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„Da ist Macht im Spiel“

Rollt der Ball erstmal, sind Menschenrechtsverletzungen in Russland und Korruption bei der FIFA schnell vergessen. Der Politologe Timm Beichelt hat uns kurz vor Anpfiff nochmal aufgezeigt, wie eng Sport und Politik zusammenspielen

  • ein Videobeweis

fluter.de: Warum hat der Fußball Macht?

Timm Beichelt: Weil es sich um ein attraktives und dynamisches Spiel handelt, bei dem man den Ausgang nicht vorhersehen kann. Das mag eine triviale Definition sein. Aber sie wird von vielen Menschen in aller Welt geteilt. Die Faszination des Spiels hat Sponsoren und wirtschaftliche Ressourcen zum Fußball geholt, und dadurch ist das Phänomen immer größer geworden, sodass manche heute von einer Hegemonialsportart sprechen. Der Fußball bekommt also wahnsinnig viel Aufmerksamkeit. Dadurch erlangen die Personen, die im und rund um den Fußball tätig sind, eine große gesellschaftliche und ganz bestimmt auch politische Macht.

Diese Macht ist aber nicht durch Wahlen legitimiert.

Es gibt viele gesellschaftliche Bereiche, in denen nicht gewählt wird und man dennoch über eine gewisse Legitimität verfügt. Man denke an den Kneipier um die Ecke oder an ein Unternehmen, das ethisch einwandfreie Geschäfte macht. Auch da ist Macht im Spiel, ökonomische und auch Macht, einen Diskurs mitzubestimmen. Das Problem ist, dass die Akteure im Fußball einerseits politische Macht ausüben. Zum Beispiel, wenn es um einen Stadionbau oder um bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen geht. Andererseits weisen sie diese gesellschaftliche und politische Macht von sich, wenn sie unter Druck und in die Kritik geraten. Wenn es eben um Menschenrechte bei Turnieren wie der WM geht oder wenn Arbeiter ausgebeutet werden. 

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Ersatzspielfelder

Mächtige 360 Seiten voll mit Fußball, im Mai in der „edition suhrkamp“ erschienen

Ist den meisten nicht einfach gleichgültig, unter welchen Bedingungen der Fußball gespielt wird?

Das hängt vom Weltbild ab. Wenn man ein liberales Weltbild hat, kann man bestimmte Auswüchse kritisieren, aber im Prinzip steht man dann auf dem Standpunkt: Es ist doch alles in Ordnung. Die Spieler verdienen das, was der Markt hergibt, es gewinnen halt diejenigen, die sich den Erfolg mit Geld und Einsatz erarbeiten können. Aber wenn man der Ansicht ist, dass Fußball etwas mit Gemeinschaft und Solidarität zu tun hat, dass man auch mal was abgeben muss, dass soziale Projekte sinnvoll sind, dann kommt man zu dem Schluss, dass es bestimmte Defizite im Fußball gibt. Denn wer gemeinschaftlich denkt, der bemerkt schnell, dass Spieler und Funktionäre eher auf das eigene Geld und die eigene Bedeutung achten. Dann fällt auf, dass häufig nur dann gemeinschaftliche Werte und Motive vertreten werden, wenn es mit dem Gewinn vereinbar ist. Und das funktioniert nicht. Und an dieser Stelle ist der Fußball angekommen. Es scheiden sich buchstäblich die Geister an ihm.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass der Neoliberalismus mit seiner stetigen Gewinnmaximierung für die heutige Situation des Profifußballs verantwortlich ist. Gibt es eine Möglichkeit, diese Entwicklung umzukehren?

