In vielen Ländern haben Schwule und Lesben weniger Rechte als heterosexuelle Menschen, in einigen Regionen der Welt drohen sexuellen Minderheiten Haft- oder sogar Todesstrafen, und auch das Olympia-Gastland Russland gilt zur Zeit als No go-Area. Was die Rechte von Homosexuellen und Transgender angeht, ist die Welt ein Flickenteppich, wie eine Karte der internationalen Lesben- und Schwulen-Union zeigt. Wir schauen uns diesen Flickenteppich genauer an und lassen uns vom Menschenrechtsexperten Rupert Haag erzählen, wie er die weltweite Entwicklung sieht.

Rupert Haag ist Lehrer und Sprecher der Themengruppe "Menschenrechte und sexuelle Identität" bei Queeramnesty, einer Untergruppe von Amnesty International. Obwohl Haag auch positive Entwicklungen der Rechte für Homosexuelle oder Transgender* sieht, ist er im Moment vor allem besorgt. "Leider muss ich zum jetzigen Zeitpunkt sagen, dass es eine Verschlechterung gab, vor allem in Lateinamerika und in Afrika südlich der Sahara", sagt er zur Situation. 

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Homosexualität wird in vielen Ländern hart bestraft, in einigen sogar mit der Todesstrafe | © picture-alliance/dpa (Foto: picture-alliance/dpa)

Homosexualität wird in vielen Ländern hart bestraft, in einigen sogar mit der Todesstrafe

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Gebete gegen Homosexualität

In Nigeria beispielsweise unterzeichnete Präsident Goodluck Jonathan im Januar 2014 ein neues Gesetz, das eine "Liebesbeziehung zu einem Menschen des gleichen Geschlechts" mit bis zu zehn Jahren Haft unter Strafe stellt. In Kamerun wurden 2013 immer wieder Schwule und Lesben zusammengeschlagen. Und in Uganda unterzeichnete der Präsident gerade ein Gesetz, das lebenslange Haftstrafen für schwule Männer vorsieht, nachdem es erst so aussah, als ob internationale Proteste das Gesetz noch abwenden könnten.

Das gilt natürlich nicht pauschal, aber: Oft lehnen auch religiöse Gruppen Homosexualität ab, zum Beispiel manche streng gläubige Christen oder Muslime.

Der Einfluss evangelikaler Christen auf den gesellschaftlichen und politischen Umgang mit Homosexualität ist laut Haag vor allem in den Ländern Afrikas und Lateinamerikas gestiegen. Evangelikale sind eine extrem konservative christliche Strömung, die besonders in den USA, aber auch in Deutschland und vielen anderen Ländern einige Anhänger hat. Sie stellen sich gegen Homosexualität und vertreten oft die Ansicht, man könnte Schwule und Lesben durch Gebete "heilen". Diese Sichtweise würden sie weltweit verbreiten. "Evangelikale Missionare bekehren Menschen erfolgreich in Lateinamerika und in Ländern von Subsahara-Afrika. Sie werden von konservativen evangelikalen Gruppen in den USA entsendet und finanziert", beklagt Haag. Auch in Südamerika verzeichnen Evangelikale nach Statistiken einen massiven Zulauf und machen nach Recherchen von Queeramnesty und laut Haag auch Stimmung gegen Homosexuelle.

Verfolgt und denunziert über soziale Medien

Auch in Ländern anderer Kontinente sieht die Lage nicht besser aus. Im Jahr 2009 hatte ein indisches Gericht das dortige Gesetz gegen Schwule für grundgesetzwidrig erklärt und damit ausgesetzt. Im Dezember 2013 hat das höchste Gericht Indiens dieses Urteil aber aufgehoben. Seitdem ist Homosexualität wieder strafbar.

Großes Kopfzerbrechen bereitet Haag auch die Entwicklung in Russland. In den 90er Jahren, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, konnten Schwule und Lesben vergleichsweise unbehelligt leben. Seitdem Präsident Wladimir Putin an der Macht ist, sei das anders. Putin setzt öffentlich Homosexualität mit Pädophilie gleich und hat im Sommer 2013 ein vage formuliertes Gesetz unterschrieben, das es verbietet, in der Öffentlichkeit positiv über "nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen" zu reden.

Mittlerweile hat sich in Russland das Klima verschärft. Seit 2012 verabreden sich russische Neonazis im Internet und machen Hetzjagden auf Schwule, teilweise auch auf Teenager, in vielen Fällen greift die Polizei nicht ein. Nachweislich gehen diese Hetzjagden von Maxim Martsinkevich aus, einem berüchtigten russischen Nazi.

Über so genannte "Occupy Pedophilia"-Gruppen auf dem russischen Facebook-Pendant Vkontakte verabreden sich die Nazis mit schwulen Männern, lauern ihnen in Gruppen auf, schlagen und erniedrigen sie. Das Ganze filmen sie und stellen es ins Internet. Für die so bloßgestellten Männer und ihre Familien bedeuten die öffentlichen Erniedrigungen oft das gesellschaftliche Aus. 

