„Man muss zusammenhalten“, sagt Hassan, und die anderen nicken zustimmend. Es ist ihr aller Resümee eines sechswöchigen Theaterworkshops mit dem portugiesischen Choreografen Gui Garrido. Es ist regulärer Unterricht, den die 13- bis 14-jährigen Jugendlichen hier in einer Kooperation des Kreuzberger Theaters „Hebbel am Ufer“ und der nur drei Gehminuten entfernt liegenden Hector-Peterson-Schule betreiben. „Darstellendes Spiel“ heißt das Fach. Unterrichtet wurde es in Westberlin schon in den antiautoritären siebziger Jahren. Für lange Zeit führte es eher ein Mauerblümchendasein, aber seit gut zehn Jahren macht es in immer mehr Bundesländern Furore. Die Kultusministerkonferenz beschäftigt sich damit, Rahmenlehrpläne werden erstellt. Von „Ich-Kompetenz“, „Methoden- Kompetenz“ und „ästhetischer Kompetenz“ ist dabei die Rede. Von Dingen, die abstrakt und papieren klingen und am Ende doch etwas Wichtiges meinen. Nämlich, dass man sich im Darstellenden Spiel in Situationen begibt, auf die man sich emotional, intellektuell und körperlich einlässt. Und das ist etwas, das man auch sonst im Leben benötigt.

Raum für Chaos, Verweigerung und Suchen

Dass das Darstellende Spiel etwas Besonderes kann, etwas, was Schule heute dringend braucht, sagt auch Dorothea Hilliger, Professorin für Darstellendes Spiel in Braunschweig. „Indem man sich gezielt ziellos Assoziationen und Einfälle erlaubt und sich mit dem ganzen Körper emotional, intellektuell und sozial auf ein Experiment einlässt“, so Hilliger, „erforscht man mehr als ein ‚Thema‘. Man erforscht die eigenen Handlungen und Haltungen.“ Natürlich geschieht in so einem Probenprozess auch das, was sonst im Unterricht notwendig ist. Es wird fokussiert, analysiert und strukturiert. Aber ergiebig und interessant wird es erst, wenn es viel Raum für das Gegenteil gibt. Für Chaos, für Verweigerung, für das mäandernde Suchen an den Rändern. Dafür, sich selbst und die eigene Wahrnehmung ernst zu nehmen. Dramatische Texte liefern, wenn sie genutzt werden, im Darstellenden Spiel eher nur den Ausgangspunkt für eigene Erkundungen. Es geht überhaupt meist um die eigenen Dinge, um das soziale Umfeld, um Biografisches und Ortsspezifisches.

Das Darstellende Spiel ermöglicht einen eigenen Zugriff auf einen Stoff, auf ein Thema. Das ist etwas, was in der Schule nach wie vor viel zu häufig fehlt: dieser eigene Zugriff, dieses Sich-in-Beziehung-setzen- Können zu dem, was man lernt. Es ist das, worum in jeder Unterrichtsstunde neu gerungen wird, woran Lehrer regelmäßig scheitern. Selbst bei Themen, die den Schülern eigentlich nahe sein sollten. „One, two, three, Laser“, ruft Gui Garrido, der Choreograf, im Houseclub des Theaters, und 14 Siebtklässler wuseln eilig durch die Gegend. Es war ein harter Kampf am Anfang, sie waren misstrauisch, mochten sich nicht zeigen, sich nicht bewegen, und erst recht mochten sie sich nicht gegenseitig anfassen. Vor allem die Jungen und die Mädchen wollten das gegenseitig nicht. Jetzt werfen sie sich ohne Rücksicht auf Verluste auf einen großen Haufen, verknäulen ihre Körper ineinander, rollen über den Boden. Gemeinschaft ist das Thema, an dem sie gemeinsam arbeiten. Sie haben darüber geredet, gespielt, fantasiert. In elf Bundesländern, so auch in Berlin, wurde das Darstellende Spiel im Laufe der vergangenen rund 20 Jahre als Unterrichtsfach eingeführt. Jetzt wurde – längst überfällig – in Braunschweig ein erstes eigenes universitäres Institut eröffnet, das Institut für Performative Künste und Bildung. Wahrscheinlich wird es nicht das einzige bleiben.