Geflügelte Miniaturpenisse aus dem Mittelalter, eine Ausstellung zu tantrischem Buddhismus und Bücher über die Entwicklung der Sexologie. Wir treffen Nichi Hodgson an diesem grauen Tag in der „Wellcome Collection“ des Wellcome Trust in London, einer Stiftung, die sich der Verbesserung der Gesundheit verschrieben hat und mit originellen Ausstellungen und einem Sammelsurium an skurrilen Objekten – unter anderem Sexspielzeugen aus anderen Kulturen und einer anderen Zeit – lockt. Nichi liebt diesen Ort und arbeitet oft von hier aus als freie Journalistin. Vor kurzem hat die 32-Jährige, die sich früher etwas Geld als Domina dazuverdiente, ein Netzwerk für faire Pornografie gegründet, die „Ethical Porn Partnership“. Ob Pornos überhaupt ethisch sein können, ist umstritten. Einige feministische Initiativen etwa lehnen Pornos komplett ab. Wir haben Nichi Hodgson gefragt, was es damit auf sich hat.

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cms-image-000048706.jpg (Foto: Jo Broughton)
(Foto: Jo Broughton)

fluter.de: Nichi, du machst dich stark für etwas, das du „ethische Pornografie“ nennst. Schaust du denn selbst so viele Pornos, oder woher kommt das Interesse?

Nichi Hodgson: Ich schaue mir Pornos an, ja. Aber nicht mehr so viele. Als ich noch als Domina gearbeitet habe, habe ich viele Pornos geschaut. Vor allem als Inspiration und auch als Einblick in die Fantasien meiner Klienten.

Doch beim Pornoschauen blieb es ja nicht.

Damals fing ich an, mich für gut gemachten, cleveren Frauenporno zu interessieren, und schrieb dann auch als Journalistin immer häufiger darüber. Je mehr Einblick ich allerdings in die Mainstream-Pornoindustrie bekam, desto stärker fing ich an, sie zu kritisieren. Frauen mussten oft zu viel und zu lange arbeiten, die Arbeit war hart für ihren Körper. Es gab nicht genug Pausen. Und dann wurden die meisten Pornos auch nur gemacht, um Männer zu erregen. Ich begann mich also zu fragen, wie man das, was schon gemacht wird, besser machen kann. So kam ich auf die Idee der „Ethical Porn Partnership“.

Die „Wellcome Collection“ ist voll. Wir sitzen mit Nichi auf einer Bank vor einem der Ausstellungsräume. Um uns herum wuseln Menschen. Einige gucken irritiert drein, als die Wörter „Domina“ und „Porno“ fallen. Doch Nichi scheint das kaum zu stören, sie erzählt fröhlich weiter.

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cms-image-000048707.jpg (Foto: Jo Broughton)
(Foto: Jo Broughton)

Das hört sich nach Fairtrade-Schokolade an. Was genau soll das sein?

Es gibt unterschiedliche Definitionen. Im Kern aber ist ethische Pornografie innovativ, geschieht komplett in gegenseitigem Einvernehmen und macht für den Zuschauer deutlich, wie die an der Produktion Beteiligten behandelt werden. Das Herz also sind die Pornodarsteller und ihre Rechte. Ihr Wohl steht im Mittelpunkt. Das umfasst Regeln wie faire Bezahlung oder ärztliche und psychologische Betreuung. Ich glaube, dass die Pornoindustrie so einen Ethikkodex braucht und jetzt auch der richtige Zeitpunkt dafür ist, das eigene Haus in Ordnung zu bringen.

Faire Bezahlung, ärztliche Betreuung und Zustimmung – das ist der Ethikkodex hinter der Kamera. Doch was sind die Regeln vor der Linse?

