Qaali Ladan ist ein Superstar. Zumindest für die etwa 300 Jugendlichen in dem stickigen, fensterlosen Saal im Keller eines Hotels im Nairobier Stadtteil Eastleigh. Mit ziemlicher Sicherheit gehören sie zu den Zehntausenden, die Qaalis Videos auf Youtube angeklickt haben: Zierlich, hübsch und ein kleines bisschen kokett singt die 19-Jährige in ihrer Heimatsprache Somali über Liebe und Beziehungen. Ihr goldblaues Kleid glitzert, das Make-up ist perfekt.

Qaali Ladan ist als Kind mit ihrer Familie aus Somalia nach Kenia gekommen, als in ihrer Heimat ein Bürgerkrieg tobte, der Hunderttausende über die Grenze trieb. Sie lebte im Flüchtlingslager und spricht kaum Englisch, eine der beiden Landessprachen in Kenia. Das alles hat sie mit den meisten im Publikum gemein. Was sie von vielen unterscheidet: Sie nutzt ihr Talent. Sie wird damit Geld verdienen. Sie hat einen Weg gefunden in eine bessere Zukunft.

cms-image-000044145.jpg

Qaali Ladan (ganz links) ist schon ein kleiner Star geworden. Zu ihren Auftritten kommen Hunderte – darunter viele Jugendliche, die ebenfalls Künstler werden wollen  (Foto: Dai Kurokawa/dpa)

Qaali Ladan (ganz links) ist schon ein kleiner Star geworden. Zu ihren Auftritten kommen Hunderte – darunter viele Jugendliche, die ebenfalls Künstler werden wollen

(Foto: Dai Kurokawa/dpa)

Entdeckt wurde Qaali Ladan von „Eastleighwood“ oder „E-Wood“, einer Initiative, deren Name an die Filmindustrie in Hollywood und nicht zuletzt an Nollywood, das boomende Filmimperium Nigerias, erinnern soll. Mit Filmen, Dokumentationen und Musik will die Organisation, deren Mitglieder Jugendliche mit hauptsächlich somalischen Wurzeln und damit auch Muslime sind, gegen das Misstrauen vorgehen, das der somalischen Minderheit in Kenia seit der Unabhängigkeit 1963 entgegenschlägt – und das sich vor drei Jahren noch einmal verschärfte. Damals marschierte die kenianische Armee ins benachbarte Somalia ein, um dort gegen die islamistische Al-Shabaab-Miliz zu kämpfen. Deren Mitglieder rächen sich bis heute mit Attentaten in Kenia. Ihren Höhepunkt erreichte die Terrorwelle im September 2013, als islamistische Extremisten aus Somalia das Einkaufszentrum Westgate in Nairobi stürmten und nach Tagen der Geiselnahme und mehreren Befreiungsversuchen etwa 70 Tote zu beklagen waren.

Seitdem muss jeder, der für einen Somali gehalten wird – die Männer, wenn sie groß, schlank und etwas hellhäutiger sind, die Frauen im somalischen Hidschab, einer Kombination aus Kopftuch und Schal –, damit rechnen, als potenzieller Terrorist zu gelten. Als Maryan Khalif, 24, Marketingfrau bei E-Wood, kürzlich in einen Kleinbus stieg, um zur Arbeit zu fahren, stiegen alle anderen Fahrgäste aus. Maryan trägt keinen Hidschab, bedeckt aber ihren Kopf mit einem Tuch, was sie als Muslima kenntlich macht. „Wo ich als Selbstmordattentäterin den Sprengstoff hätte verstecken sollen, ist mir ein Rätsel“, sagt sie.

Eastleigh ist ein trubeliger Stadtteil im Osten Nairobis, den viele Kenianer nur ungern betreten. Er gilt als Geschäftszentrum der somalischen Diaspora, in dem von Kamelfleisch bis zur Kalaschnikow alles zu haben ist. Nach jedem Regenschauer stehen die ungeteerten Straßen voller Schlaglöcher unter Wasser, der Wind bläst weggeworfene Plastiktüten vor sich her. Die fliegenden Händler versuchen, dem Abfall auszuweichen, und drängen sich auf den Gehsteigen vor Einkaufszentren, die Namen wie „Moga­dishu Mall“ oder „Garissa Lodge“ tragen. Willkürliche Polizeikontrollen sind hier keine Seltenheit. Im April verhaftete die Polizei im Verlauf einer Razzia, bei der nach Terroristen gesucht wurde, schätzungsweise 4.000 Menschen, die meisten ethnische Somalis aus Eastleigh, darunter auch Frauen und Kinder. Weitere 2.000 Flüchtlinge wurden in die Flüchtlingslager im Norden Kenias gebracht, obwohl ein Gericht dies zuvor für rechtswidrig erklärt hatte. 359 wurden sofort nach Somalia abgeschoben.

