Kuba bastelt nicht an einer Atombombe und greift auch keine Staaten an – dennoch besteht nach wie vor ein Handelsembargo gegen den sozialistischen Karibikstaat. Doch ganz allmählich wird die Blockade gelockert

Touristen, die nach Kuba fahren, machen immer auch eine Zeitreise. Spätestens wenn sie vor den bröckelnden Fassaden Havannas stehen und auf der Straße uralte amerikanische Straßenkreuzer vorbeifahren, fühlen sie sich in die 50er-Jahre zurückversetzt. Doch was für Touristen romantisch ist, bedeutet für die Kubaner tägliche Entbehrung. Die Oldtimer stammen nämlich noch aus der Zeit vor der Handelsblockade. Da auch keine Ersatzteile eingeführt werden dürfen, ist Improvisationstalent gefragt. Viele Autos sind wahre Schrottkisten, die mit Mühe und Not erhalten werden.

Die alten Karossen sind nur das sichtbarste Zeichen der oft absurden Folgen des US-amerikanischen Wirtschaftsembargos gegen Kuba, das seit über 50 Jahren besteht. Auslöser war damals die Verstaatlichung des Besitzes von US-Amerikanern nach der Revolution von 1959, in deren Zuge der Diktator Batista von Fidel Castro abgelöst wurde. Nach der Verstaatlichung von US-Unternehmen – darunter auch die Plantagen der United Fruit Company – stellte US-Präsident John F. Kennedy den Handel mit Kuba völlig ein. Die Blockade gilt nach wie vor, obwohl die Vollversammlung der Vereinten Nationen sie inzwischen zum 21. Mal scharf verurteilt hat.

Im Laufe der Jahre wurde das Embargo sogar immer wieder verschärft – vor allem durch den "Helms-Burton Act" von 1996. Dieser weitete das US-amerikanische Handelsverbot mit Kuba sogar auf Drittstaaten El bloqueo Kuba bastelt nicht an einer Atombombe und greift auch keine Staaten an – dennoch besteht nach wie vor ein Handelsembargo gegen den sozialistischen Karibikstaat. Doch ganz allmählich wird die Blockade gelockert Text: Ole Schulz und Unternehmen aus. Seither können ausländische Firmen, die mit Kuba Geschäfte machen und auch in den USA aktiv sind, mit Sanktionen belegt werden. Das wohl bekannteste Beispiel ist der Fall der UBS: Die Schweizer Großbank wurde 2004 zu einer Strafzahlung von 100 Millionen Dollar verdonnert, weil sie Kuba mit Devisen versorgt hatte.

Der "Helms-Burton Act" regelt auch die Frage der Entschädigungen für Enteignungen. Um das Embargo aufzuheben, müssten nicht nur Unternehmen, die zu Zeiten der Revolution in US-Besitz waren, entschädigt werden, sondern auch Kubaner, die erst im Exil US-Amerikaner geworden sind und zu Zeiten der Enteignung noch Kubaner waren. Dabei handelt es sich um Zehntausende Fälle, in erster Linie geht es um Immobilien. Eine massenhafte Rückübereignung von Wohneigentum wäre aber ein Preis, den die kubanische Regierung wohl nicht bezahlen kann.

"Die USA liegen nur 90 Meilen entfernt und wären der natürliche Markt für die große Mehrheit kubanischer Produkte und Dienstleistungen", sagt der Politologe Bert Hoffmann vom Hamburger GIGA-Institut (German Institute of Global and Area Studies). Dass diese naheliegende Option für Handelsbeziehungen wegfalle, sei "dramatisch" für Kubas Wirtschaft.

Auch Geschäfte mit anderen Ländern werden erschwert, weil Kuba den US-Dollar nicht als internationales Zahlungsmittel verwenden kann. Das macht jede Transaktion mit dem Ausland ziemlich kompliziert.

Mittlerweile mehren sich selbst in den USA die Stimmen, die das Embargo abschaffen wollen. Denn recht unbestritten ist, dass es keinen Erfolg gebracht hat, und der David Kuba immer noch dem Goliath USA trotzt. Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter nannte das Embargo 2010 "kontraproduktiv" – es stärke nur die Diktatur, da es ein willkommener Vorwand für die kubanische Regierung sei, von der eigenen desaströsen Wirtschaftspolitik abzulenken.

Dennoch sieht es danach aus, dass das Embargo noch einige Zeit bestehen bleibt. Für seine Aufhebung bräuchte US-Präsident Barack Obama eine Mehrheit im Kongress – und die würde er wohl nicht bekommen. "Der politische Preis wäre sehr hoch", meint auch Politologe Bert Hoffmann. "Ein einseitiges Aufheben des Embargos wäre das Eingeständnis, dass die USA das Armdrücken mit Kuba verloren haben."

Arrangieren muss sich der US-Präsident auch mit den Exilkubanern in Florida, die sich aus politischen Gründen im Exil befinden – wenngleich der Einfluss der Hardliner unter ihnen schwindet. Das sah man auch daran, dass Obama bereits bei zwei Präsidentschaftswahlen die Mehrheit im eher konservativen "Swing State" Florida gewinnen konnte.

