Ein Mann kauert in einem Hotelzimmer. Sieht durch das Fenster einen Wagen mit schwer bewaffneten Gangstern vorfahren. Und ergreift die Flucht, durch Flure und Treppenhäuser, die Verfolger dicht auf den Fersen. Der Gehetzte klettert ins Freie. Läuft über eine Feuertreppe. Ein Sprung von einem Vordach. Weiter im Sprint, während seine Häscher an einem Fenster erscheinen. Schüsse peitschen durch die Luft. Freeze Frames des Gejagten, dem es gelingt, davonzueilen. Plötzlich der Vorspann einer TV-Show. Nervenzerrende Klänge, schrille Farben. Eine Leinwand in einem Studio. Vorhang auf für Fernsehunterhaltung anno 1970.

Heute, da der fehlende Mut der öffentlich-rechtlichen Sender Dauerklagethema ist, vergisst man leicht, dass es auch andere Zeiten gab. Zeiten, in denen die westdeutsche TV-Landschaft nur aus ARD, ZDF und einigen dritten Programmen bestand, in denen Pioniere die Grenzen und Möglichkeiten des noch vergleichsweise jungen Mediums mit Genre-Experimenten austesteten. Auch der Fernsehfilm „Das Millionenspiel“ stammt aus dieser Phase, eine actionreiche Satire auf Sensationslust und Kommerzialisierung, die auf der Kurzgeschichte „The Prize of Peril“ von Robert Sheckley basiert.

Lizenzstreitigkeiten sorgten dafür, dass die Adaption schon 1971 nach ihrer zweiten Ausstrahlung im Giftschrank des WDR verschwand und ihn erst 2002 wieder verlassen konnte. Mit dem Abstand von über 30 Jahren zeigte sich erst recht, wie visionär das Werk von Drehbuchautor Wolfgang Menge und Regisseur Tom Toelle wirklich war. Immerhin werden zahlreiche spätere Entwicklungen des Fernsehzirkus pointiert vorweggenommen: blinde Quotenjagd, Reality-TV, ungebremster Voyeurismus und ständige Werbepausen.

Die Ausgangssituation des Films ist denkbar simpel: Wie mehrere Kandidaten vor ihm hat Bernhard Lotz (Jörg Pleva) in der vom Privatsender TETV produzierten Unterhaltungsshow „Das Millionenspiel“ die Möglichkeit, eine Million D-Mark zu gewinnen. Vorausgesetzt, er schafft es, auf einer sieben Tage währenden Flucht durch Deutschland drei Auftragskillern (Anführer: Dieter Hallervorden) zu entkommen und das Aufnahmestudio zu erreichen.

Dieses buchstäbliche Spiel auf Leben und Tod wird von Tom Toelle wie eine reale Live-Veranstaltung inszeniert: Zu Beginn erklärt eine Fernsehansagerin dem Publikum in sachlichem Duktus die Regeln. Die treibende Vorspannmelodie der Show betont den Thrill-Faktor, und aus dem gut gefüllten Studio grüßt schmissig der damalige „Hitparaden“-Moderator Dieter Thomas Heck – hier allerdings unter dem Rollennamen Thilo Uhlenhorst.

Was folgt, ist eine Mischung aus Unterhaltungseinlagen, Filmausschnitten zum Stand der Jagd am siebten Tag und Interviews mit Menschen auf der Straße. Uhlenhorst und seine Außenreporter bringen dabei zwar ihr Mitgefühl zum Ausdruck, kommentieren das Geschehen aber so, als handele es sich um einen Sportwettkampf. Ähnlich irritierend fallen auch die Aussagen der fiktiven Passanten und Studiozuschauer aus. Kritik am menschenverachtenden Showkonzept wird stellenweise laut, und doch ist „Das Millionenspiel“ ein Massenphänomen, dem sich niemand so recht entziehen mag. Mit Blick auf heute so populäre Formate wie „Das Dschungelcamp“ eine geradezu prophetische Darstellung.

Weitsicht beweist „Das Millionenspiel“ auch beim Thema Werbung. Schließlich wird die Show maßgeblich vom erfundenen Multikonzern „Stabilelite“ unterstützt. Dieser bewirbt seine Produkte in sexualisierten, ästhetisch ausgereiften Spots, die den Showablauf immer wieder unterbrechen und zu einer Häppchen-Dramaturgie fragmentieren, die inzwischen schon lange gang und gäbe ist.

Wie glaubwürdig die Inszenierung des Films ausfiel, zeigte sich kurz nach dessen Erstausstrahlung. Bei der Mutter des Hauptdarstellers erkundigten sich Bekannte, warum ihr Sohn in einer derart abscheulichen Show auftrat. Und im WDR trudelten enthusiastische Bewerbungen für die kommenden Ausgaben des „Millionenspiels“ ein. Reaktionen, die einen schaudern lassen, legen sie doch den realistischen Kern des dystopischen Szenarios schonungslos offen.