Island hat gerade mal 330.000 Einwohner und ist mit 600 Namen in den Panama Papers vertreten – Schweden mit seinen 9,5 Millionen Menschen nur 200 Mal. Was löst das aus in einem Land, das traditionell wenig von Hierarchien aber viel von sozialer Gleichheit hält? Interview mit Silja Bára Ómarsdóttir, einer außerordentlichen Professorin für Politikwissenschaften aus Reykjavik.

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Wenn in Island Rauch oder Dampf aufsteigt, muss es nicht immer ein Vulkan oder Geysir sein. In diesen Tagen rumort es mitten in der Hauptstadt, deren Name übrigens auf Deutsch „Rauchbucht“ bedeutet (Foto: Thor Magnusson/Polaris)

Wenn in Island Rauch oder Dampf aufsteigt, muss es nicht immer ein Vulkan oder Geysir sein. In diesen Tagen rumort es mitten in der Hauptstadt, deren Name übrigens auf Deutsch „Rauchbucht“ bedeutet

(Foto: Thor Magnusson/Polaris)

fluter.de: Premierminister Sigmundur Davíð Gunnlaugsson ist in der vergangenen Woche nach den Enthüllungen der Panama Papers zurückgetreten. Trotzdem demonstrieren täglich noch Tausende Isländer vor dem Parlament in Reykjavík. Warum ist ihre Wut so groß?

Silja Bára Ómarsdóttir: Die Bürger demonstrieren weiter, weil sie das Gefühl haben, dass es noch viele offene Fragen gibt. Zwei der in den Panama Papers genannten Isländer sind Minister – und beide machen bisher keine Anstalten, ihre Verstrickungen einzugestehen. Die Regierung ist immens unpopulär, trotzdem hat sie sich entschieden, einfach weiterzumachen. Zwar kündigte sie Neuwahlen für den Herbst an, weigert sich jedoch bisher, ein Datum zu nennen.

Immerhin gab es bei Ihnen im Gegensatz zu anderen betroffenen Ländern wie Großbritannien sehr schnell Rücktritte. Was können wir von der Reaktion der Isländer lernen?

Ich weiß nicht, ob die Welt unbedingt etwas daraus lernen kann. Jedes Land hat seine eigenen Stärken und Schwächen. Im Falle von Island ist unsere Kleinheit sicherlich eine Stärke. Nachrichten verbreiten sich hier schnell, und zwei Drittel unserer Bevölkerung müssen weniger als 100 Kilometer fahren, um in der Innenstadt Reykjavíks zu sein. Schon während der Finanzkrise merkten die Bürger, dass anhaltende Proteste Ergebnisse liefern. Damals brach die Regierung nach den wochenlangen Demonstrationen zusammen.

„Das ist ein Schock für die meisten Isländer. Viele behaupten, es sei der Zusammenbruch unseres Sozialvertrags.“

Glauben Sie, dass es nun auch die Demonstranten waren, die Gunnlaugssons Rücktritt bewirkt haben?

Sie spielten sicherlich eine Rolle, aber man darf auch nicht unterschätzen, dass sowohl Gunnlaugssons eigene Parteimitglieder als auch der Koalitionspartner von den Enthüllungen schockiert waren. In der Parlamentssitzung am Montag, dem Tag, nachdem das Interview mit dem schwedischen Fernsehteam ausgestrahlt wurde, beantwortete Gunnlaugsson die drängenden Fragen im Parlament – doch es gab kein Anzeichen der Unterstützung von seinen Leuten. Dies hatte wahrscheinlich eine noch größere Wirkung als die Proteste.

Wie schätzen Sie die Bedeutung der Panama Papers für Island ein?

Sie sind ein Schock für die meisten Isländer. Viele behaupten, es sei der Zusammenbruch unseres Sozialvertrags. Sogar der inzwischen ehemalige Premierminister sagte in dem mittlerweile berüchtigten Interview, dass es in den nordischen Ländern Konsens sei, dass wir Steuern zahlen müssen, um die Gesellschaft führen zu können. Außerdem beschwor Gunnlaugsson stets eifrig die Stärke der isländischen Währung, obwohl er, wie wir jetzt wissen, sein Geld anderswo deponierte. All dies legt nahe, dass einige der reichsten Mitglieder der Gesellschaft sich dazu entschieden haben, ihren Anteil eben nicht zu zahlen.

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Die Panama Papers sollen Informationen über eine Offshore-Firma auf den Britischen Jungferninseln enthalten, die der Frau des Isländischen Ministerpräsidenten Sigmundur Davíð Gunnlaugsson gehört. Als dann auch noch berichtet wurde, dass Gunnlaugsson selbs (Foto: picture alliance /dpa)

Die Panama Papers sollen Informationen über eine Offshore-Firma auf den Britischen Jungferninseln enthalten, die der Frau des Isländischen Ministerpräsidenten Sigmundur Davíð Gunnlaugsson gehört. Als dann auch noch berichtet wurde, dass Gunnlaugsson selbst an der Firma beteiligt gewesen sein soll, musste er gehen

(Foto: picture alliance /dpa)

Es heißt, dass rund 600 Isländer auf der Liste der Panama Papers stehen. Wer sind die anderen?

