1. Nummer-eins-Hit

Die wichtigste Zahl im Pop ist natürlich die Nummer eins. Denn kaum eine andere Kunstform evaluiert Erfolg so akribisch wie die Popmusik. Es mag Auktionsrekorde, Theaterwettbewerbe, Box-Office-Hits und die Oscars geben, aber die Popmusik glänzt mit wöchentlichen Verkaufscharts, die zu einer permanenten Siegerehrung inszeniert werden.

Dass das mit dem Nummer-eins-Hit ganz leicht geht, behaupteten zumindest Jimmy Cauty und Bill Drummond. In ihrem Buch „The Manual“ gaben sie eine Gebrauchsanweisung, wie man ohne Mühe die Spitze der Charts erklimmen könne. Grundvoraussetzung: Man muss abgebrannt und arbeitslos sein. Wichtig auch: Wer ein Instrument spielt, sofort aufhören. Wer in einer Band ist, kündigen. Tatsächlich haben Cauty und Drummond nach diesem Rezept einen Nummer-eins-Hit abgeliefert. „Doctorin’ the Tardis“ war ein dreister Studiotrack aus bekannten Melodien, der im Juni 1988 genau eine Woche an der Spitze der englischen Single-Charts stand. Allerdings ist Nummer eins nicht gleich Nummer eins. Denn Pop ist ein Saisongeschäft: Im Sommer werden wesentlich weniger Platten verkauft als im Herbst und Winter.

Den Mythos Nummer-eins-Hit, an dem The KLF kratzen, wie sich Cauty und Drummond bald nannten, gibt es seit 1936. Da führte das amerikanische Branchenblatt „Billboard“ die erste „hit parade“ ein. Initiiert vom Musikmagazin „New Musical Express“ startete die Single-Charts nach Verkaufsrang in England 1952 –vorher wurden die verkauften Notenblätter gezählt; Deutschland zog 1954 zunächst mit monatlichen Listen nach. Die meisten Nummer-eins-Hits in Deutschland hatten die Beatles – elf Stück. Platz zwei: Abba. Bronze teilen sich Boney M. und The Sweet.

2. Der Fluch des zweiten Albums

Einen wichtigen Stellenwert in der Numerologie der Popmusik hat der sogenannte Fluch des zweiten Albums. Das ist besonders gefürchtet bei Musikern, deren Debüt erfolgreich war. Dann kann folgende Rechnung entstehen: Erwartungshaltung plus Zeitdruck. Denn – so sind die Regeln des Geschäfts – wer einen erfolgreichen Erstling hinlegt, muss schnell nachziehen. Und wehe, dann sind alle guten Ideen schon für das erste Album verbraten. Unter den zehn erfolgreichsten Platten aller Zeiten befindet sich tatsächlich nur ein zweites Album. Und das ist „Bat out of Hell“ von Meat Loaf.

3. Revolution in 33 ⅓ Umdrehungen pro Minute

Die erste erfolgreiche Langspielplatte wurde Mitte Juni 1948 von Columbia Records im Hotel Waldorf Astoria in New York vorgestellt – und läutete das industrielle Zeitalter der Musikproduktion ein. Eine Revolution, fand nicht nur Philosoph und Musiktheoretiker Theodor W. Adorno. Denn die Langspielplatte erlaubte den privaten Musikgenuss, wenn die Nadel sich auf ihre Reise durch die 920 Meter lange Rillenspirale begibt. Dank ihrer Geschwindigkeit von 33 ⅓ Umdrehungen pro Minute bildete sie eine Spielzeit von rund 45 Minuten bei hoher Klangqualität ab. Das Material Polyvinylchlorid, kurz Vinyl, war nicht nur wesentlich günstiger als der bis dato verwendete Schellack, sondern auch stabiler, was den Vertrieb maßgeblich vereinfachte. Mit der Langspielplatte hatte die Popmusik ihr Paradeformat gefunden. Ihren Tod konnte nicht mal der Siegeszug der CD Ende der 80er-Jahre einläuten. Der Verkauf von LPs lag 2014 in Deutschland bei 1,8 Millionen Exemplaren – so viele wie zuletzt 1992.

