Klick, klick, klick. Ein gleichförmiger, jedem Tischtennisspieler wohlbekannter Sound erfüllt die Turnhalle von Omega Ostkreuz im Osten Berlins, an fünf Tischen zischen die weißen Bälle hin und her. Also alles wie gehabt im Tischtennissport? Keinesfalls. Diese Bälle hier sind nicht mehr aus dem Stoff, der bereits seit 1891 für Tischtennisbälle verwendet wird: Zelluloid. „Plastikbälle“ werden die neuen Spielbälle in der Sprache der Tischtennis-Szene genannt. Und dass sie nun auf breiter Front eingeführt worden sind, ist eine schlechte Nachricht für all die Kinder, die sich auf dem Schulhof bisher daran erfreut haben, wie schnell ein Tischtennisball in lodernde Flammen ausbricht, wenn man ihn anzündet. Die neuen Plastikkugeln schmurgeln bloß vor sich hin.

Längst sind die Produktionsstätten aus Deutschland abgewandert – zu gefährlich, zu hohes Risiko, heißt es. Asiatische Fabriken beliefern den Weltmarkt. 2001 explodierten in Hongkong eine halbe Million Tischtennisbälle. In Deutschland weigert sich DHL, die Bälle zu verschicken. Immer häufiger hatten die führenden Ballmarken bei großen Lieferungen für internationale Turniere Probleme mit dem Zoll. Der Dachverband International Table Tennis Federation (ITTF) befürchtet sogar, dass Zelluloid auf dem Weltmarkt knapp wird. „Durch die Entwicklung einer Alternative zum Zelluloidball kommen wir nicht in Bedrängnis, sollte irgendwann die Produktion eingestellt werden“, argumentiert ITTF-Präsident Thomas Weikert. Was für Kinder ein Streich ist, ist für Tischtennisspieler seit Jahrzehnten ein ernstes Problem: Die Vereinten Nationen führen Zelluloidprodukte als Gefahrgut unter der UN-Nummer 2000 4.1. Dabei handelt es sich um ein Thermoplast aus Zellulosenitrat, das auch in Sprengstoffen verwendet wird, und dem Weichmacher Kampfer. Das Ergebnis ist hochexplosiv und leicht entzündlich. Früher war das durch Wärme leicht formbare Zelluloid ein beliebter Kunststoff etwa für Kämme oder Filmrollen. Für die Tischtennisball-Produktion werden zwei Zelluloidplatten auf mindestens 110 Grad Celsius erhitzt, zu Halbkugeln ausgeformt und verklebt.

Im März 2012 fiel die Entscheidung, den Plastikball auf wichtigen ITTF-Turnieren ab Sommer 2014 einzusetzen. Inzwischen produzieren fünf Firmen Plastikbälle: drei in China, eine in Japan und mit Weener Plastik auch eine deutsche. Letztgenannte ist eigentlich auf die Kugeln von Deorollern spezialisiert – das Produktionsverfahren der neuen Tischtennisbälle ist aber ähnlich, so dass das Unternehmen sich einen neuen Markt erschließen möchte: Zum Achselduft kommt der schnellste Rückschlagsport der Welt.

„Der neue Ball fliegt einen Tick langsamer, und es ist etwas weniger Spin im Spiel“, sagt Bundestrainer Jörg Roßkopf. Während auch in der Bundesliga und bei den wichtigen Turnieren des Deutschen Tischtennisbundes der neue Plastikball eingesetzt wird, hält sich die Begeisterung an der Basis in Grenzen. Der Widerstand allerdings auch: Eine Online-Petition gegen den Plastikball erhielt nur gut 1.000 Stimmen. Und an einige grundlegendere Änderungen in den vergangenen Jahrzehnten – Sätze bis 11 statt bis 21, ein vergrößerter Ballumfang, ein Verbot von verdeckten Aufschlägen – hatte man sich ja auch gewöhnt.Das ITTF-Regelwerk sieht schon seit Jahrzehnten einen Ball aus „Zelluloid oder ähnlichem Plastikmaterial“ vor. Der Haken bisher: Es gab keinen anderen Kunststoffball, der die hohen Standards des Weltverbandes erfüllt. Als Feinmotoriksport reagieren Spieler sehr sensibel auf neues Material, und wehe, der Ball ist etwas zu weich oder unrund. Wenn Spitzenspieler wie der sechsfache Europameister Timo Boll einen Topspin ziehen, dreht sich der Ball mit einer Rotation von bis zu 9.000 Umdrehungen in der Minute. Ein alternativer Plastikball in den 80er-Jahren scheiterte vor allem an einer zu glatten Oberfläche – ein solcher Topspin wäre damit nicht möglich.

Bei Omega Ostkreuz ist der Plastikball übrigens vor allem eine taktische Raffinesse im Kampf gegen den Abstieg. Da er für viele Gastmannschaften noch ungewohnt ist, hat man gute Aussichten, in den Heimspielen die nötigen Punkte zu holen.Die meisten der gut 600.000 deutschen Vereinsspieler bleiben dennoch vorerst ihrer geliebten Zelluloidkugel treu. Ohnehin können die Hersteller den Ball noch gar nicht als Massenprodukt ausliefern, Lieferengpässe sind nicht ausgeschlossen. Langfristig prophezeit Torsten Küneth, Mitglied des ITTF-Materialkomitees, allerdings, dass bereits in wenigen Jahren Zelluloidbälle „aus wirtschaftlichen Gründen vom Markt verschwinden“. In puncto Produktion, Transport und Lagerung sei die Alternative aus Plastik schlichtweg günstiger. Ein Verbot für Zelluloidbälle durch den Weltverband wird es dagegen vorerst nicht geben. Das Motto lautet: „Der Markt regelt das schon“.

Moritz Förster arbeitet als freier Journalist in Berlin. Er spielt Tischtennis in der Landesliga und hat zusammen mit seinem Vater das Lehrbuch „Spielend Tischtennis lernen“ geschrieben. Bei seinem ersten Wechsel mit den neuen Bällen hat er erstmal daneben geschlagen.