„Und?“ Die glasigen Augen von Abdullah Amed al-Sharif schauen freundlich: „Wie schmeckt das Kat?“ Abdullah ist unser Fahrer, und mittags hat er extra einen Umweg gemacht, um an besonders gutes Kat zu kommen. Die jungen Blätter sind hellgrün, fast violett, die Stengel zart. „Erstklassige Ware.“ Abdullah hat das Büschel gewaschen, getrocknet und zupft seit Stunden fürsorglich Kat-Blätter, reicht sie mir und stopft sich selbst die Backe voll. Die Fahrt nach Sanaa dauert den ganzen Tag, es ist heiß, die Straße ein Witz und Abdullah selig. Er spricht von der Schönheit der Wüste und der seiner Frau, er erzählt von Freunden und Abenteuern, er dankt Gott und verflucht lachend das Böse in der Welt. Also wie schmeckt das Kat? Bitter. Meine geschwollene Backe ist längst taub, angestrengt sauge ich Saft aus dem grünen Brei, spüle ihn mit Pepsi herunter und frage mich, was bitte so toll an dieser Droge ist? „Gut“, sage ich zu Abdullah, „aber ich fühle mich nicht leicht, nicht angeregt, nicht glücklich, eher ein wenig müde.“ Abdullah schaut enttäuscht und beschließt, das liege daran, dass es für mich das erste Mal ist. „Morgen kauen wir wieder Kat“, sagt er fröhlich, „und du wirst dich viel besser fühlen.“

Catha edulis heißt der hohe Strauch, um den sich im Jemen fast alles dreht. In den islamischen Nachbarländern als Droge verboten, gehört er im Jemen zum Alltag. Früher haben sich nur die Reichen getroffen, um im höchsten und schönsten Raum des Hauses, dem Madschraf, auf dem Boden zusammenzusitzen, Blättchen zu zupfen und stundenlang zu reden. Heute kauen die meisten Männer und immer mehr Frauen Kat, jeden Tag ab mittags, in Teehäusern, bei der Arbeit in Büros, beim Einkaufen auf dem Markt, im Bus, im Auto. Sechs, sieben, acht Stunden am Stück, bis die berauschende Wirkung des Cathin, eine Art pflanzliches Amphetamin, nachlässt. Kat regt den Geist an, sagen seine Anhänger. Kat ruiniert unser Land, sagt Anwer Sahooly. „Wir kauen unsere Zukunft einfach weg.“ Anwer Sahooly arbeitet für die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, und über Kat kann er stundenlang reden. Es ist Abend, wir sitzen in einem Teehaus in Sanaas Altstadt. Generatoren brummen, der Strom ist ausgefallen, auf den Straßen sind kaum Menschen. „Die Leute haben schlechte Laune, einen Kat-Kater“, sagt Sahooly. Aber das sei nun wirklich nicht das Problem. Für den Ingenieur sind Zahlen das Problem. „90 Prozent unseres Wassers verbraucht die Landwirtschaft. Und davon gehen 50 Prozent für den Kat-Anbau drauf.“

Kat ist eine durstige Pflanze. Damit die Sträucher nach dem Schnitt schnell austreiben, brauchen sie viel Wasser. Also fluten die Bauern die Felder, um das ganze Jahr über junge Blätter zu ernten. Der Jemen aber besitzt keine ganzjährig wasserführenden Flüsse, er gehört zu den trockensten Ländern der Erde. Das Wasser kommt aus Aquiferen, natürlichen unterirdischen Grundwasserleitern, in denen es Tausende Jahre lag. Doch die Vorräte sind nahezu erschöpft. Das Wasser muss aus immer größeren Tiefen hochgepumpt werden, aus 500, 600 Metern. Viele alte Brunnen sind ausgetrocknet, immer mehr Dörfer in den Bergen ohne Wasser. Mädchen und Frauen laufen Stunden zu entfernten Wasserstellen. „Es gibt Streit um Wasser, Schießereien, Tote“, sagt Sahooly.

