Es ist Montagmorgen, acht Uhr. Menschen mit verschränkten Armen drücken ihre Körper demonstrativ in die Rückenlehnen. Wir haben Ende Februar. Mehr Winter geht nicht, mehr Grau auch nicht. Ich frage mich, ob es einfacher ist, im Sommer arbeitslos zu werden? So viel steht fest: Hier möchte niemand sein. Drei Monate lang habe ich rund 100 Hartz-IV-Empfänger durch Maßnahmen eines Berliner Jobcenters geschleust. Ich habe mit ihnen den Knigge der Bewerbung durchgepaukt, Lebensläufe geschrieben, Rollenspiele geübt und Jobs im Internet recherchiert. Viele wurden in einem solchen Kurs bereits zum zweiten oder dritten Mal geparkt – und dennoch haben auch die Hartnäckigsten nach ein paar Minuten begonnen, ihre Arme aus der Verschränkung zu lösen.

Es war mir ernst, das habe ich unmissverständlich klar gemacht – nicht mit dem Bewerbungs-Knigge, sondern mit ihnen. Dass ich sie nicht langweilen, sondern anregen wollte. Ich habe mal gelesen, dass man jeden Menschen vor einem großen Horizont sehen sollte. In den Medien werden Hartz-IV-Empfänger vorgeführt, die faul sind und ihre Kinder vernachlässigen. Klar gibt es die – nur ich habe sie in den drei Monaten nicht kennen gelernt. Jeder meiner Hartz-IV-Neulinge wollte nur eins: so schnell wie möglich wieder in Arbeit kommen.

Obwohl es harte Burschen gab. Die haben sich zielsicher nach links außen gesetzt. Sie wollten nicht zur Gruppe gehören, nicht angequatscht werden, den Blick starr auf die Tür gerichtet, man spürte förmlich die Faust in ihren Taschen. Sie waren am Ende diejenigen, die am schnellsten ihre Vorurteile abbauten. Hier war jeder im gleichen Boot. Man wollte sich nicht miteinander anlegen, man wollte Perspektiven.

Überhaupt war das Coming-out vieler Teilnehmer sehr berührend: Eine 20-jährige verwitwete Russin wagte auf Zuspruch von ein paar jungen Türken endlich einmal wieder, ein farbenfrohes Tuch statt Trauer zu tragen. Ein Kampfsportler, der viele Jahrzehnte auf allen Kontinenten herumgekommen war, weinte vor Rührung, als sich der Blätterwald in seiner Aldi-Tüte doch noch in so etwas wie einen Lebenslauf verwandelte. Ein träger Bauarbeiter, der vor Selbstmitleid erstarrte, dankte einer Physikerin, die jahrelang an einen Rollstuhl gefesselt war, für ihre Lebensfreude und ihren Optimismus. Ein iranischer Professor, der seinen Job an den Nagel gehängt hatte, um seine krebskranke Frau zu pflegen, verhalf einem Neonazi bei seiner Jobsuche im Internet zu einer neuen Stelle.

Und der schüchternste Mann im Hartz-IV-Universum blühte beim Rollenspiel zu einem umwerfend charmanten Adonis auf. Ich habe nur den Raum gegeben, sich zu begegnen, und zwei Regeln gesetzt: Niemand und nichts wird bewertet. Jeder macht in diesem Kurs nur das, was er kann und will. Den Raum hat jeder auf seine Art genutzt. Es war mehr als ein Bewerbungstraining. Für viele war es auch ein wenig Überlebenstraining.