Das klingt alles ziemlich traurig. Gibt es nicht auch Fortschritte irgendwo auf der Welt? "Natürlich gibt es auch erfreuliche Trends", fügt Haag hinzu. Zum Beispiel im Baltikum: In den ehemals sowjetischen Staaten Estland, Lettland und Litauen haben es Schwule und Lesben schwer. Doch im letzten Jahr konnten sie dort einen Erfolg verzeichnen. Auf dem sogenannten Baltic Pride Event im Sommer 2013 sind 800 Menschen mitten durch die litauische Hauptstadt Vilnius gelaufen und haben gegen Diskriminierung demonstriert. Es gab zwar Buhrufe und Beschimpfungen. Aber anders als davor standen in den letzten Jahren auch viele Zuschauer am Straßenrand und haben gejubelt. Auf den ersten Blick nur eine kleine Verbesserung, doch Rupert Haag, der beim Baltic Pride mitgelaufen ist, wertet die öffentliche Anerkennung als Erfolg.Auch positive Entwicklungen 

In Südamerika hat sich die rechtliche Lage unabhängig von der religiösen Stimmungsmache mancher Konservativer mittlerweile entspannt. Nicaragua hat im Jahr 2008 als eines der letzten Länder homosexuelle Akte entkriminalisiert, nur noch der Mini-Staat Guyana hat ein entsprechendes Gesetz. In Argentinien und Uruguay gibt es mittlerweile sogar eine vollwertige gleichgeschlechtliche Ehe, die Schwulen und Lesben mehr Rechte zugesteht als die Homoehe in Deutschland. Dort dürfen gleichgeschlechtliche Paare beispielsweise Kinder adoptieren, was in Deutschland noch nicht möglich ist.

In China gibt es keine explizite gesetzliche Verfolgung, wie auch in einigen anderen asiatischen Ländern. Das heiße aber nicht, dass keine Unterdrückung stattfinde, betont Haag. "Oft gibt es gesellschaftliche Diskriminierung. Aufgrund der traditionellen Werte sind beispielsweise viele schwule Chinesen mit einer Frau verheiratet und haben noch heimlich einen Freund." Das ist aber natürlich nicht nur in China der Fall – so etwas passiere genauso bei uns in Deutschland.Allerdings erzählen die Gesetze eines Landes natürlich nicht die ganze Geschichte. Südafrika ist rechtlich gesehen zum Beispiel vorbildlich. Tatsächlich hat es als erster Staat überhaupt 1997 die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung per Verfassung verboten. Trotzdem ist dort die Gewalt gegen Schwule und Lesben in den letzten Jahren massiv angestiegen. In den letzten Monaten beklagte Queeramnesty immer wieder Hassmorde und sogenannte "Korrekturvergewaltigungen", bei denen lesbische Frauen vergewaltigt werden, im zynischen Glauben, dass sie dadurch heterosexuell würden.Gesetz und Alltag sind zwei Paar Schuhe

Ein trauriges Erbe: Schäm' dich, Europa!

Dass es überhaupt Gesetze gegen Homosexualität gibt, hat in vielen Ländern historische Gründe. Europa spielt leider eine große Rolle. Im 18. und 19. Jahrhundert hat zum Beispiel das britische Vereinigte Königreich große Teile Afrikas und Südindiens kolonialisiert. In die besetzten Länder importierten die Kolonialherren auch die britische Gesetzgebung gegen "Sodomie", die sich gegen "unnatürlichen Sexualverkehr gegen den Willen von Gott und der Menschheit" stellt. In Großbritannien wurden die Verbote mittlerweile aufgehoben. Seit 1967 ist Homosexualität in England und Wales nicht mehr strafbar, seit 1981 und 1982 auch in Schottland und Nordirland nicht. In vielen ehemaligen Kolonien aber bestehen die Regelungen noch. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat ausgerechnet, dass in der Hälfte der rund 80 Länder, die heute noch Homosexualität verbieten, die Gesetze aus der britischen Kolonialzeit stammen. Im afrikanischen Uganda ist es so, im südostasiatischen Malaysia, im Inselstaat Tonga, und auch das indische Gesetz, das gerade wieder in Kraft trat, ist britischen Ursprungs. 

Vor Reisen lieber informieren 

In Indien hat Rupert Haags Engagement für Queeramnesty übrigens seinen Anfang genommen. Im Frühjahr 1998 war er für vier Monate zu Besuch dort und erschrocken darüber, wie bedrückt und versteckt sexuelle Minderheiten in Indien teilweise leben. "LGBTI* waren bei meiner Reise in Indien so gut wie nicht sichtbar in dem riesigen Land." Zurück in Deutschland hatte er beschlossen, dass er etwas tun muss.

Haag war auch immer wieder in anderen Ländern unterwegs. Dabei hat er gelernt, dass man manchmal vorsichtig sein muss. Reisenden empfiehlt er, sich vorher gut über die Lage vor Ort zu informieren. Immer hilfreich für diese Zwecke findet er die Webseite des Auswärtigen Amtes. Auch Rupert Haag verliert leicht mal den Überblick über den weltweiten Flickenteppich zur Rechtslage und Akzeptanz von Homosexuellen und Transgender in der Gesellschaft. Er setzt sich deshalb weiterhin dafür ein, dass LGBTI überall die gleichen Rechte haben wie die sexuelle Mehrheit.

*Info zu LGBTI Die Abkürzung LGBTI (Lesbian, Gay, Bi, Trans und Intersexual) umfasst alle sexuellen Minderheiten. Neben schwulen Männern, lesbischen Frauen und Bisexuellen gehören dazu auch Menschen zwischen Geschlechtern, die sich im falschen Körper fühlen und mit ihrem biologischen Geschlecht nicht einverstanden sind (Transgender) oder Menschen, die bei der Geburt keinem klaren biologischen Geschlecht zugeordnet werden konnten (Intersexuelle). "Queer" spricht sich leichter aus und wird von manchen synonym verwendet.