Die Entwicklung ist offen. Basketball oder American Football in den USA haben ja quasi damit gebrochen, dass diese Sportarten eine gesellschaftliche Basis haben. Mitbestimmung wie in deutschen Vereinen gibt es dort überhaupt nicht. Diese Ligen leben nicht vom Vereinsleben, sondern sind auf Spektakel ausgerichtet. Das funktioniert auf seine Art natürlich auch, und es gibt dort ja durchaus eine Tendenz zu politischen Aussagen. Mit sozialer Verwurzelung hat das Ganze aber wenig zu tun. In Deutschland steht vielleicht der RB Leipzig für dieses amerikanische Modell. Das Gegenmodell in Deutschland wäre die Bewegung zum Amateurfußball. Sie führt möglicherweise dazu, dass der Sport nicht mehr so hochklassig ist, weil die besten Talente und Spieler eben in andere Länder gehen. Es gibt ein paar Vereine wie den FC St. Pauli oder den 1. FC Union Berlin, die es dauerhaft schaffen, Profifußball zu etablieren, ohne die Selbstbestimmung aus der Hand zu geben. Das ist sozusagen die letzte Utopie des Fußballs, dass man auf den letzten Tick Wettbewerb und Kommerz verzichtet, um einen Sport zu erhalten, der auf das Miteinander und das Identifizieren setzt. Welches dieser Szenarien sich durchsetzen wird, lässt sich schwer sagen.

 „Diese Ligen leben nicht vom Vereinsleben, sondern sind auf Spektakel ausgerichtet“

Die Fankurven sind in den vergangenen 20 Jahren viel engagierter und politischer geworden. Rütteln sie nicht an der Macht von Verbänden und Vereinen?

Das stimmt. Aber diese Leute sind trotz allem in der Minderheit. Fans, die sich für Mitbestimmung, für den Erhalt der 50-plus-1-Regel oder gegen Rassismus im Fußball einsetzen, machen abhängig von der Fanszene vielleicht 10 bis 30 Prozent des Gesamtpublikums aus. Ich sehe darin aber einen großen Wert des Fußballs. Er bietet eine Bühne für politisches Handeln in Gegenden, wo politische Parteien nicht mehr als besonders attraktiv angesehen werden, und er ist ein Auffangbecken für diejenigen, die als Verlierer der Globalisierung gelten und dort ihre Identität ausleben können. Hochproblematisch finde ich, dass die Verbände gerade denjenigen, die um Mitbestimmung buhlen, nichts Adäquates anbieten. Stattdessen werden noch so kleine Vergehen skandalisiert und sensationalisiert. 

Der Nationalspieler Mesut Özil ist der Deutsche mit den meisten Facebook-Followern, nämlich 31 Millionen. Zum Vergleich: Angela Merkel hat 2,5 Millionen. Verschiebt sich da die Macht nicht deutlich zu den Fußballakteuren und weg von den Verbänden und Vereinen?

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Timm Beichelt (Foto: Heide Fest)

Timm Beichelt ist Professor für Europa-Studien an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder

(Foto: Heide Fest)

Ja, darüber wird im Fußball seit Jahren geklagt. Die Vereine sind viel abhängiger von den Spitzenspielern und ihren Beratern geworden. Dadurch entsteht natürlich die Frage, wie diese Macht eingesetzt wird. Viele Fußballer verhalten sich wie Popstars und nehmen Werbeverträge mit, wo sie nur können. Dadurch wird auch ein bestimmtes Weltbild verbreitet, das ziemlich konsumorientiert ist. Leider sind nur wenige Spieler gesellschaftlich interessiert. Und wenn sie politische Botschaften loswerden möchten, wie zuletzt Mesut Özil und Ilkay Gündogan, wirken sie reichlich unbeholfen.

Wie gehen Sie als Fußballfan mit Ihren Erkenntnissen um?

Ich bin enttäuscht von den Leuten, die Macht haben im Fußball – ob es nun Verbandsfunktionäre, Manager oder auch Spieler sind. Die meisten ducken sich bei wichtigen Themen weg und beziehen keine Stellung bezogen. Das schafft Distanz, was mich sicherlich mit der kritischen Fanszene verbindet. Den Fußball an sich, auch bei der WM, werde ich mir dennoch anschauen. Da möchte ich auch appellieren, sich den Fußball nicht nehmen und kaputt machen zu lassen. 

Titelbild: FABRICE COFFRINI/AFP/Getty Images (Wegen Korruptionsverdacht wird der ehemalige FIFA Präsident Sepp Blatter während einer Pressekonferenz mit Dollarnoten beworfen)

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