4. Beschleunigung auf 45 Umdrehungen

Bis Anfang der 70er-Jahre hatten Plattenspieler auch Einstellungen für 78 Umdrehungen pro Minute und sogar für 16 ⅔ Umdrehungen – Letzteres verlängerte die Laufzeit der Platte, verminderte aber deren Tonqualität so stark, dass sie nur für Sprachaufnahmen geeignet waren. Neben 33 ⅓ etablierten sich die 45 Umdrehungen. In dieser Geschwindigkeit wurden schon seit 1949 Singles im 7-Zoll-Format hergestellt, seit den 70er-Jahren aber viele sogenannte Maxi-Singles, die im 12-Zoll-Format gepresst wurden, also mit dem gleichen Durchmesser wie eine Langspielplatte, aber mit wesentlich breiteren Rillen. Das erhöht die Grundlautstärke, sorgt für mehr Dynamik (also mehr Bässe und Höhen) und ein besseres Signal-Rausch-Verhältnis, was zu einer höheren Klangqualität führt.

Entsprechend wurden Maxi-Singles überall da wichtig, wo die Platten richtig laut laufen: in Clubs, auf Partys, bei mobilen Soundsystemen. Die Maxi-Single sorgte aber auch für eine Beschleunigung in der Musikproduktion. Egal ob Disco, Hip-Hop, Reggae, House, Techno, Drum ’n’ Bass – statt der zeitaufwändigen Produktion von Alben feuerten die Produzenten dieser Musikrichtungen im schnellen Rhythmus immer neue Maxi-Singles auf den Markt.

5. Der Kult um Jahreszahlen

Ihren ausgeprägten Hang zur Zahlenmystik offenbart die Popmusik in ihrem Kult um bestimmte Jahreszahlen. Lange schien dahinter ein Geschichtsmodell zu stehen, das besagt: Alle zehn Jahre kommt eine neue Revolution, die alles, was davor war, ziemlich alt aussehen lässt. Das erste Umbruchjahr war 1967: Pop wird psychedelisch. Die Beatles veröffentlichen „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, die Rolling Stones ziehen mit „Their Satanic Majesties Request“ nach, die Stücke lösen sich vom Strophe-Refrain-Schema, die Instrumentalparts werden länger, die Haare der Musiker auch.

1977 tritt der Punk dann dem mittlerweile dekadent gewordenen Rock mit einem lauten Rülpsen vors Schienbein. Drei Akkorde, das muss reichen, so die Forderung. 1988 zeigt sich: Auch drei Akkorde können zu viel sein. Mit Acid House und dem zweiten Summer of Love in England wird die Popmusik elektronisch. Tracks ersetzen Songs, Rhythmuspattern treten an die Stelle der Melodien, DJs sind die neuen Rockstars.

Nach 1988 kam keine große Revolution mehr. Stattdessen viele kleine. Der Kult um die Jahreszahlen wurde dadurch eher verstärkt. Er ist Ausdruck der grassierenden Retromania der Popkultur und entspricht offenbar einem ausgeprägten Sortierungswunsch seitens der Hörer. Der scheint besonders in der weißen Mittelklasse stark ausgeprägt, wie die einflussreiche Liste der 500 besten Alben der US-Ausgabe des „Rolling Stone“ verrät. Der schwarz geprägte Hip-Hop kommt darin kaum vor, dabei ist das mit R&B die weltweit wohl erfolgreichste Spielart der Popmusik.

6. 666 – der Rock und das Böse

Als irgendwie unheimlich gilt die Zahl 666 schon seit der Johannesoffenbarung. Hier steht sie für die Zahl des Tieres – wer auch immer dieses Tier genau sein mag. Im Mittelalter wurden allerhand Bösewichter mit der 666 gekennzeichnet – Ketzer, Gegenpäpste und despotische Herrscher. In der Popmusik, die ihre dunkle Seite insbesondere in den härteren Rock-Spielarten auslebt, hält sie über Aleister Crowley Einzug, einen englischen Esoteriker, Freigeist und okkultistischen Spinner, dessen Wirken breiten Widerhall fand von den Rolling Stones bis zu Black Sabbath und natürlich so ziemlich allen anderen Metal-Bands.

