Es war der Tag nach der Geburt seiner Tochter Nele. Angelo Opitz war überglücklich. Während Mutter und Kind noch im Krankenhaus waren, feierte er mit Freunden und Verwandten auf dem Firmengelände seines Vaters, der einen Wertstoffhandel betreibt. Im Windschatten einer Betriebshalle saßen sie auf Bierbänken, aßen Würste vom Grill, stießen mit Bier auf den Nachwuchs an und hörten Musik. Angelo Opitz steht auf Punkrock, die Toten Hosen und Bands wie A.C.K., das Allgemeine Chaos Kommando. Zwei Stunden nach Mitternacht, das alljährliche Parkfest ganz in der Nähe war zu Ende, tauchte ein richtiges Chaoskommando auf: 25, 30 Männer, viel mehr als Gäste da waren, viele in Thor-Steinar-Kleidung, mit kurzen Haaren und muskelbepackt. Wahllos schlugen sie auf die Feiernden ein. Als der Vater von Angelo Opitz die Polizei anrufen wollte, wurde ihm von hinten eine Holzpalette auf den Kopf geschlagen. Andere Gäste wurden mit Flaschen und Bierkästen angegriffen. Es hagelte Faustschläge und Fußtritte. Was als Geburtstag begonnen hatte, endete mit Platzwunden, gebrochenen Rippen, Prellungen und Blutergüssen. Vier Gäste mussten zur Behandlung ins Krankenhaus. Angelo Opitz kam mit einer aufgeschlagenen Lippe davon.

Einen Grund für den brutalen Überfall gab es nicht. Weder war eine offene Rechnung zwischen Rechtsextremen und Linken zu begleichen, noch kannten sich die Kontrahenten. Eine mögliche Erklärung liegt im politischen Klima der Stadt, in der der Angriff stattfand: das sächsische Meerane. Der Ort liegt 20 Kilometer nördlich von Zwickau, wo die Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund, der die Morde an neun Kleinunternehmern türkischer und griechischer Herkunft sowie einer Polizistin vorgeworfen werden, jahrelang unerkannt lebte. In Meerane, bekannt für die Steile Wand, eine Straße mit zwölf Prozent Steigung, ging es nach dem Mauerfall eher bergab: Staatliche Betriebe der Textilindustrie und Karosserieproduktion wurden geschlossen, die Einwohnerzahl ging von knapp 21.000 auf 16.000 zurück. Eine NPD-Landtagsabgeordnete hat in Meerane ein Bürgerbüro, im 22-köpfigen Stadtrat sitzt der Kreisvorsitzende der NPD. Nach Angaben des sächsischen Verfassungsschutzes waren 2010 im Freistaat Sachsen 2.670 Rechtsextremisten aktiv. Im Sommer 2010 wurde sachsenweit „eine Häufung von Angriffen Rechter gegen linke Jugendliche“ festgestellt. Im August 2010 wurde das Geburtstagsfest in Meerane gesprengt.

Wenn man was gegen die Neonazis unternehme, komme es doppelt zurück“, sagt Angelo

„Meerane ist ein braunes Nest“, beschreibt Angelo Opitz seine Geburtsstadt. Der 25-Jährige ist, bevor er seine Tochter von der Kita abholt, in das Büro auf dem Wertstoffhof seines Vaters gekommen. Er macht bei ihm im Rahmen seiner Ausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik ein Praktikum. In der Halle unter dem Büro befand sich zu DDR-Zeiten ein Heizhaus, das zum IFA-Karosseriewerk gehörte, wo Karosserien für den Trabant hergestellt wurden. Jetzt schreddert sein Vater hier Plastikmüll zu Granulat. Angelo Opitz sitzt in dem mühsam mit einem Gasstrahler erwärmten Raum auf einer ausrangierten Couchgarnitur und macht nicht viele Worte. Die Piercings in der Lippe, der Nase und den Augenbrauen, die schwarze Hose mit den hellgelben Batikflecken, die Kappe auf dem Kopf mit den zerschlissenen Aufnähern – ganz oben steht „Terror“ –, das alles zeigt, wofür er steht. „Ich bin weder rechts noch links“, sagt er, „ich bin Punker.“ Was das für ihn bedeutet, drückt er mit zwei Worten aus: „Freiheit eben.“

