„Club der Diktatoren“, „zahnloser Tiger“, „Debattierverein“. Viele Spitznamen für die Afrikanische Union (AU) sind nicht gerade schmeichelhaft. Die Feierlaune in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba konnte das nicht schmälern. Dort beging man Ende Mai feierlich den 50. Jahrestag der Gründung der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU), aus der die heutige AU hervorging. Zum Jubiläumsgipfel waren auch Vertreter der Europäischen Union eingeladen, die oft als Vorbild für den afrikanischen Staatenbund bezeichnet wird. Aber ist sie das überhaupt?

„Ja, wir können von der EU lernen“, sagte Nkosazana Dlamini-Zuma, die Kommissionsvorsitzende der AU, anlässlich eines Besuchs von José Manuel Barroso, dem Präsidenten der EU-Kommission. Vor allem was den Aufbau der Institutionen und die Umsetzung von Gesetzen angeht, seien die Europäer den Afrikanern weit voraus. „Die EU hat Instrumente geschaffen, die dafür sorgen, dass ihre Beschlüsse tatsächlich umgesetzt werden, auch wenn dies auf der Ebene der Mitgliedsstaaten passieren muss. Da haben wir noch Nachholbedarf“, gab die ehemalige südafrikanische Innenministerin zu. So steht beispielsweise in der Gründungsakte der AU von 2002, dass Menschenrechte auf dem ganzen Kontinent geachtet werden sollen. Doch tatsächlich kommt es in mehreren Mitgliedsstaaten wie Eritrea, Sudan und Simbabwe immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen wie Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit, Verhaftungen ohne Gerichtsverfahren und sogar Mord und Folter.

In zu vielen Mitgliedsländern werden Menschenrechte verletzt

Dabei sollte die Durchsetzungsfähigkeit der AU eigentlich schon vor knapp elf Jahren wachsen. Damals wurde auf Initiative des mittlerweile getöteten libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi die zahnlose OAU in die AU umgewandelt. Während in der OAU das Prinzip der Nichteinmischung in nationale Angelegenheiten noch höchste Priorität hatte, darf die AU im Falle von Kriegsverbrechen, Völkermorden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einem Mitgliedsstaat intervenieren – unter anderem eine Reaktion auf den Völkermord in Ruanda, dem 1994 Schätzungen zufolge 800.000 Menschen zum Opfer fielen, während das übrige Afrika und die Welt tatenlos zusahen.

Mittlerweile greift die AU mit der Friedenstruppe AMISOM im gescheiterten Mitgliedsstaat Somalia ein. Soldaten aus Burundi, Uganda und Kenia riskieren dort ihr Leben, nachdem amerikanische Soldaten und UN-Truppen Somalia aufgegeben und sich zurückgezogen hatten. Doch noch immer – wie jetzt in Mali – ist die AU bei Kriegen auf dem Kontinent auf Unterstützung von außen angewiesen. Deshalb wollte al-Gaddafi die „Vereinigten Staaten von Afrika“ mit einer gemeinsamen Armee, einer einheitlichen Währung, einer starken zentralen Führung und afrikanischen Lösungen für afrikanische Probleme schaffen. Der Libyer steckte viel Geld in diese Vision – allerdings mit mäßigem Erfolg.

Der Einfluss der AU auf ihre 54 Mitgliedsstaaten (alle Länder des Kontinents bis auf Marokko, das 1984 wegen des Konfliktes um die von Marokko besetzte Westsahara aus der OAU austrat) ist in den letzten Jahren zwar gewachsen, doch im Vergleich zum Status der EU ist er immer noch sehr gering. Viele afrikanische Staats- und Regierungschefs sind nach wie vor nicht gewillt, nationale Kompetenzen an den Staatenbund abzugeben. Der einzige echte nichtmilitärische Sanktionsmechanismus der AU ist bislang die Suspendierung eines Mitgliedsstaates nach einem Putsch. So darf momentan beispielsweise die Zentralafrikanische Republik nicht an den AU-Treffen teilnehmen, nachdem dort im März eine Rebellengruppe den Staatschef stürzte.