7. Club der 27

Noch so ein Pop-Zahlen-Aberglaube. Nur makabrer. Rockstars sterben mit 27 Jahren. Gab ja genug. Jimi Hendrix, Jim Morrison, Janis Joplin, Brian Jones, Kurt Cobain, Amy Winehouse – sie alle erlangten unsterblichen Ruhm, aber ihr Ende kam viel zu früh.

8. Der Loop

Eine wichtige Muse des Pop ist die Wiederholung. Die Steigerung der Wiederholung ist der Loop, also die Endlosschleife, mathematisch ausgedrückt die Negation der Endlichkeit. Schon Elvis experimentierte mit aufgenommenen Tonspuren, die er zu Schleifen montierte, später taten das zahlreiche Avantgardemusiker wie Terry Riley oder Brian Eno und natürlich alle Produzenten, die etwas mit elektronischer Musik zu tun haben.

9. 909, 808, 303 – der Zahlencode der Selbstermächtigung und Zweckentfremdung

Die TR-909 mit ihrem eigenwilligen Groove und der mächtigen Kickdrum gilt vielen Musikproduzenten als der beste Drumcomputer. Andere schwören auf die TR-808 mit dem langen Delay der Kickdrum. Jedenfalls hat der japanische Elektronikhersteller Roland mit der Entscheidung, seine Serie elektronischer Musikinstrumente durchzunummerieren, einen Mythos der nerdigen Sorte geschaffen. Das Aufkommen der Drumcomputer wie auch der Sampler war ein Stück Selbstermächtigung. Musik zu produzieren war kein Privileg mehr, das die reichen Plattenfirmen auserwählten Musikern gewähren konnten.

Dabei spielt auch die Zweckentfremdung eine wichtige Rolle. Und dafür steht die TB-303 der Roland-Serie. Hier gilt der klassische Adorno-Satz: „Nicht ganz selten in der Geschichte der Musik gewinnen technische Erfindungen ihren Sinn erst lange, nachdem sie gemacht wurden.“ Ursprünglich war die TB-303 als Basssynthesizer geplant, der Gitarristen beim Soloauftritt eine Begleitung liefern sollte. Allerdings wurde das Gerät zum Ladenhüter. Im Chicago Mitte der 80er-Jahre fanden zwei House-Produzenten jedoch heraus, dass man ihm allerhand merkwürdige Klänge entlocken kann, wenn man nur lange genug an den Knöpfen drehte. Mit ihren Experimenten begründeten sie den Acid House – und zeigten, dass Zweckentfremdung immer ein wirkungsmächtiger Gründungsmythos in der Popkultur ist.

10. SL-1200 & SL-1210 – Prinzip der Collage

Der Heiligsprechung der Plattenspieler SL-1200 und SL-1210 des Labels „Technics“ der japanischen Firma Panasonic Corporation ging eine Umwandlung voraus. Der Plattenspieler musste vom Abspielgerät zum Musikinstrument umgewidmet werden. Das passierte irgendwann in den 1970er-Jahren, irgendwo in der Bronx. Dort begannen DJs wie Grandmaster Flash und Afrika Bambaataa die Instrumentalparts von Funk und Disco-Platten mit zwei Plattenspielern und selbst gelöteten Mischpulten aneinanderzucutten und erfanden den Hip-Hop.

Der beste Plattenspieler für diese musikalischen Echtzeitcollagen waren der SL-1200 und der SL-1210, weil sie mit ihrem Direktantrieb und starken Motor perfekt für das Mixen sind und robust genug für den Clubbetrieb. In den 80er-Jahren überführte das Sampling das Prinzip der Collage in das digitale Zeitalter. 2010 wurde die Produktion der Plattenspieler eingestellt. Zwei 1210er stehen heute im London Science Museum – als Beispiel für die Technik, die die Welt von heute geprägt hat.

Pop-Zahlen, die der Journalist Felix Denk aus Berlin gerne wüsste: Wie viel Geld er in seinem Leben für Musik ausgegeben hat, wie viel Prozent seines Geschichte-Studiums er in Plattenläden verbracht hat und wie lange die Rille wäre, wenn man alle Platten, zu denen er getanzt hat, verbinden würde.