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cms-image-000047314.jpg (Foto: Thomas Doberitzsch)
(Foto: Thomas Doberitzsch)

Wer neu im Beruf ist, hat es selten leicht. Man muss sich im neuen Umfeld orientieren, Hierarchien und soziale Codes durchschauen und die eigene Rolle erst noch ausfindig machen. Wie kommen eigentlich Bundestagsabgeordnete, die unter besonderer öffentlicher Beobachtung stehen und sich im ständigen Konkurrenzkampf behaupten müssen, mit ihrer neuen Aufgabe zurecht?

Die Dokumentarfilmerin Nancy Brandt hat in der vergangenen Legislaturperiode (2009–2013) junge Politikerinnen und Politiker aus allen fünf Fraktionen des Bundestags begleitet, ihre Dokumentation „Die Gewählten“ über diese vier Jahre kommt am 6. November ins Kino. Die Abgeordneten Daniela Kolbe (SPD, bei Drehbeginn 29 Jahre alt), Steffen Bilger (CDU, 30), Sebastian Körber (FDP, 29), Agnes Krumwiede (Bündnis 90/Die Grünen, 32) und Niema Movassat (Die Linke, 25) beginnen ihre Zeit als gewählte Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland mit unterschiedlichen Zielen und Erwartungen. Sie alle jedoch wollen eigene politische Ideale umsetzen und einen bleibenden Eindruck hinterlassen, um wiedergewählt zu werden.

Bei dem Versuch, politische Prozesse wirklich sichtbar zu machen, gerät der „Die Gewählten“ leider an seine Grenzen – aufgrund eingeschränkter Drehgenehmigungen im Bundestag, aber auch, weil die Protagonisten selbst nach vier Jahren in ihren Äußerungen sehr vorsichtig bleiben. Zu selten gelingen daher aufschlussreiche Blicke hinter die Kulissen des Politikbetriebs und nur teilweise können die politischen Debatten der Legislaturperiode (Atomausstieg, Stuttgart 21 etc.) vertieft werden.

Der thematisch verwandte Dokumentarfilm „Democracy – Im Rausch der Daten“ (Kinostart: 12.11.) über die geplante Datenschutzreform im EU-Parlament ist in dieser Hinsicht konsequenter. Mit gewagter Bildstrategie (Cinemascope-Format in Schwarz-Weiß), klarem inhaltichem Fokus und der gezielten Wahl eines aufgeschlossenen Protagonisten – dem Grünen-Politiker Jan Philipp Albrecht – bietet der Film von David Bernet deutlich mehr Erkenntnisse über Machtkämpfe, Möglichkeiten und Grenzen parlamentarischer Arbeit.

fluter.de: Frau Brandt, wie kommt man auf die Idee, fünf Menschen jahrelang in Büros, in Ausschüsse und auf Parteitreffen zu begleiten?

Nancy Brandt: Ich stamme aus dem Osten und bin zum Studieren nach München gekommen, wo ich mich schon ein bisschen wie ein Exot gefühlt habe, weil ich immer wieder auf die DDR-Vergangenheit angesprochen wurde. Da hieß es dann: Ihr hattet ja eine Diktatur – und jetzt haben wir die Demokratie. Irgendwann habe ich mich gefragt: Wir haben so viel Politikverdrossenheit, wie sieht’s denn überhaupt bei uns aus mit der Demokratie? Später habe ich dann „State Legislature“ von Frederick Wiseman gesehen. Der Film geht ungefähr drei oder vier Stunden, aber hat mich schon ein bisschen berauscht – wie die da miteinander diskutieren, das fand ich faszinierend. Und außerdem „Die Spielwütigen“ von Andres Veiel, da geht es um Studierende einer Schauspielschule, also auch um Newcomer, die ihren Weg suchen. Diese beiden Filme ergaben die Idee, es mal zu versuchen, bei uns in den Bundestag zu gucken.

Und? Hat das geklappt?

Nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. Da sind wir echt gescheitert. Wir dachten, wir können mal eine Fraktionssitzung und noch mehr von den Prozessen innerhalb der Parteien zeigen. Aber da konnte man reden, wie man wollte, da haben alle dichtgemacht.

Das wäre jetzt meine nächste Frage gewesen: Was darf man denn filmen im Bundestag und was nicht?

Man kommt natürlich ins Plenum. Aber ich würde sagen, diese Debatten dort: Das ist wirklich Theater fürs Volk. Da werden die ganzen Anträge von den Parteien noch mal öffentlich verhandelt, aber die eigentliche Arbeit findet in den Ausschüssen statt und die sind meistens nicht öffentlich. Von Transparenz oder dem viel zitierten „gläsernen Bundestag“ kann nicht die Rede sein.

In „Democracy – Im Rausch der Daten“, der eine Woche nach Ihrem Film in den Kinos startet, kommen die Filmemacher ständig in die Ausschüsse des EU-Parlaments. Wie war denn da die Haltung im Bundestag?

