20 Jahren aus Kriegs- und Krisengebieten. Außer in Syrien hat sie beispielsweise auch in Afghanistan, Irak und Sub-Sahara-Afrika gearbeitet, unter anderem für Zeit Online, „NZZ am Sonntag“ und den ORF

(Foto: Jacqueline Godany)

Momentan – und damit meine ich seit 2015 – gar nicht. Es gibt die Möglichkeit, mit einem Journalistenvisum der Regierung ins Land zu kommen. Das bedeutet aber, sich gänzlich den Vorgaben des Informationsministeriums Baschar al-Assads zu unterwerfen. Zu sagen „Ich miet’ mir jetzt ein Auto, schau mir dieses an oder spreche mit jenem“ – das geht nicht. 

Journalisten wird genau vorgegeben, mit wem sie wo und über was reden?

Richtig. Ich bekam stets einen Übersetzer beziehungsweise einen Mitarbeiter des Informationsministeriums zugewiesen und wurde eindringlich daran erinnert, mich nur mit diesem zu bewegen. Die Begleitperson wählt Gesprächspartner aus oder ist bei Interviews zumindest immer mit dabei – nicht besonders angenehm. 

Manche Reporter entscheiden sich dafür, ohne Journalistenvisum nach Syrien zu gehen. Auch Sie waren schon auf eigene Faust unterwegs …

Ja. Ohne Visum – also illegal – nach und in Syrien zu reisen setzt aber voraus, eine enge Zusammenarbeit mit der FSA, der Freien Syrischen Armee, einzugehen: Wegen der Entführungsgefahr durch den IS kann man seit ein paar Jahren nicht mehr ohne bewaffnete Kämpfer recherchieren. Bei meiner letzten Reise nach Aleppo, Ende 2014, wurde mir das zum Verhängnis: Ich wollte in das kurdische Viertel Scheich Maksud, in das ich früher problemlos konnte. Doch mit Kämpfern der FSA als meine Beschützer kam ich nicht mehr rein.

Wenn die Journalisten vor Ort nur eingeschränkt recherchieren können – wie verlässlich ist dann die Nachrichtenlage überhaupt? 

Meiner Meinung nach ist die Nachrichtenlage viel klarer, als immer getan wird. 

Widerspricht das nicht dem, was Sie gerade erzählt haben?

Die Quellenlage ist schwer einzuschätzen, klar, aber sie ist dennoch sehr gut. Wir Reporter haben durch frühere Reisen sehr viele Kontakte, die wir laufend per Telefon und Internet über die aktuelle Lage befragen. Ich kenne die Hintergründe meiner Kontakte sehr gut und kann die Qualität des Materials einschätzen, das sie liefern. Große Redaktionen wie die der „New York Times“ in Beirut kontaktieren über WhatsApp und Co. täglich um die 200 Quellen! Sie holen Informationen ein, vergleichen Aussagen, prüfen Bildmaterial …

… und doch gibt es immer wieder Meldungen, die sich im Nachhinein als falsch herausstellen.

Ich mache den Job jetzt seit 25 Jahren und kann mich erinnern, dass es immer wieder Falschmeldungen geschafft haben, als Wahrheit dargestellt zu werden. Heute beschäftigen große Medien aber immerhin eigene Datenforensiker, die die Herkunft von Fotos oder Videos überprüfen. Was ich für viel bedenklicher halte als das Risiko einer Falschmeldung: Die schwierigen Fragen, wie Akteure und der Kriegsverlauf einzuschätzen sind, werden vermischt mit einer anderen Frage, die nicht schwierig ist: ob humanitäre Hilfe notwendig ist.

Aus meiner Sicht gibt es nur eine Front in Syrien: zwischen den kriegführenden Parteien und der Zivilbevölkerung

Sie schneiden an, was Sie auch in einem Kommentar im Wiener „Falter“ kritisierten: Institutionen würden, sich auf die unklare Lage berufend, ihrer humanitären Verantwortung entziehen. 