Trotz der lobenden Worte seiner Amtskollegin für die Institutionen der EU will Barroso nicht von der EU als Vorbild für die AU sprechen. „Das Wort Vorbild suggeriert, dass es nur einen Weg gibt“, sagte der EU-Politiker. Doch die Unterschiede zwischen dem europäischen und dem afrikanischen Integrationsprozess seien zu groß, als dass die AU das EU-Modell einfach abkupfern könne. Während in Europa zunächst wirtschaftliche Interessen im Vordergrund standen, ging es den Gründern der OAU anfangs vor allem um die Befreiung von der Kolonialherrschaft. Zudem hat die AU fast doppelt so viele Mitglieder wie der europäische Staatenbund: Während der europäische Prozess mit sechs Mitgliedsstaaten begann, wurde die OAU von 30 Staaten gegründet und hatte schnell über 50 Mitgliedsstaaten mit sehr unterschiedlichen politischen Kulturen und sich teilweise widersprechenden politischen Interessen.

Unter anderem deshalb attestiert Dr. Solomon Ayele Dersso vom panafrikanischen Thinktank „Institute for Security Studies“ in Addis Abeba der EU nur eine eingeschränkte Vorbildfunktion. „Die Mitgliedschaft in der EU muss man sich verdienen. Dazu muss man gewisse sozioökonomische, politische und kulturelle Standards erfüllen. Die Mitgliedschaft in der AU erhält man automatisch, man muss keine Mindeststandards einhalten.“

Trotz aller Unterschiede glaubt Barroso, dass die EU der ganzen Welt und der AU als „Quelle der Inspiration“ dienen kann. „Nach der schrecklichen Erfahrung von zwei Weltkriegen und der Schoah haben wir den Prozess der europäischen Integration begonnen, der zu Frieden und Demokratie geführt hat“, sagt der europäische Kommissionspräsident. Während es seit der Gründung der OAU vor 50 Jahren innerhalb und zwischen den Mitgliedsstaaten immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen kam, sei Krieg in der EU undenkbar.

„Bei Kreativität und Energie können wir viel von Afrika lernen“

Im Unterschied zur EU verfügt die AU mit dem Friedens- und Sicherheitsrat zwar über ein zentrales Organ, das Frieden auf dem Kontinent herstellen oder sichern soll, doch nicht immer gelingt dies. In der somalischen Hauptstadt Mogadischu kam es trotz der Präsenz der AU-Friedenstruppe immer wieder zu schweren Anschlägen mit vielen Toten. Auf den Komoren hingegen gelang es 2008 einer AU-Truppe, den Präsidenten zur Aufgabe zu zwingen, der bei den Wahlen gegen die Verfassung verstoßen hatte. Möglicherweise verhinderte die AU so einen Bürgerkrieg auf dem Inselstaat im Indischen Ozean.

Doch nicht nur der Friedens- und Sicherheitsrat, auch die anderen Institutionen der AU sind oft noch nicht in der Lage, die vielen Beschlüsse zur Einhaltung der Menschenrechte, zur Bekämpfung der Armut und zur verstärkten wirtschaftlichen und politischen Integration effektiv umzusetzen. Oft fehlt das Geld, die Expertise, das Personal oder der politische Wille.

Deutschland unterstützt die AU durch die staatliche Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in den Bereichen Frieden und Sicherheit, gute Regierungsführung und Menschenrechte, Infrastruktur sowie beim Aufbau der Panafrikanischen Universität. „Die Institutionen der AU-Gründungsakte existieren teils noch nicht, teils benötigen sie noch Konkretisierung, um die Handlungsfähigkeit der AU zu erhöhen“, sagt Dr. Mechthild Rünger, Leiterin des GIZ-Verbindungsbüros zur Unterstützung der AU in Addis Abeba.

Barroso bezeichnet die AU gerne als „Schwesterorganisation“. Und auch die ältere EU könne sich von der jüngeren Schwester AU noch etwas abschauen. Der EU-Politiker: „Was Kreativität und Energie betrifft, können wir sehr viel von Afrika lernen.“