Wir haben immer wieder angefragt. Am Ende durften wir im Entwicklungsausschuss exakt in der Minute filmen, als über Niema Movassats Antrag abgestimmt wurde, anschließend mussten wir sofort wieder raus. Und dafür habe ich echt gekämpft … Die haben im Bundestag schon sehr strikte Regeln. Wahrscheinlich haben einige Journalisten da vorher viel Porzellan zerschlagen. Ganz gut war für uns, dass Daniela Kolbe Vorsitzende der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität“ geworden ist. Die tagte öffentlich und steht im Film so ein bisschen beispielhaft dafür, wie es in Ausschüssen vor sich geht.

Die jungen Abgeordneten müssen sich vielen Gepflogenheiten anpassen: „Man lernt, dass man im Ausschuss nicht gegen die eigene Fraktion stimmt“, sagt etwa Daniela Kolbe. Wie groß ist denn der Handlungsspielraum der einzelnen Abgeordneten?

Ich glaube, es kommt sehr darauf an, wie man es anstellt. Das fand ich wirklich sehr spannend zu sehen am Beispiel von Daniela Kolbe, deswegen hat sie auch sehr viel Raum im Film. Sie war mit der SPD ja in der Opposition, hat aber mehrfach Gruppenanträge hinbekommen, indem sie mit allen Parteien gesprochen hat, mit einem guten diplomatischen Geschick. Auch innerhalb ihrer eigenen Partei hat sie es geschafft, für ein gewisses Umdenken zu sorgen – wie zum Beispiel, dass das Thema Rechtsextremismus nicht nur am Rand der Gesellschaft zu verorten ist.

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Durchstarterin: Daniela Kolbe neben Bundestagspäsident Norbert Lammert von der CDU (Foto: Thomas Doberitzsch)

Durchstarterin: Daniela Kolbe neben Bundestagspäsident Norbert Lammert von der CDU

(Foto: Thomas Doberitzsch)

Apropos diplomatisches Geschick: Leider hat man das Gefühl, dass die Abgeordneten sich auch nach mehreren Jahren kaum der Kamera öffnen wollen. Private Fragen werden abgeblockt, Parteikonflikte höchstens angedeutet. Hatten Sie mit so viel Distanz gerechnet?

Ich hatte tatsächlich gehofft, dass ich auch das Private mehr mitbekomme, aber da waren sie alle sofort … ich nenn’s mal „professionelle Politiker“. Sie haben alle sofort gesagt: „Privates geht nicht“ – abgesehen von Agnes Krumwiede: Sie hat sich erst verschlossen, nachdem sie in eine Yellowpress-Kampagne reingerutscht war. Ich finde trotzdem, dass sie gerade in den Interviews schon ziemlich offen gesprochen haben.

Wie haben Sie die fünf Protagonistinnen und Protagonisten überhaupt gefunden? Auf so ein umfangreiches Projekt hat ja sicher nicht jeder Lust.

Ende September 2009 gab es direkt nach der Wahl schon ein Verzeichnis über alle 622 Abgeordneten, mit Kurzbiografien und mit Sternchen gekennzeichnet, ob sie zum ersten Mal gewählt worden sind. Ich hab mir alle eingekreist, die ungefähr mein Jahrgang sind oder noch jünger, hab fünf von ihnen angeschrieben und bin zu denen hingefahren.

Die haben alle sofort Ja gesagt, die ersten fünf Kandidaten?

Ja, tatsächlich. Im Nachhinein wäre es wahrscheinlich sogar besser gewesen, wenn ich zum Beispiel nur drei Protagonisten gehabt hätte, da hätte man einfach mehr Zeit für die einzelnen Personen gehabt.

Dann würde Ihnen vielleicht vorgeworfen, es sei nicht ausgewogen.

Ich dachte, ich muss von jeder Partei einen nehmen. Letztendlich ging’s mir aber sowieso nicht um die Parteien, sondern um die Menschen und wie die sich entwickeln. Im Nachhinein ist es natürlich schön, weil die fünf tatsächlich sehr unterschiedlich sind und eine große Bandbreite von Bundestagsabgeordneten repräsentieren.

Nach vier Jahren unter Politikern: Wäre das auch was für Sie?

Ich würde den Beruf nicht machen wollen! Und ich werde mittlerweile zum Beispiel echt sauer, wenn ich mit Leuten spreche, die sagen: „Die Politiker sind alle gleich und machen eh nichts.“ Das ist nicht fair angesichts dessen, dass sie öffentliche Personen sind und meistens auch am Wochenende noch irgendwelche Termine haben. Es ist wirklich kein Beruf, den jeder machen kann.


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cms-image-000047318.jpg (Foto: Wolfgang Busch)
(Foto: Wolfgang Busch)

Nancy Brandt, geboren 1979 in Halle/Saale, studierte zunächst Medientechnik in Leipzig und anschließend Dokumentarfilmregie an der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF). Seit 2003 dreht sie Dokumentarfilme und arbeitet außerdem als freie Fotografin. Die Langzeitbeobachtung „Die Gewählten“ ist ihr Abschlussprojekt an der HFF und ihr erster Kinofilm.