Eckart Frahm leitet die Arbeitsstelle "Sprache in Südwestdeutschland" an der Universität in Tübingen. 2003 wurde sein Buch "Renaissance des Dialekts?" veröffentlicht. Seit 40 Jahren lebt der Kulturwissenschaftler im Südwesten, aufgewachsen ist der heute 62-Jährige in Schleswig Holstein. Wenn er jemanden aus seiner Heimat trifft, redet er gern plattdeutsch: "Moin, Moin" und "Wat mutt, dat mutt." Das dialektfreie Interview führte Alva Gehrmann. 

fluter: Herr Frahm, warum gibt es in Deutschland so viele verschiedene Dialekte?Ganz einfach: Weil es viele Menschen gibt, die miteinander reden. Wie sie reden, hängt von ihren Erfahrungen und der jeweiligen Gesprächssituation ab. Ein Mensch, der in der Industrie arbeitet, redet anders als ein Dorfbewohner in den Bergen. So hat auch jede Region ihre eigene Sprache. Man unterscheidet übrigens lokale Mundarten und regionale Dialekte.

Wie viele deutsche Dialekte gibt es eigentlich? 

Grob kann man sie in drei Bereiche einteilen: Niederdeutsch, Mittel- und Oberdeutsch. Das lässt sich dann weiter unterteilen - zu den niederdeutschen Dialekten zählen zum Beispiel Nordfriesisch, Mecklenburgisch oder Westfälisch. Es gibt außerdem noch Dialekte wie das Schwäbische mit vielen eigenen Mundarten, im Schwäbischen können mehr als ein Dutzend regionale Dialekte unterschieden werden. Manchmal ist es auch nur die Sprachgeschwindigkeit, die anders ist. 

Wie sind Dialekte entstanden? 

Den Begriff "Dialekt" gibt es erst, seit es die Hochsprache gibt - und das ist gerade mal 250 Jahre her. Hochdeutsch war damals der so genannte kursächsische Dialekt, der aber mit dem heutigen Sächsisch nicht zu vergleichen ist. Dialekte selbst gibt es aber länger - sie sind oft auch von anderen Sprachen beeinflusst. Das Rheinische zum Beispiel vom Französischen. Paraplü - das kölsche Wort für Regenschirm - kommt von "parapluie". Französisch hatte um 1800 einen hohen Stellenwert, wer es sprach, gehörte zu einer höheren Kulturstufe. So wurden etliche Wörter angenommen und weiter in Umlauf gebracht, auch der Begriff "Soutrai" - für Kellergeschoss - stammt vom französischen "souterrain". 

Welche Rolle spielen Dialekte? 

Sie stehen für Gemütlichkeit - es hat etwas von sich zu Hause fühlen und Nostalgie. Die Sprache ist auch Teil der Identität. Ein Dialekt hält zusammen, grenzt aber auch von anderen Regionen ab. Dialekte werden heute auch in der Werbung bewusst eingesetzt. Bei Biermarken zum Beispiel. Das soll signalisieren: das Bier kommt von hier und das Produkt ist gut, weil es von hier ist. Auch Politiker setzen Dialekte gern ein, wenn sie zu ihren Wählern aufs Land fahren. Nach dem Motto: ich bin einer von euch.

Mal abgesehen von der Bierwerbung und regionalen Wahlkämpfen. Gehen Dialekte mittlerweile nicht verloren?

Nein, Dialekte gehen nicht verloren. Schon mit der Erfindung der Eisenbahn und der dadurch zunehmenden Mobilisierung, befürchtete man, dass dies passiert. Doch das war nicht der Fall und es wird auch in Zukunft nicht passieren - lediglich Begriffe aus der Landwirtschaft fallen aus unserem Sprachgebrauch allmählich weg. Trotzdem wurden Dialekte eine gewisse Zeit weniger gesprochen. Um 1970 dachten viele, dass Dialekte eine Sprachbarriere seien und man dadurch schlechtere Bildungschancen habe. Also brachten Eltern ihren Kindern hochdeutsch bei. Vor allem im Alter aber sprechen Menschen wieder verstärkt ihre lokale Mundart. So sind es oft auch die Großeltern, die ihren Enkeln den heimischen Dialekt beibringen. 

Und dennoch wird insgesamt weniger Dialekt gesprochen. Hat das auch mit dem Fernsehen zu tun? 