Bisher haben wir nur wenige Namen erfahren, drei von ihnen sind wie gesagt Mitglieder der Regierung. Nach Gunnlaugssons Rücktritt sind immer noch zwei Minister im Amt. Zum Beispiel Bjarni Ben Benediktsson, unser Minister für Finanzen und Wirtschaft. Wir erwarten, in den nächsten Wochen und Monaten weitere Namen zu erfahren. Es wird eine anspruchsvolle Aufgabe für das isländische Volk sein, die daraus entstehenden Probleme zu regeln.

In Ihrer Gesellschaft gibt es weniger Hierarchien als in Kontinentaleuropa, dennoch fällt auf, dass Gunnlaugsson und Benediktsson aus reichen Familien stammen. Haben die möglicherweise eine andere Vorstellung von Ethik?

Ich kann diese Frage wirklich nicht beantworten, weil ich dazu keine Daten habe. Es scheint aber so zu sein, dass Landsbanki, eine der größten isländischen Banken, (die im Rahmen der Finanzkrise ab Oktober 2008 zeitweise von der isländischen Finanzaufsicht übernommen wurde, um einen Staatsbankrott zu verhindern, d. Red.) ein Programm hatte, in dem sie den Bankkunden – eventuell nur den reichsten – riet, Offshore-Konten einzurichten, um so ihre Steuerlast zu minimieren. Vielleicht hätten die meisten von uns gedacht, dies sei eine gute Idee, wenn wir das Gleiche angeboten bekommen hätten. Doch wir waren einfach nicht ein Teil des Spiels. Ich denke, dass auch in unserem Land die Reichen in einer anderen Welt leben als die Mehrheit der Bevölkerung.

Island hat mit 330.000 Bürgern gerade mal so viele Einwohner wie Bielefeld. Welche Rolle spielt da die Vetternwirtschaft?

In einer kleinen Gesellschaft besteht immer die Möglichkeit, dass jemand mit jemandem verwandt ist, der an der Macht ist. Wir versuchen, Entscheidungen zu verhindern, die auf der Grundlage von Beziehungen gemacht werden. Aber dies ist oft schwierig zu beweisen. Anfang dieses Jahres etwa verkaufte Landsbanki ihre Anteile an einer Kreditkartengesellschaft, einer der Hauptabnehmer war der Onkel des Finanzministers. Kurz nachdem er das Unternehmen kaufte, machte es unerwartete Gewinne. Selbst wenn offiziell kein Fehlverhalten nachgewiesen werden konnte, führt dies doch dazu, dass die Öffentlichkeit Entscheidungen wie diese in Frage stellt.

„Das wird eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft. Bei so vielen Isländern auf der Liste, sind wir wahrscheinlich alle mit jemandem verwandt.“

Glauben Sie, dass einige Isländer in diesen Tagen gegen ihre eigenen Verwandten protestieren, ohne es zu wissen?

Ich bin mir sicher, dass manche Bürger, die jetzt protestieren, mit jemandem verwandt sind, der auf der Liste der Panama Papers steht. Damit umzugehen wird eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft sein. Bei so vielen Isländern auf der Liste sind wir wahrscheinlich alle mit jemandem verwandt.

Nach der Finanzkrise waren Sie Teil eines Teams von 25 unabhängigen Experten, die eine neue Verfassung für Island erarbeiteten. Als sie 2013 fertig war, entschied sich die gerade neu gewählte konservative Regierung dazu, diese nicht umzusetzen. Wäre sie hilfreich gewesen, um Dinge zu verhindern, die nun im Rahmen der Panama Papers ans Licht kamen?

Nun, es hätte sicherlich nicht Geschäfte verhindert, die bereits stattfanden. Doch wir versuchten, Dinge dieser Art vorauszusehen und ihnen entgegenzuwirken. Zum Beispiel wären alle Abgeordneten und Minister dazu aufgefordert gewesen, ihre Kapitalbeteiligungen registrieren zu lassen. Und Ministern wäre es nicht gestattet gewesen, außerhalb ihres Amtes Einkommen aus anderen Quellen zu haben.

Wenn Sie in die Zukunft blicken: Was, denken Sie, wird sich durch die Enthüllungen der Panama Papers verändert haben?

Ich wünsche mir, dass wir daraus lernen, wie notwendig Transparenz für gute Regierungsführung ist und dass Steuerparadiese zur wirtschaftlichen Ungleichheit beitragen. Hoffentlich werden dann – basierend auf diesen Lehren – politische Entscheidungen getroffen.

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cms-image-000048840.jpg (Foto: privat)
(Foto: privat)

Politikwissenschaftlerin Silja Bára Ómarsdóttir: Die 43-Jährige ist außerordentliche Professorin an der Universität von Island, sie lehrt und arbeitet in der Fakultät für Politikwissenschaften. Ab 2010 war sie Teil eines Teams von 25 unabhängigen Experten, die nach der Finanzkrise 2008 eine neue Verfassung für Island erarbeiteten.