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Der schon wieder

Wurde wegen Steuerbetrug und Bestechung verurteilt und hat bei der Parlamentswahl am 4. März doch beste Chancen: Silvio Berlusconi. Mamma mia, wie konnte es dazu kommen? Eine Einschätzung

Alle mal herhören: Die Italiener in Deutschland wissen es auch nicht. Seit fast 25 Jahren werden sie gefragt: Warum Berlusconi?! Die Stimme ein Mix aus Mitleid und Entsetzen. Manche würden am liebsten jedes Mal die Hände aufs rot anlaufende Gesicht klatschen und fliehen. Oder sich einfach entschuldigen? Sorry, ich hab ihn nicht gewählt, keine Ahnung, wo der schon wieder herkommt.

„Wie kann ein Unternehmer mit solch schmutziger Weste Sympathieträger bleiben?“

Die meisten Deutschen überzeugt diese Antwort nicht. Zu viel haben sie über Berlusconi und die große Zustimmung der Italiener für ihn gelesen. Wie er Politiker wurde und Gesetze erließ, um sein Wirtschaftsimperium zu stärken. Über Steuerhinterziehung und Korruption, Sexpartys und andere Skandale. 

Wegen seiner Verurteilung wegen Steuerbetrugs kann Berlusconi diesmal nicht selbst zur Wahl antreten. Sein Name ist aber noch immer das Markenlogo der Partei Forza Italia. Sie hat sich mit der rechtspopulistischen Lega Nord und den nationalkonservativen bis postfaschistischen Fratelli d’Italia verbündet. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts SWG vom 8. Februar liegen diese drei Parteien mit zusammen rund 37 Prozent vorne. Wie kann ein Unternehmer mit solch schmutziger Weste Sympathieträger bleiben? Eine klare Antwort gibt es darauf nicht. Sehr wohl aber Beobachtungen.

„In Italien zu leben – so sehr das auch nach Klischee klingen mag –, bedeutete lange, auf einem Netz aus Gefälligkeiten zu balancieren“

Vielen Italienern geht es wirtschaftlich schlecht. Es fehlt Arbeit, vor allem im Süden sind viele junge Leute ohne Job und Perspektive. Etliche gehen ins Ausland. Die Italiener stöhnen über vergleichsweise hohe Steuern und Abgaben. Behördenanträge, Studium, zeitnahe Arztbehandlung – das alles kostet in Italien oft eine Menge Geld. Viele junge Familien halten sich mit der Hilfe ihrer Eltern und Großeltern über Wasser – in Form von Geld oder Kinderbetreuung. Zahlreiche kleine Unternehmen kämpfen gegen den Konkurs.

In Italien zu leben – sosehr das auch nach Klischee klingen mag – bedeutete lange Zeit, auf einem Netz aus gegenseitigen Gefälligkeiten unter Freunden, Bekannten und Verwandten zu balancieren. Und hin und wieder mit kleinen Tricks und Schummeleien nachzuhelfen. Es war wackelig, aber es lief. Leute, die nicht wohlhabend waren, konnten so überleben. Wer wohlhabend war, konnte Einfluss und Besitz vergrößern. 

 

Anfang der 1990er-Jahre veränderte das Antikorruptionsprogramm „Saubere Hände“ die Parteienlandschaft Italiens massiv. Gegen Tausende Politiker wurden Untersuchungen eingeleitet, mehrere der damals stärksten Parteien lösten sich auf, die Ära „Tangentopoli“, etwa „Schmiergeldprinzip“, sollte für immer beendet werden. Die Ermittlungen ebneten den Weg für neue Bewegungen. Unter ihnen: die konservative Forza Italia, die 1994 prompt die Wahlen gewann. Die Partei des Unternehmers Silvio Berlusconi füllte eine große Lücke in der Parteienlandschaft und sorgte dafür, dass bestimmte Dinge – Stichwort Korruption – blieben, wie sie waren. Berlusconi konzentrierte die Medienmacht und konnte damit die öffentliche Meinung beeinflussen wie kaum einer vor ihm. Er verquickte seine Interessen als Großunternehmer und als Gesetze-Macher. Mit Unterbrechungen regierte er bis 2011 und trat zurück, als Italien und die EU immer tiefer in die Wirtschaftskrise rutschten.

„Viele Italiener haben den Eindruck: Wenn sich was geändert hat in den letzten Jahren, dann zu ihrem Nachteil“ 

Deutschland hat sich von der Krise erholt. Italien kaum. Alle Politiker und Bewegungen, die nach Berlusconi gekommen sind, von Mario Monti über Matteo Renzi bis zur Fünf-Sterne-Bewegung, haben große Verbesserungen versprochen. Nur gekommen sind sie, das sind sich die meisten einig, nicht. Viele Italiener haben den Eindruck: Wenn sich was geändert hat in den letzten Jahren, dann zu ihrem Nachteil. 

Eine 2017 durchgeführte und im Januar veröffentlichte repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Demos zeigt: 95 Prozent der Italiener misstrauen den Parteien. Natürlich ist die Bevölkerung gegen Vetternwirtschaft, Korruption und gedankenlosen Regelbruch. Gleichzeitig empfinden aber viele Menschen gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten große Umbrüche auch als Bedrohung.

Berlusconi kündigt vereinfachte und niedrigere Steuern an, Steuerfreiheit für das erste Auto und das erste Haus. Wer unter der Armutsgrenze lebt, soll 1.000 Euro Grundeinkommen erhalten, die Mindestrente auf 1.000 Euro erhöht und die Zuwanderung eingeschränkt werden. Berlusconi ist längst nicht der einzige Politiker in Italien, der seinen Wählern das Blaue vom Himmel verspricht. Für viele ist er aber der einzige, dessen Entscheidungen und Handeln vorhersehbar sind. Wie ein alter Bekannter, dem man es irgendwie einfach abkauft, wenn er lächelnd garantiert: Leute, mit mir wird alles wie früher. Ihr könnt wieder euer Ding machen, und ich mache meins.

Titelbild: Antonio Masiello/Getty Images

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