J. R. Ewing aus „Dallas“ und Clarissa von Anstetten aus „Verbotene Liebe“ würden sich in Yopougon City sicherlich wohlfühlen. Was die Intrigendichte angeht, steht die Comicserie „Aya“, deren zweiter Band nun auf Deutsch erschienen ist, den TV-Serien in nichts nach. Dabei möchte die junge Protagonistin Aya doch eigentlich nur in Ruhe Medizin studieren – und muss stattdessen immer irgendjemandem aus der Patsche helfen.

Die Autorin von „Aya“ kennt ihre Welt von Geburt an: 1971 kam Marguerite Abouet in Abidjan, damals Hauptstadt der Elfenbeinküste, zur Welt und wuchs im traditionellen Viertel Yopougon auf, bis sie mit zwölf nach Frankreich auswanderte. In ihrer „Aya“-Reihe verarbeitet sie diesen Lebensabschnitt und zeichnet ein kraftvolles Bild ihres Heimatlandes, jenseits der westlichen Klischeevorstellungen von Hungersnot und Armut in Afrika. Die Dialoge schwelgen im heimischen Jargon; lokale Kultfiguren der späten 70er-Jahre, wie der damals noch unbekannte Reggae-Musiker Alpha Blondy, der legendäre Radiomoderator Roger Fulgence Kassy oder Präsident Félix Houphouët-Boigny, laufen durchs Bild, aber auch vor sozialen Themen wie Frauenrechten, Polygamie oder Homosexualität im Alltag schreckt Marguerite Abouet nicht zurück.

Der spanische Autor Pedro Riera musste sich sein Wissen über den Jemen erst erarbeiten. Zehn Monate verbrachte er zwischen 2009 und 2010 mit seiner Ehefrau in der Hauptstadt Sanaa, wo diese ihre arabischen Sprachkenntnisse vertiefen wollte. Dank ihrer Hilfe kam Riera trotz der dort starren Geschlechtertrennung ins Gespräch mit Frauen: Über 30 Interviews führte er – alle im Geheimen –, und die Jemenitinnen haben ihm freudig, offen und ohne Angst vor Tabus über ihr Leben berichtet. Namentlich genannt oder kenntlich dargestellt werden wollte aber keine von ihnen. So entstand zu ihrem Schutz die fiktive Figur Intisar – und mit ihr das äußerst einfühlsame und aufschlussreiche Porträt einer sich nach Freiheit sehnenden Generation von Jemenitinnen: die Graphic Novel „Intisars Auto“, die ebenfalls vor kurzem in Deutschland auf den Markt gekommen ist.

In Szene gesetzt werden Rieras Erkenntnisse vom Zeichner Nacho Casanova. Mit klarem, fast naivem Strich und einer reduzierten, grau-braunen Farbgebung bebildert er Intisars oft monotones Leben im Schatten ihres Nikabs, dem Schleier, der das Gesicht bedeckt und nur die Augen frei lässt. Auch Marguerite Abouet steht ein Zeichner zur Seite. Clément Oubreries Stil ist allerdings das genaue Gegenteil von Casanovas Sachlichkeit: Er setzt auf eine prächtige Detailfülle, die farbenfrohen Kleider der ivorischen Heldinnen sind wahre Hingucker.

Und während Aya und ihre Freundinnen durch den öffentlichen Raum ziehen und aufdringliche Anmache mit kecken Sprüchen kontern, kann sich Intisar Widerrede nicht leisten. Doch auch ihr fehlt es nicht an Humor: „Wer soll einen schon erkennen, wenn man rumläuft wie ein Ninja?“, sagt sie zum Thema Schleier. Riera hat bei seiner Recherche im Jemen keine einzige Frau kennengelernt, die den Nikab aus religiöser Überzeugung tragen würde. „Die meisten tragen ihn, um auf der Straße nicht belästigt zu werden“, erklärt Intisar. Damit würden sich Frauen paradoxerweise freier fühlen. Es sind Stellen wie diese, die das Potenzial von „Intisars Auto“ offenbaren, den vorherrschenden westlichen Blick auf den abgeschotteten Jemen neu zu beleben – ein erkenntnisreicher Perspektivenwechsel, der so auch in „Aya“ gelingt.

Und dazu gehört auch, dass Intisar am Lenkrad ihres Autos so richtig aufdreht: Wie besessen drückt sie aufs Gaspedal, provoziert frech andere Fahrer zu waghalsigen Rennen und freut sich, die „Männer auf ihrem Terrain zu schlagen“. Intisars alter Corolla muss allerdings oft in die Werkstatt; eine Metapher für ihre fragile Freiheit, an der es auch immer etwas zu schrauben gibt. Mal verweigert ihr Vater ihr das Auslandsstudium, mal verbietet er ihr aus heiterem Himmel die Arbeit als Krankenschwester. So wird Intisars Erfindungsreichtum immer wieder aufs Neue gefordert – ebenso wie die schlagfertige Aya mit ihrem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn oft an ihre Grenzen stößt und ihr Glück auch vom Wohlwollen der Männer abhängt.

Seit der erste „Aya“-Band 2005 in Frankreich erschienen ist, wird die Serie mit gleicher Freude auch an der Elfenbeinküste gelesen. Bisher habe sich noch keiner beschwert, dass Aya subversiv die patriarchalische Ordnung in Frage stelle oder schwules Leben thematisiere, sagte die Autorin Abouet im Interview mit dem Internetmagazin „Mondomix“: „Auch mein Vater hat alle Bände. Jedes Mal wenn ein Artikel über mich in der Zeitung erscheint, macht er Kopien und verteilt sie eifrig in der ganzen Nachbarschaft!“ Allgemein wären ihre Landsleute vor allem stolz darauf, dass eine Ivorerin Erfolg in Frankreich hat.

„Intisars Auto“ hingegen ist nicht auf Arabisch erschienen, nur ein paar spanische und französische Exemplare sollen im Jemen im Umlauf sein. Nach den großen Demonstrationen des Arabischen Frühlings, an denen sich auch zahlreiche Jemenitinnen beteiligt haben, wurde Pedro Riera von der spanischen Botschaft eingeladen, um das Buch zu präsentieren. „Die Frauen trauten sich, das Wort zu ergreifen – es entstand eine regelrechte Debatte“, sagt er im Interview mit dem Comic-Webzine „Actua BD“. „Und es wurde klar, wie wenig sich die Männer der herrschenden Ungleichheit bewusst waren“.

Elise Graton wuchs an der französischen Atlantikküste auf und ging 1997 zum Studieren nach Deutschland. Sie ist Zeichnerin, Journalistin und Übersetzerin und lebt heute in Berlin.