cms-image-000044137.jpg

In Kenias Hauptstadt Nairobi kommt es in den Stadtteilen, in denen vor allem Menschen mit somalischen Wurzeln wohnen, oft zu willkürlichen Verhaftungen (Foto: Dai Kurokawa/dpa)

In Kenias Hauptstadt Nairobi kommt es in den Stadtteilen, in denen vor allem Menschen mit somalischen Wurzeln wohnen, oft zu willkürlichen Verhaftungen

(Foto: Dai Kurokawa/dpa)

Das Selbstbewusstein zu stärken und die Angst vor Ausgrenzung zu nehmen,  das ist das Ziel von E-Wood. „Jeder soll die Chance haben, etwas aus seinen Talenten zu machen“, betont Burhan Iman, 25, der Gründer und Motor der Initiative, die finanzielle Unterstützung von der US-amerikanischen Behörde für Entwicklungszusammenarbeit USAID bekommt. Die Grafiker, Fotografen oder Videotechniker, die den Jugendliche Kurse geben, arbeiten unentgeltlich. „Es wird keiner kommen und uns Jobs präsentieren“, sagt Burhan im mit roter Plastikfolie verkleideten Tonstudio. „Wir müssen irgendwo anfangen.“ Anfangen, gegen die Angst der Kenianer zu kämpfen, die von der politischen Führung instrumentalisiert wird, um Teile der Gesellschaft zu diskriminieren und zu kriminalisieren. „Je mehr ich diskriminiert werde, umso entschlossener werde ich, etwas dagegen zu tun. Deswegen arbeite ich bei E-Wood“, sagt Maryan Khalif. Ohne Ausbildung und Chancen würden junge Leute in Eastleigh nur herumhängen und anfällig für Drogen und Kriminalität werden. „Wir gehören zu dieser Gesellschaft, ob es ihr passt oder nicht.“

Einmal im Monat veranstaltet Eastleighwood im Grand Royal Hotel das sogenannte Friedensforum, bei dem junge Künstler wie Qaali Ladan auftreten. „Diese jungen Leute haben Talent“, sagt Hussein Ali Noor, 28, ebenfalls Flüchtling aus Somalia, und zeigt auf zwei Rapper auf der Bühne. „E-Wood kann sie für ein bisschen Geld fördern, und dann kriegen sie vielleicht einen Job. Hier zu sein ist doch besser, als draußen auf der Straße kriminell zu werden.“ Zwischen den Auftritten der Musiker spricht E-Wood-Aktivist Burhan Iman zum Publikum und preist das friedliche Zusammenleben als Weg zu Bildung und Erfolg. „Al-Shabaab ist kein Teil von uns“, sagt er. „Ihr müsst euch dagegen wehren, dass euer Name als terroristisch missbraucht wird.“

cms-image-000044146.jpg

Film ab: Selber einen Film zu drehen, ist für viele der Mitwirkenden bei Eastleighwood das Ziel (Foto: Neil Carrie)

Film ab: Selber einen Film zu drehen, ist für viele der Mitwirkenden bei Eastleighwood das Ziel

(Foto: Neil Carrie)

Hussein hat acht Jahre lang die Grundschule im Flüchtlingslager besucht, für das gebührenpflichtige Abitur hatte er kein Geld. Jetzt verkauft er als einer der vielen fliegenden Händler gebrauchte Kleidung und schickt jeden Monat seinen Eltern und elf Geschwistern Geld ins Flüchtlingslager. Mit einem weiteren Teil seines Verdienstes muss Hussein die Polizei bestechen, damit sie ihn in Ruhe lässt; sie gilt als die korrupteste Behörde des Landes. „Aber solange du Geld hast, lassen sie dich gehen“, sagt er.

Hat Hussein Angst? „Glücklich bin ich nicht“, sagt er trocken. „Wenn es Anschläge gibt, kann ich nichts verkaufen und kein Geld an die Familie schicken.“ Dann dreht er sich wieder zur Bühne um. „Alles, was ich will, ist Ruhe und etwas zu essen.“

Die somalische Minderheit in Kenia besteht zum einen aus somalischen Flüchtlingen, die nach dem Sturz des somalischen Diktators Siad Barre Anfang der 1990er aus dem Land vertrieben wurden. Die meisten davon leben im Flüchtlingslager Dadaab im Norden Kenias, dem größten der Welt, andere aber sind in die urbanen Zentren gezogen. Eine ganze Generation Somalis ist in kenianischen Flüchtlingslagern geboren und zur Schule gegangen.  Zum anderen besteht die somalische Minderheit in Kenia aus ethnischen Somalis mit kenianischer Staatsbürgerschaft, also denen aus dem Nordosten Kenias (der an Somalia grenzt), die durch die willkürliche Grenzziehung zwischen Somalia und Kenia eher durch Zufall Kenianer geworden sind.

Anja Bengelstorff lebt seit mehreren Jahren als freie Journalistin in Nairobi, Kenia, und schreibt für deutschsprachige Medien.