Vor 25 Jahren wäre das nur schwer vorstellbar gewesen: Eine einfache DDR-Papiertüte wird Ende 2008 für mehr als 500 Euro versteigert. Sie trägt die Aufschrift „HO“ und „Durch Leistung zum Begriff geworden“ und stammt von der größten staatlichen Einzelhandelskette der DDR. Signiert hat sie Ende der 70er-Jahre der westdeutsche Aktionskünstler Joseph Beuys, der mit seinen diversen seriell hergestellten Objekten den Kunstbegriff erweitern wollte.

An den Kassen der DDR bekam man nie einen „Plastebeutel“ für seine Einkäufe in die Hand gedrückt – Plastiktüten wurden nur für bestimmte Anlässe produziert wie Messen, Veranstaltungen oder Firmenjubiläen. Die Selbstverständlichkeit, mit der in der Bundesrepublik ab Mitte der 60er-Jahre viele Tausende Tüten an den Kassen ausgegeben wurden, war undenkbar. Stattdessen benutzte man Tragebeutel aus Kunststoff, die über Jahre verwendet wurden. Da die DDR kein Land des Überflusses war, waren meist auch Einkaufstüten überflüssig. Eine Aktion, die in dem Land, in dem diese Papiertüten zum Alltag gehörten, sicher niemand für möglich gehalten hätte. Denn begehrt waren nicht die allgegenwärtigen Papier-, sondern die raren Plastiktüten – vor allem, wenn sie ein westliches Markenlogo zierte. So konnten Edeka-Tragetaschen, im Westen gedankenlos nach dem Einkauf weggeworfen, in der DDR viel Aufmerksamkeit erregen. Von den staatlichen Stellen wurde eine Tüte aus dem „Land des ungebremsten Konsums“ natürlich nicht so gern gesehen. Das führte so weit, dass manch einer aufgefordert wurde, seine Tüte zu wenden, damit das westliche Logo nicht mehr zu sehen war. 

Im anderen Teil Deutschlands gab es bereits ab dem Jahr 1961 die ersten serienmäßig hergestellten Plastiktüten – in der Lebensmittelabteilung des Horten-Kaufhauses in Neuss. Dünne, kleine Tütchen, die zusammengelegt wie Unterhemden aussahen und noch heute den weltweit häufigsten Typ der Plastiktüte darstellen. Der Historiker Heinz Schmidt-Bachem, der über Tüten promovierte, beschrieb diese Zeit so: „Nach dem Wirtschaftswunder hatten wir uns satt gegessen. Nun begann die Überflussgesellschaft. Wir konnten kaufen, was das Herz begehrte. In den Supermärkten wurde alles angeboten. Und die Einkäufe mussten abtransportiert werden. Auf einmal gab es dann diese Tragetaschen – das war wie ein Sterntaler-Regen.“

Die Tüte revolutioniert das Einkaufen

Und wirklich: Die Plastiktüte revolutionierte das Einkaufen und wurde zum Symbol des Aufschwungs, steigerte sie doch durch die allgegenwärtige Verfügbarkeit den Umsatz immens. Kein Wunder, dass ihr zusätzlicher Einsatz als Werbeträger nicht lange auf sich warten ließ. Mit dem Firmenlogo auf der Tragetasche wurde sie zum kostengünstigen Werbemedium und mit der richtigen Marke sogar zum Statussymbol für den Konsumenten.

Erst während der Ölkrise in den 70er-Jahren begann man sich mit der Gedankenlosigkeit auseinanderzusetzen, mit der ein wichtiger Rohstoff verschwendet wurde. Mit dem Leitspruch „Jute statt Plastik“ startete ein Kreuzzug gegen die Plastiktüte. Heute ist sie für die meisten Menschen ein Symbol der Wegwerfgesellschaft und mit negativen Attributen wie Umweltverschmutzung besetzt. Wer auf sich hält, rennt nicht mit einer Plastiktüte herum, sondern mit einem Stoffbeutel, der seinen Träger als nachhaltig orientierten Menschen erscheinen lässt.

Es gibt aber auch heute noch Gegenden, wo eine Plastiktüte nicht negativ konnotiert ist, sondern ihrem Träger einen gewissen Status verleiht: In Moskau sieht man zuweilen gefälschte Markentüten, von denen sich der Träger einen Hauch Weltläufigkeit verspricht. Da springt einem auf einer Hochzeit eine Tüte mit einem riesigen „Boss“-Logo in die Augen – eine Form von Accessoire, das man bei Trauzeugen eher selten erwartet. Auch Tütenvarianten, auf denen ein dilettantisch gestalteter BMW-Schriftzug prangt, kursieren rund um den Roten Platz.

In einer Welt, in der von der Rolex-Uhr über die Nike-Schuhe bis hin zur Louis-Vuitton-Tasche alles gefälscht wird, macht die Plastiktüte natürlich keine Ausnahme. Im Gegenteil: Mit dem Logo eines globalen Brands bedruckt, trägt sie mancher gleich viel lieber – und vor allem: schmeißt sie nach dem Einkauf nicht gleich weg.