Wegen des Kat-Anbaus geht dem Land das Wasser aus

Das Beste wäre es, den Anbau von Kat einfach zu verbieten und die Droge aus Ländern einzuführen, in denen es viel regnet. Aber auch Beamte, Politiker, Minister kauen Kat und kassieren lieber hohe Kat- Steuern. Zwar hat Präsident Saleh, der seit Jahrzehnten im Jemen an der Macht ist, im Fernsehen verkündet, er habe dem Kat abgeschworen. Andererseits ist es für seine Regierung nicht schlecht, wenn sich die Menschen nachmittags friedlich berauschen und nicht mehr an ihre Lage denken. Proteste gegen die Regierung lösen sich meist auf, sobald nach dem Mittagsgebet das gemeinsame Kauen beginnt. Dabei ist der Jemen das ärmste arabische Land. Fast die Hälfte der 23 Millionen Einwohner lebt von weniger als zwei Dollar am Tag. Viele Jemeniten versuchen, in die reichen Nachbarländer Saudi-Arabien und Oman auszuwandern. Die, die bleiben, haben oft keinen Job, auch deshalb ist es schwierig, den Anbau von Kat zu beenden, denn er schafft Arbeitsplätze. Außerdem existiert eine Kat-Mafia im Jemen, gibt Wasserminister Abdul-Rahman Al- Eryani zu und nimmt ihre Drohungen Menernst: „Sie wollen Flugzeuge mit Kat abschießen, die in Sanaa zu landen versuchen.“ Daher will Minister Al-Eryani wenigstens verhindern, dass noch mehr Kat angebaut wird. Das wird schwierig genug.

Wir machen einen Ausflug in die Berge. Sanaa, die Hauptstadt Jemens, liegt mitten in einer auf 2000 Metern Höhe gelegenen Wüste und ist doch umgeben von grünen Gärten. Kat gedeiht am besten in der Höhe. Wir fahren weiter in enge Täler, an den Hängen überall Terrassenfelder mit buschigen Sträuchern, von niedrigen Mauern umgeben: Kat-Plantagen. Früher haben die Bauern hier Weizen, Gemüse, Obst angebaut, und für den Kaffee seiner Arabica-Sträucher war der Jemen einst berühmt, erzählt Sahooly. Aber Kat ist viel lukrativer. „Ein Bauer verdient mit einem Kat-Feld zehn bis fünfzehn Mal so viel wie mit Getreide.“ Die Blätter werden morgens geerntet, mittags verkauft und nachmittags frisch gekaut. Die Nachfrage ist groß, die Blätter sind teuer, es gibt Jemeniten, die bis zur Hälfte ihres täglichen Lohns auf den Kat-Märkten ausgeben oder sich für das tägliche Plastiktütchen mit frisch gepflücktem Grün sogar verschulden.

Viele Bauern pflanzen Getreide nur noch für den eigenen Bedarf an. Der Jemen muss mittlerweile drei Viertel seiner Nahrungsmittel im Ausland einkaufen. Wenn auf dem Weltmarkt die Preise steigen, werden Weizen, Reis, Bohnen auch auf den Märkten im Jemen teuer, und viele Familien können sich kein Essen mehr kaufen. Nach Berechnungen des UN-Welternährungsprogramms ist mehr als jedes zweite jemenitische Kind chronisch unterernährt oder für sein Alter zu klein. Die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit hat Vorschläge gemacht, wie man das Austrocknen des Landes aufhalten könnte: Die Subventionen für Dünger und Diesel sollen gestrichen werden, sodass sich der Kat-Anbau nicht mehr lohnt, Regenwasser soll mittels moderner Staudämme und Speicher gesammelt werden, Tröpfchenbewässerung das Fluten der Felder ersetzen. Einige Politiker halten die Ideen für interessant, aber alles geht nur ganz langsam voran, sagt Sahooly. „Auch in den Ministerien wird nur noch drei Stunden am Vormittag gearbeitet, von neun bis zwölf Uhr. Danach wird gebetet und dann Kat gekaut.“