Dialekte gehen nicht durch den Medienkonsum verloren, das haben Studien ergeben. Sie gehen eher dadurch verloren, dass sie nicht mehr aktiv gesprochen werden. Die lokale Mundart lässt eben nach, wenn man keinen Partner hat, mit dem man ihn sprechen kann. 

Gibt es überhaupt noch neue Dialekt-Wörter? Oder nur noch Anglizismen? 

Der Trend, dass Anglizismen verwendet werden, geht gegenwärtig wieder zurück - ähnlich wie das in Frankreich ist. Neue Wörter entwickeln sich immer wieder. Als zum Beispiel in den 60er Jahren der Kühlschrank in die Haushalte kam, fanden die Schwaben dafür ein eigenes Wort: Gfriere. Meist werden neue Begriffe vom Dialekt eingefärbt, etwa durch die phonetische Aussprache. Da wird aus einem Keilriemen ein Keilriema. Unsere Dialekte sind aber auch so sehr präzise und reichhaltig. Schließlich gibt es mehrere Begriffe für dieselbe Sache. Das Wort Brötchen heißt im Schwäbischen Weckle, in Berlin Schrippe und im Rheinland gibt es das Brüdche. 

Wo wir schon bei den unterschiedlichen Begriffen sind. Der Rheinländer hat ja eine eher weiche, niedliche Sprache, das Berlinerische ist ruppiger. Ist der Dialekt auch ein Spiegel der Mentalität?

Die Sprache ist auf jeden Fall ein Ausdruck der Mentalität. So wie der Rheinländer ist, spricht er auch. Er ist eher gemütlich, plappert viel. Ich habe das selbst immer wieder erlebt, wenn man sich im Rheinland in eine Kneipe setzt, wird man sehr schnell angesprochen. Das passiert einem in Norddeutschland kaum. Auch die Berliner sind da ganz anders. 

Warum sind manche Dialekte so beliebt, andere wieder nicht? 

Das Allensbach Institut hat im Jahr 1998 eine Umfrage gemacht, danach war Bayerisch der beliebteste Dialekt. Gefolgt vom norddeutschen Platt. Schwäbisch hingegen war lange sehr unbeliebt - immer auf dem letzten Platz. Als dann die Wiedervereinigung kam, war das plötzlich Sächsisch. Die Beliebtheit sagt aber nichts über die Qualität des Dialektes aus. Das kann auch eine politische Dimension haben, gerade beim Sächsischen. Es war zu DDR-Zeiten die Verkehrssprache, davon wollten sich natürlich gerade nach der Wende viele Bürger distanzieren. 

Wie gehen eigentlich andere Länder mit Dialekten um? England zum Beispiel. Haben sie dort eine andere Bedeutung? 

Dialekte haben dort die gleiche Funktion, doch es gibt nicht so viele lokale Mundarten wie bei uns. Das hängt auch damit zusammen, dass England zentralistischer ist als Deutschland. Mal abgesehen vom berühmten Oxford-Englisch, wird die Sprache vor allem von London aus geprägt. Bei uns gibt es ja den Föderalismus - die einzelnen Bundesländer sind unabhängiger von der Hauptstadt und dadurch auch ihr Sprachgebrauch.

Ist am Ende Dialekt sprechen sogar wieder cool?

Zunehmend sind die Leute zweisprachig: Dialekt und Hochdeutsch - je nach Gesprächssituation. Heute gibt es schon eine gewisse Renaissance des Dialektgebrauchs. Dialekt ist Kulturgut und es ist eine Art Wärmestrom, ein Verbindungsmittel. Man erkennt in dem anderen den Gleichen. Dialekt sprechen auf jeden Fall nicht nur die Alten, Armen und die Ungebildeten - wie das früher manchmal behauptet wurde. Gerade in Zeiten der Globalisierung brauchen die Menschen mehr Wärme und Geborgenheit.

Alva Gehrmann ist freie Journalistin aus Berlin. Sie ist im Rheinland aufgewachsen und lebt nach der kölschen Devise: Et kütt, wie et kütt. (Es kommt, wie es kommt)

 

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Ausgehend von einem weit gespannten Kulturbegriff, der Bildende Kunst, Literatur, Theater, Film, Musik, Architektur, Fernsehen und Neue Medien umfasst, schildert der Autor die "kulturelle" Entwicklung in beiden deutschen Staaten und die Jahre nach der Vereinigung.