Angelo erzählt von Hakenkreuzen und SS-Runen, die immer wieder an Häuser geschmiert werden, von „Sieg Heil“-Rufen, Angriffen mit Baseballschlägern. Abends ist er in Meerane schon lange nicht mehr unterwegs. „Irgendwann geht es einem auf den Sack, eins auf die Omme zu kriegen.“ Eine kleine Narbe an der Unterlippe erinnert an den Angriff vor anderthalb Jahren, bei dem er seinen Vater in einer Blutlache liegen sah und mitbekam, wie sie seine Mutter „in eine Ecke schmissen“. Nachdem er selbst zu Boden geschlagen wurde, blieb er liegen, ohne sich zu wehren. „Die Angreifer waren in der Überzahl.“ Nach dem Überfall wurde Angelo Opitz von Bekannten gefragt, ob er eine Demo gegen die Rechtsextremen organisieren wolle, doch er wollte nicht. „Wenn man was dagegen macht, kommt es doppelt zurück.“ Angst, sagt er, habe er nicht, zumindest nicht um sich selbst – allenfalls um seine Freundin und die gemeinsame Tochter. „Klar denke ich manchmal, das kann doch alles nicht wahr sein. Aber ich habe mich damit abgefunden.“

Er will bleiben, wo er ist, weil es seine Heimat ist. Und obwohl er überzeugt ist, dass es weitergehen wird

Sein Vater sitzt in Arbeitsklamotten nah am Heizlüfter und redet nicht viel – wie sein Sohn. Für Politik interessiert sich der 47-jährige René Opitz nicht. „Mein Sohn wird angefeindet, weil er Punker ist“, sagt er, Meerane sei eben eine Hochburg der Neonazis. Nüchtern erzählt er von dem Abend im Sommer 2010: „Die wollten ein Bier, ich habe nee gesagt und mich umgedreht. Dann bekam ich einen Schlag auf den Nischel, alles war dunkel, und als ich aufgewacht bin, war alles vorbei.“ Er schüttelt den Kopf. „Ich bin fast über die Klinge gesprungen.“ Tatsächlich waren an der Holzpalette, die man ihm auf den Kopf schlug, auch Nägel, die ihn um wenige Zentimeter verfehlten. Die Angreifer hätten „Scheiße gebaut“, sagt René Opitz, und müssten zur Verantwortung gezogen werden. Hätten sie nur gepöbelt, wäre ihm das egal gewesen. René Opitz will weder Ärger noch irgendeine Ideologie. „Ich lasse die in Ruhe und die mich.“ Zu DDR-Zeiten war er gegen den Kommunismus und den Staat. Und auch jetzt solle ihm niemand seine Weltanschauung aufdrängen. Er wohnt im nahe gelegenen Waldenburg. Nach Meerane kommt er nur zum Arbeiten. Und deshalb könne er auch eigentlich gar nicht „mitreden“.

Einen Tag nach dem Angriff besuchte ihn der Bürgermeister und entschuldigte sich für den Überfall. Das Stadtoberhaupt war einst selbst Opfer eines rechtsextremen Anschlags geworden: 2006 wurden die Windschutzscheibe seines Autos und das Fenster seines Arbeitszimmers, in dem er noch spät in der Nacht saß, mit einem Stein eingeschlagen, auf dem die Aufschrift „JSS“ stand. JSS steht für „Jung Sturm Sachsen“. Ein Jahr zuvor hatte er gegen die Verteilung der „Schulhof-CD“ der NPD, mit der Jugendliche für die rechtsextreme Szene interessiert werden sollen, mobil gemacht und die Partei angezeigt. Ein Aussteiger aus der Szene, durch den drei Tatverdächtige ermittelt werden konnten, sagte als Kronzeuge vor Gericht aus, dass dem Bürgermeister „Angst eingejagt werden sollte, weil er gegen die NPD tätig geworden ist“. Die Täter wurden wegen Sachbeschädigung zu hohen Geldstrafen verurteilt.

Einen anderen Politiker haben Rechtsextreme gar aus Meerane vertrieben. Vor sechs Jahren hat ein ehemaliger Landtagsabgeordneter der PDS, der im Rollstuhl sitzt und sich im Stadtrat gegen Rechtsradikale starkmachte, nach einer Reihe von Anschlägen seine Ämter niedergelegt und die Stadt verlassen. Er hatte Angst um sein Leben. Angelo Opitz ist noch da. Und ab dem 19. April müssen sich fünf junge Männer vor dem Amtsgericht Hohenstein-Ernstthal wegen des Überfalls auf seine Feier verantworten. Ihnen wird gefährliche Körperverletzung in neun Fällen vorgeworfen. Drei Verhandlungstage sind angesetzt, 18 Zeugen sollen gehört werden. Angelo Opitz ist überzeugt, dass „es auch danach weitergehen wird“. Trotzdem will er in Sachsen bleiben. „Das ist meine Heimat.“