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cms-image-000043918.jpg (Illustration: Frank Höhne)
(Illustration: Frank Höhne)

Ein Erdbeben in Honduras: Eine Brücke zerbricht, Menschen fliehen auf die Straße, Hütten fallen in sich zusammen. Ein paar bunte Häuser mit abgerundeten Ecken bleiben stehen. Sie gehören nicht den Reichen, sondern den Armen. Ihre Wände bestehen aus Plastikflaschen und wurden von Dorfbewohnern errichtet. Erfunden hat das Verfahren Andreas Froese, der es als gelernter Zimmermann früher eher mit Holz als mit Plastik zu tun hatte.

Aber das hat sich in den über 20 Jahren, die Froese in Entwicklungsländern verbracht hat, geändert: Die Mengen an Müll, die er sah, brachten ihn auf die Idee, den Abfall sinnvoll zu nutzen. Die Idee zum Bau von Häusern aus alten Plastikflaschen hatte er 2001 in Honduras, als er einen Freizeitpark ökologisch gestalten sollte, das heißt: erst mal ordentlich Müll trennen musste. Schnell türmten sich die leeren PET-Flaschen zu Bergen. Verbrennen oder verbuddeln kam nicht infrage, also baute Froese zusammen mit vier Helfern innerhalb von drei Monaten ein Haus daraus. Nicht nur, um Land und Meer vom Plastikmüll zu befreien, sondern auch, weil er einfach eine Arbeit brauchte.

Tatsächlich erwies sich die Erfindung als recht langlebig. Mittlerweile hat Froese sogar ein eigenes Unternehmen, das den Menschen zeigt, wie man aus PET-Flaschen ein Haus baut. Vor allem in Lateinamerika, aber auch in Afrika und Indien war die Firma Eco-Tec bisher für circa 60 Projekte unterwegs, darunter ein Dutzend Häuser, aber auch viele Wassertanks. Dabei hat Froese weder Mitarbeiter noch Büroräume, nur die Projekte vor Ort. Reich werde er damit nicht, sagt er, aber auf Spenden oder Crowdfunding will er dennoch nicht zurückgreifen. „Die Leute müssen sich aus Überzeugung für das Bausystem entscheiden; nur so kann es sich verbreiten.“

Die Idee, aus Abfall Gebäude zu bauen, existiert schon länger. Der berühmte US-amerikanische Ökoarchitekt Michael Reynolds schuf bereits Anfang der 1970er-Jahre Häuser aus Zement und alten Plastikflaschen. Besonders bekannt wurde seine „tin can wall“ – eine Mauer aus Getränkedosen. Der brasilianische Mechaniker Alfredo Moser hatte 2002 die Idee, dass man eine mit Wasser gefüllte Flasche in einem bestimmten Winkel ins Dach einsetzen kann, damit sie Licht in die Wohnung bringt. Das darauf basierende Projekt hat laut dem philippinischen Trägerverein My Shelter Foundation seit 2011 rund 140.000 Haushalte auf den Philippinen erleuchtet.

Andreas Froeses Methode zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass man dafür nicht viel mehr als das braucht, was man im Müll findet. Manchmal entsteht daraus ein Wassertank, ein anderes Mal ein billiges Dach über dem Kopf. Die Arbeiter schütten dafür Bauschutt, Erde oder auch Lehm durch einen Trichter in alte PET-Flaschen. Dann stapeln sie die Flaschen wie runde Ziegelsteine, vermauern sie mit Lehm oder Mörtel und verbinden sie mit Schnüren. Am Ende kommen dann ein bisschen Lehm, Farbe und ein einfaches Dach drauf – fertig. Der taiwanesische Architekt Arthur Huang wiederum entwickelte ein Hightech-Verfahren, bei dem aus Plastikmüll hohle, wabenförmige Bausteine hergestellt werden. Die Wände einer Ausstellungshalle in Taipeh bestehen aus 1,5 Millionen dieser Förmchen. Das „United Bottle“-Programm hingegen setzt auf Flaschen, die schon perfekt zusammensteckbar produziert werden.

Auf einen Quadratmeter passen ungefähr hundert Flaschen. Die Wände sind dick, verteilen den Druck durch die runde Form gleichmäßig, und die Verbindungsschnüre machen sie flexibel. Für die Bewohner bedeutet dies, dass die Häuser bei Erdbeben nicht so schnell zusammenbrechen wie Ziegelbauten, außerdem sind sie angeblich feuerfest und kugelsicher.

„Statisch und vom Tragwerkverhalten her funktioniert das Verfahren“, sagt Georg Conradi, Professor an der Fachhochschule Lübeck und Experte für experimentelles Bauen, vor allem dann, wenn nicht nur loser Bauschutt reingegossen werde, sondern feuchter Lehm, der später aushärtet. Vom Plastik gehe laut Conradi auch keine Gefahr aus, da sich nach dem Verbauen kaum bedenkliche Stoffe freisetzen können. Es gibt aber auch Kritiker des Mülls als Baustoff – so lehnt das Institut für Baukonstruktion an der Technischen Uni Braunschweig „Zivilisationsmüll als Nachhaltigkeitsfaktor“ ab, wie Leiter Werner Kaag sagt.

In Ländern mit Korruption sind billige Projekte nicht gefragt

Dass die Häuser aus Plastikmüll billiger sind als Häuser aus Stein, ist in Froeses Augen nicht nur ein Vorteil, sondern hemmt möglicherweise sogar deren Verbreitungserfolg. Denn Städte oder Regierungen gehören selten zu den Kunden, eher sind es NGOs und Vereine. Gerade in Ländern mit Korruption könnten sich solche billigen Projekte nicht durchsetzen, weil durch sie nur wenig Geld in den Taschen der Politiker lande, erzählt Froese. „Die Bauherren sagen mir: Super, wir wollen was für arme Menschen und die Umwelt tun, wir haben soundso viele Millionen dafür, und davon möchte ich erst mal was auf meinem Konto haben.“ Diese Erfahrung bestätigt auch Bauprofessor Conradi. „Günstige, aber aufwändige Methoden sind von der Baulobby in den Regionen nicht unbedingt erwünscht. Die haben ihre etablierten Bauweisen.“

Daneben ist es ein Problem, dass Froeses Verfahren kein offizielles Siegel trägt. Vor etwa zwei Jahren wollte ihn eine mexikanische Regierungsorganisation engagieren, doch nach drei Monaten Papierkrieg habe es geheißen: Wir brauchen ein Patent. Doch patentieren lassen will Froese sein Verfahren nicht. Zu teuer, zudem müsse dann jeder, der nach dem Verfahren bauen wolle, eine Lizenzgebühr zahlen.

Zukünftig möchte der Zimmermann mit Unis weitere Studien durchführen, um auch im sozialen Wohnungsbau Fuß zu fassen. Das Verfahren soll schließlich zertifiziert werden, wofür offizielle Prüfstellen ausführlich testen müssen, wie sich die Häuser unter dem Einfluss des Wetters oder bei Umweltkatastrophen verhalten. Die Kugelsicherheit hat Froese bereits selbst getestet: „Ich habe schon mal mit der honduranischen Armee ein Projekt gemacht und auf ein Haus geballert.“ Die Kugeln seien einfach stecken geblieben – wie in einem Sandsack.

Illustration: Frank Höhne