Bei ethischem Porno geht es um die Herstellung und nicht darum, wie der später aussieht. Zum einen möchte ich nicht diktieren, wie guter oder schlechter Porno aussieht. Es gibt feministische Pornografen, die behaupten, dass bestimmte Handlungen schlecht für Frauen seien oder Frauen verunglimpfen. Ich bin da liberaler. Mich interessiert eher, wie man alles darstellen kann, aber eben auf eine Art und Weise, die einvernehmlich ist.

Aber wo ist denn da noch die Ethik?

Die Grenzen, was Porno darf, sind durch Gesetze geregelt. Tabu sind zum Beispiel Kinder und Tiere, weil die nicht mündig zustimmen können. Wütend bin ich aber darüber, dass es etwa in Großbritannien verboten ist, weibliche Ejakulation oder „Fisting“ zu zeigen, obwohl das, wenn man es richtig macht, medizinisch total sicher ist. Aber da sieht man, wie altertümlich Pornografiegesetze oft noch sind. Dabei sollten diese nicht auf der Bevormundung der Frau durch weiße, alte Männer, sondern auf medizinischen Kriterien beruhen.

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cms-image-000048708.jpg (Foto: Jo Broughton)
(Foto: Jo Broughton)

Eine Idee der „Ethical Porn Partnership“ ist es, Pornografen zu zertifizieren und mit Videos hinter die Kulissen am Set zu schauen. Auch bloggende Darsteller und Foren für Zuschauerfragen sind vorgesehen. Für Darsteller soll das Netzwerk zudem auch eine anonyme Anlaufstelle für Beschwerden werden. All das sind derzeit aber noch Zukunftspläne.

Aber ethische Pornos zu propagieren, die dann teilweise auch Gewalt verherrlichen – ist das nicht eine Verharmlosung, die erst recht unethisch ist?

Na, erst einmal denke ich, dass Pornografie an sich schon unethisch ist. Es ist irgendwo außerhalb unserer Moralvorstellungen. So funktioniert Fantasie, und Lust kommt gerade oft nun mal vom Verbotenen. Wenn es aber eben nur um Fantasie geht, also um Gedanken, darf man alles denken, was man will. Es gibt keine Grenzen.

 

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cms-image-000048709.jpg (Foto: Jo Broughton)
(Foto: Jo Broughton)

Aber wir sehen ja immer wieder, dass vor allem junge Menschen sich an Pornografie orientieren. Aus Fantasie kann dann ganz schnell Realität werden.

Menschen werden ja nicht zu Sexualstraftätern, nur weil sie Pornos schauen. Die sind vielleicht Stimulus, aber da stimmt schon etwas vorher nicht bei ihnen. Und sogar wenn man Pornografie verbieten würde – solche Menschen finden immer Mittel und Wege. Der Grad zwischen Realität und Fantasie ist schmal, das stimmt. Aber die meisten Menschen kennen den Unterschied. Und können Fantasien genießen – wohl wissend, dass die nicht Realität werden. Wenn die Grenzen verschwimmen, ist dann aber nicht Pornografie das Problem, sondern die fehlende Sexualbildung und vor allem öffentliche Diskussion darüber, was eigentlich „Consent“, Zustimmung, bedeutet. Und solange wir die nicht haben, bekommen wir auch – wie ich immer sage – den Porno, den wir verdienen.

In der Arbeit „Empty Porn Sets“ hat die Fotografin Jo Broughton auch ihre eigene Berufsbiografie verarbeitet. Als sie in sehr jungen Jahren der Enge ihres Elternhauses in der englischen Region Essex entkommen war, wollte sie erstmal ein wenig praktische Arbeitserfahrung sammeln und nahm eine Stelle als Assistentin eines Fotografen an. Sie hatte keine Ahnung, dass es sich um ein Studio für Pornoproduktionen handelte. Im Nachhinein stellte sich das als gar keine schlechte Fügung heraus. Der Mann gab ihr erstmal ein Obdach, brachte ihr die Grundlagen der Fotografie bei und versorgte sie auch gleich mit den Motiven, die auf der London Art Fair einige Beachtung gefunden haben.