Viel hat nicht gefehlt. Arda kickte ja eigentlich immer, viel mehr als die Kartoffelboys. Geburtstag, Schulferien, Weihnachten, Ramadan – egal: bam, bam, bam. Erst im Hinterhof, dann im Käfig, schließlich, als er von einem Talentscout entdeckt wurde, sogar bei einem Bundesligaverein. Bis ein Gegenspieler anrauscht und ihm das Knie zertrümmert. Sein Vater Fikret, der ihn managt, verscherbelt ihn an einen Kiezklub.

Viel hat auch bei Sefik Aslan nicht gefehlt, dem VM (= Vorzeigemigranten), der der Erdoğan-Partei AKP nahesteht und gesellschaftliche Ambitionen in Deutschland hat. Mit seiner Reinigungsfirma hat er es zu einem stattlichen Vermögen gebracht, mit dem er in den strauchelnden Kiezklub einsteigen will und viele zum Träumen bringt. Bis er über den linken Flügel des Vereins stolpert.

„Wir waren der spielende Beweis, dass Ausländer in Almanya etwas erreichen könnten.“

Nur zwei verpasste Chancen, zwei von vielen. Denn für den von türkischen Einwanderern gegründeten Kiezklub, von dem Imran Ayata in „Ruhm und Ruin“ erzählt, hält das Schicksal einige Niederlagen parat. Und zwar nicht nur sportliche. Denn um Fußball geht es in dem Episodenroman eh nur am Rande. Vielmehr dient der Sport als Gesellschaftsmetapher. Ausgerechnet die urdeutsche Vereinsmeierei steht für die elf Romanfiguren für die Hoffnung auf eine besseres Leben in Deutschland.

„Wir waren der spielende Beweis, dass Ausländer in Almanya etwas erreichen könnten“, sagt etwa Komünist Yusuf, der als ehemaliger Profi und Spielerscout zu den grauen Eminenzen des Vereins zählt. Die Rolle als Aushängeschild gefällt indes nicht jedem. „Integrationsaffen“ seien sie, schimpft etwa Türk Richard aus dem Vereinsvorstand, wenn mal wieder die lokale Politikprominenz vorbeikommt, mit Fotografen im Schlepptau, aber ohne Hilfe für den insolventen Verein.

Türken gegen Kurden, anatolische Altmitglieder gegen junge Linke

Hinter den Kulissen geht es heiß her. Wenn auf den Mitgliederversammlungen die Türken mit den Kurden streiten, die anatolischen Altmitglieder sich über die Initiative gegen Homophobie echauffieren, die die in Deutschland aufgewachsenen Jüngeren starten, und wenn die Haltung der AKP bei den Gezi-Protesten auf der Tagesordnung landet – dann geht Türk Richard dazwischen: „Ruhe im Migrantenstadl“.

„Ruhm und Ruin“ basiert auf dem Theaterstück „Liga der Verdammten“, das Ayata mit dem Regisseur Neco Çelik 2013 im Ballhaus Naunynstraße in Berlin auf die Bühne brachte. Ayata, der als Autor, DJ und Gesellschafter einer Agentur für politische Kampagnen arbeitet, ist Experte für postmigrantische Stoffe. Neben seinen Büchern „Hürriyet Love Express“ und „Mein Name ist Revolution“ hat er die CD „Sound of Gastarbeiter, Vol. 1“ zusammengestellt und das Netzwerk Kanak Attak mitbegründet.

Die „Fußballdeutschen“ gehen steil

Der Kiezklub, der im Roman keinen Namen hat, ist erkennbar an Türkiyemspor Berlin 1978 angelehnt. Der Kreuzberger Fußballverein war der Stolz jener Generation, die als „Gastarbeiter“ nach Deutschland kam. Und Ziel zahlreicher rassistischer Schmähungen bei Auswärtsspielen. Dem Erfolg tat das keinen Abbruch. Ende der 1980er-/Anfang der 1990er-Jahre wäre Türkiyemspor ein paar Mal fast in die Zweite Bundesliga aufgestiegen und nötigte den DFB sogar zur Änderung seiner Ausländerstatuten. Ein „Fußballdeutscher“ war fortan ein Spieler ohne deutsche Staatsangehörigkeit, der einem deutschen Spieler gleichgestellt wird, wenn er fünf Jahre, davon mindestens drei als Juniorenspieler, ununterbrochen für deutsche Vereine gespielt hat.

Diese großen Zeiten sind in „Ruhm und Ruin“ lediglich eine verblassende Erinnerung. Nur gelegentlich blitzen sie in den elf Prosaminiaturen auf, in denen jeweils ein Icherzähler Auskunft gibt. Manchmal wirkt die Erzählperspektive ein bisschen konstruiert, etwa wenn sie die Form eines Therapiegesprächs hat oder eines Kick-off-Vortrags. Manchmal ist auch die Sprache überdekoriert. Beispielsweise wenn Ardas kleinkrimineller Kumpel Giuseppe sagt: „Immer noch porno, dass es viele nicht schnallen, dass der große Shit nicht der Fußball, sondern der Bums drum herum ist.“

Was wiederum gut funktioniert, ist die Erzählstruktur. Die eher lose verwobenen Episoden verweigern sich einer geschlossenen sinnhaften Ordnung. Hier gibt es kein „Was lehrt uns die Geschichte?“, sondern etwas sehr viel Wertvolleres: Geschichten von Einwanderern und über Einwanderung – so komplex und vielschichtig erzählt, wie diese medial immer noch sträflich unterrepräsentierte Wirklichkeit eben ist.

Imran Ayata: „Ruhm und Ruin“. Verbrecher Verlag, Berlin 2015, 200 Seiten, 19 Euro

Felix Denk ist Kultur-Redakteur bei fluter.de. Auf dem Bolzplatz gilt er als übler Rumpelfüßler.