Richtig, es hätte schon lange eine Entscheidung des Sicherheitsrates geben müssen, dass internationale Hilfslieferungen nach Syrien geschickt werden, die Ausreise ermöglicht wird etc. Die internationale Diplomatie hat hier versagt. Dadurch ist eine verheerende Dynamik entstanden: Hilfe wurde zu einer Waffe. Aus meiner Sicht gibt es nur eine Front in Syrien: zwischen den kriegführenden Parteien und der Zivilbevölkerung. Viel zu oft wird so getan, als wären die Zivilisten – jene, die aufseiten Assads, und jene, die aufseiten der Opposition leben – tatsächlich auch politisch mit dieser Gruppe verbunden. Meine Erfahrung: Das stimmt überhaupt nicht. 

In Ihrem Buch „Siegen heißt, den Tag überleben“ schreiben Sie, dass es nicht nur Schätzungen zu Menschenrechtsverletzungen gäbe, sondern handfeste Zahlen und Beweise. Das Assad-Regime etwa führe über seine Folterpraxis exakt Buch, was Dokumente belegen würden. Warum finden Kriegsverbrechen so wenig Beachtung?

Die Debatte um die Einschränkung von Grundrechten wird sehr locker geführt, sobald es um Terror geht. Der Kampf gegen ihn schwächt unser Unrechtsempfinden. In der Darstellung des Syrienkriegs hat sich auch durchgesetzt, die Verurteilung von Gräueltaten sofort mit dem Verweis darauf abzuschwächen, dass die andere Seite ja auch welche begehe. Wenn zum Beispiel Berichte über Folter durch das Assad-Regime erscheinen, folgen Reaktionen wie: „Aber die Opposition hat ja auch …“, „Aber der Islamische Staat tut ja auch …“ So als wäre die Folter dadurch weniger schlimm. 

Der IS legt die Latte zudem schmerzhaft hoch, was das Ausmaß der Brutalität angeht.

Der IS hat uns vieles angetan. Besonders bemerkenswert ist aber, wie fürchterlich abgebrüht er uns gemacht hat.

„Der IS hat uns vieles angetan. Besonders bemerkenswert ist aber, wie fürchterlich abgebrüht er uns gemacht hat“

Wie bewerten Sie Onlinetools wie die Liveuamap, anhand derer man Fotos, Videos und Tweets zu Konfliktherden in Echtzeit verfolgen kann? 

Ich wage zu bezweifeln, dass jemand, der sich nicht intensiv mit dem Syrienkonflikt befasst, sehr viel davon hat. Wer da hineingerät, ist quasi im Zentrum der Info-Warfront. Ich selbst schaue mir – wie auch alle meine Kollegen – täglich sieben oder acht Satellitenaufnahmen an, stehe immer mit mehreren Informanten in Kontakt. Die Informationen, die ich von der syrischen Liveuamap bekomme, kenne ich deshalb meistens schon. Da frag ich mich: Wer ist die Zielgruppe? 

Kann Social Media dabei helfen, zu einem ausgewogeneren Bild zu kommen?

Das Transportmedium der Nachricht entscheidet ja noch nicht über seine Qualität. Fakt ist, dass es noch keinen Krieg gegeben hat, in dem soziale Medien so eine große Rolle gespielt haben. Und auch, dass Menschen durch diese leichter Zugang zu Primärquellen haben.

„Wer sich in die sozialen Medien begibt, um Geschichte auf eigene Faust zu beobachten, sollte auf jeden Fall sehr achtsam sein“

Mit denen nicht unbedingt jeder User umzugehen weiß.

Genau. Die lesen auf irgendwelchen Plattformen: Person X sagt dieses, Person Y sagt jenes. Und raus kommt die große Verwirrung. Es ist so, als wären die Medienkonsumenten plötzlich mitten in der Recherche. Die Qualität von Journalismus sollte sein, Nachrichten nicht nur zu übermitteln, sondern auch zu gewichten und auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Das können soziale Medien nicht bieten.

Sie sehen in Social Media also eher eine Gefahr der Desinformation?

Wer sich in die sozialen Medien begibt, um Geschichte auf eigene Faust zu beobachten, sollte auf jeden Fall sehr achtsam sein: Vonseiten Russlands zum Beispiel wird ein regelrechter Propagandakrieg geführt. Da werden sehr professionell falsche Twitterprofile erstellt und konsequent Falschinformationen erzeugt. 

Titelbild: Ameer Alhalbi / GETTY images