6800 Kilometer, 400 Bahnhöfe, sechs Zeitzonen: Oda und Sven aus Berlin sind 19 Tage mit dem Zug von Moskau nach Peking unterwegs. Was sie auf der längsten Bahnstrecke der Welt und der Hauptschlagader Russlands erleben, berichten sie in dieser Serie. Heute geht es zum Baikalsee, der so groß ist wie Baden-Württemberg.

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Ein Waggon, 52 Liegen: Im „Platzkarti“ geht es drunter und drüber

Ein Waggon, 52 Liegen: Im „Platzkarti“ geht es drunter und drüber

Hochgeschwindigkeitszüge, City-Verbindungen, Reiseeffizienz – alles gut und schön. Mit der Poesie der Eisenbahn hat das wenig gemein. Gemessen an den technischen Möglichkeiten, die das Verkehrsmittel Bahn heute bietet, ist der Moskau–Peking-Express antiquiert. Gemächlich zuckelt man mit 70 Kilometern pro Stunde übers Land, es rattert, es quietscht. Und vor Kurven, Brücken und Tunneln ertönt das Zughorn: Achtung, hier kommt die Eisenbahn.

Zur Poesie gehört die Vielfalt. Jede Verbindung ist anders. Ob peekiger Oldtimer oder schicker Komfortwaggon – wer Züge liebt, kommt auf seine Kosten. Grundsätzlich gilt: Je niedriger die Nummer, umso moderner die Ausstattung. Zwischen Moskau und Wladiwostok verkehrt als 001 der König unter den Regelzügen: der „Rossija“. Er gleitet über die Schienen, an kleinen Bahnhöfen drosselt er nicht mal die Geschwindigkeit. Der Zug, den wir mit den Gasarbeitern geteilt haben, hatte die 378 und hielt an jeder Milchkanne. Doch unabhängig von der Ordnungsnummer und dem Komfort des Zuges – an Bord herrschen klare Verhältnisse: Es gibt immer drei Klassen, sprich 2er- und 4er-Coupé – oder die fahrende Bettenburg namens „Platzkarti“: 52 belegte Liegen in einem Waggon, je vier im offenen Abteil und zwei im Gang gegenüber, alles doppelstöckig. Und es sieht etwas comicmäßig aus, wenn ab 1,75 Meter Körpergröße die Füße in den Gang ragen. In chinesischen Zügen soll es sogar eine dritte Etage geben – na dann gute Nacht. Doch ob im 2er-Coupé des „Rossija“ oder im „Platzkarti“ – abends werden die Lichter gedimmt, und der gleichmäßige Schwellenschlag des Zuges wiegt alle in den Schlaf.

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Oda und Sven aus Berlin reisen mit dem Zug nach Peking

Oda und Sven aus Berlin reisen mit dem Zug nach Peking

Auf dem Weg zum Baikalsee wird die Zuggesellschaft internationaler. Als der ältere Amerikaner und seine bildhübsche russische Reisebegleiterin der Bahnsteighändlerin beim Stopp in Zima gleich die ganze Kiste Eis abkaufen und sie den Jugendlichen aus dem Nachbarwaggon schenken, ist die Freude allseits groß. Den Baikal erreichen wir am Tag nach unserer Ankunft in Irkutsk mit dem Bus. Gewaltig und wunderschön liegt er da. Ein Eismeer von der Größe Baden-Württembergs. Seine Eisschicht ist trotz der Plusgrade noch 90 Zentimeter dick. Viktor Janukowitsch jr., dem Sohn des ehemaligen ukrainischen Präsidenten, hat das nicht geholfen. Sein Auto brach vor ein paar Tagen ins Eis ein, er kam dabei ums Leben. Abends ist die Ukraine aus anderen Gründen Thema. Maria, geboren in Kiew und Köchin in unserer Herberge, ereifert sich bei den Nachrichten lautstark über die Krise. Wir verstehen wenig, aber eines wird deutlich: Sie ist mit der Situation sehr unglücklich.

Die ganze Reise auf einen Klick:

Go East, Teil 1: Ganz Russland in einem Zug

Go East, Teil 2: Menschen, die auf Birken starren

Go East, Teil 3: Herrscherin eines ratternden Reichs

Go East, Teil 4: Onkel Tomsk Hütte

Go East, Teil 6: Kalte Hauptstadt, aber heiße Scheiben

Go East, Teil 7: Kirschblüten statt Eisblumen