Dein Herz schlägt. Gerade hast du ein heikles Polizeiverhör überstanden. Jetzt willst du unbemerkt raus aus der Stadt. Du hörst die Schritte von Soldaten, ein falscher Schritt und es kann böse für dich enden.

Auf diesen Höllentrip schickt uns „Last Exit Flucht“. Auf weiteren Stationen des Browsergames musst du einen verletzten Freund zurücklassen oder verzweifelt nach einem Unterschlupf suchen. Dann kommst du irgendwann im Zielland an, in dem dich längst nicht jeder willkommen heißt. Zu jedem Spielzug findet sich ein Link zum „Faktenweb“ mit pädagogisch aufbereitetem Wissen.

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„Last Exit Flucht“ (Screenshot: UNHCR)

„Last Exit Flucht“

(Screenshot: UNHCR)

Optik und Prinzip des Spiels aus dem Jahr 2006 sind sehr schlicht. Dennoch werden die Angst und die Beklemmung von Menschen, die fliehen müssen, spürbar. In einer Episode muss man sich innerhalb einer Minute entscheiden, welche drei Dinge aus seinem Zimmer man in einen kleinen Rucksack stopft. Die unersetzlichen Familienfotos? Die praktische Taschenlampe? Den Reisepass? Das bisherige Leben schrumpft auf eine winzige Auswahl an Erinnerungsstücken zusammen. Wenn man sich nicht schnell genug entscheidet, wird die Wohnung von Polizisten gestürmt, die einen zu einem unbestimmten Ort mitnehmen.

Das englischsprachige Spiel „My Life as a Refugee“ aus dem Jahr 2012 ist eine App für Smartphones und Tablets. Drei Protagonisten stehen zur Auswahl: die 27-jährige Merita, der 15-jährige Paulo und die 24-jährige Amika. Folgen wir Paulo. Sein Traum ist es, Arzt zu werden. Doch er muss erleben, wie Rebellen Gleichaltrige zwangsweise als Kindersoldaten rekrutieren. Paulo beschließt zu fliehen.

Auf seiner schwierigen Reise steht er vor heiklen Entscheidungen: Soll er sich den Rebellen anschließen oder die Flucht wagen? Soll er einem Unbekannten trauen, der ihm bereitwillig seine Hilfe anbietet? Immer wieder heißt es „Game over“: Trifft man eine falsche Entscheidung, wird man umgebracht oder landet für lange Zeit im Gefängnis.

Auch dieses Spiel ist einfach gestrickt. Zeichnungen der drei Protagonisten sind vor Fotos montiert, und durch das Spiel führen Textfragen. Bei jedem neuen Spielzug muss man die Spieloptionen wieder per Klick öffnen. Diese Navigation nervt schnell.

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„My Life as a Refugee“ (Screenshot: UNHCR)

„My Life as a Refugee“

(Screenshot: UNHCR)

Hinzu kommt, dass die konkreten Lerninhalte bei näherer Betrachtung mitunter diskussionswürdig sind, was auch daran liegt, dass beide Spiele von der UN-Flüchtlingsbehörde UNHCR verantwortet werden. In einer Episode von „Last Exit Flucht“ etwa muss man bei sieben Leuten entscheiden: politischer Flüchtling oder Einwanderer aus ökonomischen Gründen? Ein legitimer Flüchtling ist in der Logik des Spiels nur, wer vor Staats- oder Rebellenterror flieht. Ein verzweifelter Mensch aber, der allein oder mit seiner Familie vor der Brutalität des Hungers flieht, vor unvorstellbarer Armut und Perspektivlosigkeit, existiert in der Spiellogik nicht. Da wird sich brav nach der, in diesen Punkten blinden, Genfer Konvention gerichtet, die Verfolgung als Grundvoraussetzung dafür ansieht, um als Flüchtling anerkannt zu werden.

Und entscheidet sich Paulo in „My Life as a Refugee“ für einen illegalen Grenzübertritt, wird er entdeckt, landet im Gefängnis, und das Spiel ist vorbei. Meldet er sich hingegen bei den Grenzsoldaten, wird er in ein Flüchtlingscamp des UNHCR gebracht, und sein Leben nimmt eine positive Wendung: Er findet Arbeit, irgendwann endet der Konflikt in seiner Heimat, und er trifft seine Familie wieder. Für den echten Paulo, der ein neues Leben in einem anderen Land beginnen möchte, wäre das Flüchtlingscamp wohl eher eine störende Zwischenstation.

So eignen sich beide Spiele, um für einen kurzen Moment die Perspektive flüchtender Menschen einzunehmen. Wer aber Games mit ausgefeilter Umsetzung und Navigation gewohnt ist oder wer im Detail auf die Botschaften schaut, braucht mitunter starke Nerven.

Stefan Mey lebt als freier Journalist in Berlin. Er stammt aus Halle in Sachsen-Anhalt