Wie groß der wirtschaftliche Schaden der US-Blockade für Kuba genau ist, sei kaum zu ermitteln, meint Hoffmann. Kubanische Ökonomen beziffern ihn auf inzwischen 1,15 Billionen Dollar. Wie diese astronomische Summe errechnet wurde, ist allerdings schwer nachzuvollziehen. Viele Waren des täglichen Bedarfs sind extrem teuer, und die Kubaner müssen einen Großteil ihrer dürftigen Löhne für Speiseöl, Zahnpasta und Waschmittel ausgeben. Und trotzdem gibt es in Havannas Touristenhotels sogar Coca-Cola, die auf Umwegen auf die Insel kommt. Notgedrungen hat sich Kuba mit der Situation arrangiert, wofür der "Tauschhandel" mit dem sozialistischen Venezuela überlebensnotwendig ist: Täglich erhält Kuba von dort 115.000 Barrel Öl – stets unter dem Marktpreis. Im Gegenzug hat Havanna rund 45.000 Ärzte, Lehrer, Sporttrainer, Militärs und Nachrichtendienst-Fachkräfte ins "Bruderland" entsandt. Auch nach dem Tod von Präsident Chávez scheint Venezuela an dem Austauschgeschäft nichts ändern zu wollen.

Seit einer US-Ausnahmeregelung aus dem Jahr 2000 dürfen neben Medikamenten auch Landwirtschaftsprodukte wie Mais, Weizen und Geflügel aus humanitären Gründen nach Kuba ausgeführt werden. "Touristen, die in ihrem Hotel in Havanna Hühnchen essen, dürften es mit solcher Importware zu tun haben", sagt Jorge Domínguez, Professor mit Schwerpunkt internationale Beziehungen in Harvard. "Drei von vier Hühnern sind aus den Vereinigten Staaten." Die Kubaner müssen die US-Importe allerdings in bar bezahlen, und der Transport wird über Schiffe aus Drittstaaten abgewickelt, weil kubanische Frachter keine US-Häfen anlaufen dürfen.

Mit Venezuela tauscht Kuba Öl gegen Lehrer und Ärzte. Jorge Domínguez betont, dass es in den letzten Jahren "bedeutsame Verbesserungen im Verhältnis zwischen beiden Ländern" gegeben habe. "Sie sind allerdings oft nicht richtig zur Kenntnis genommen worden." Dazu zählt Domínguez die Reiseerleichterungen für US-Bürger seit 2011. Heute kommen neben mehreren Hunderttausend Exilkubanern jährlich bereits rund 100.000 Amerikaner zum kulturellen und wissenschaftlichen "Austausch" nach Kuba. Auch die Militärs beider Länder arbeiten laut Domínguez inzwischen zum Teil eng zusammen – sowohl bei der Küstenwacht als auch auf beiden Seiten der Grenze am US-Marinestützpunkt in Guantánamo auf Kuba. Zudem wurden von den Amerikanern Überweisungen der Exilkubaner an Verwandte auf Kuba erleichtert. Die geschätzten zwei bis drei Milliarden USDollar pro Jahr an Geldsendungen aus dem Ausland sind heute eine der wichtigsten Devisenquellen Kubas.

An den rechtlichen Grundfesten des Embargos wird trotz aller Zugeständnisse aber kaum gerüttelt. Kuba wird auch weiter auf der US-Liste jener „Schurkenstaaten“ geführt, die Terroristen helfen, und findet sich dort in illustrer Gesellschaft mit Iran, Syrien und Sudan, obwohl nicht bekannt ist, dass es derzeit Terroristen im Ausland unterstützt, Nachbarn bedroht oder an einer Atombombe baut. Im Gegenteil: Seit November 2012 finden in Havanna Gespräche zwischen der kolumbianischen FARC-Guerilla und der Regierung aus Bogotá statt, die den Friedensprozess in Kolumbien vorangebracht haben.

Auch Kuba wandelt sich, nachdem Raúl Castro, der Bruder und Nachfolger des kranken Ewig-Präsidenten Fidel Castro, wirtschaftliche Reformen eingeleitet hat. Der kubanische Staat mag weiterhin unter der autoritären Kontrolle von Partei und Militär stehen und "keine Demokratie nach westlicher Vorstellung sein", so Bert Hoffmann. "Aber zurzeit werden keine Dissidenten mehr zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wie unter Fidel, und auch die Ideologisierung im Alltag hat deutlich abgenommen."

Hoffmann führt das darauf zurück, dass die Menschen auf Kuba inzwischen mehr Freiräume besitzen und dank der Globalisierung "viel weltoffener und besser informiert sind als früher". Selbst Raúl Castro hat bereits 2009 eingeräumt, dass allein die Kubaner für Engpässe bei der landwirtschaftlichen Produktion verantwortlich seien und nicht alles am US-Handelsembargo liege.

Währenddessen setzt die Obama-Administration ihren Annäherungskurs unterhalb der Embargo-Schwelle fort. Im November hat Barack Obama erneut ein "Update" der US-Kuba-Politik angemahnt, die "kreativ" sein müsse, um zeitgemäß zu bleiben. Und US-Außenminister John Kerry nannte die Amerikaner, die Kuba zum "humanitären Austausch" besuchen, "die besten Botschafter unserer Ideale, Werte und unseres Glaubens".

Dass das Embargo weiter "durchlöchert" werde, glaubt auch Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik, einem Berliner Think Tank. Und Bert Hoffmann vom GIGA-Institut spricht von einer Politik des "Wandels durch Annäherung". Laut Hoffmann könnte als Nächstes das Reiseverbot für US-amerikanische Touristen fallen. Und sollten in kubanischen Gewässern doch noch größere Ölmengen gefunden werden, könnte der Druck der US-Öllobby auch für diese Branche Ausnahmen möglich machen.

Floridas Ex-Gouverneur Bob Graham verlangte nach einem Besuch in Havanna im Januar eine Zusammenarbeit bei der Ölförderung – schon aus Umweltschutzgründen. Denn die Förderung der tief im Meeresboden vermuteten Ölreserven Kubas ist gefährlich. Um einer Umweltkatastrophe vorzubeugen, forderte Graham, dass auch erfahrene US-Unternehmen an der Exploration beteiligt werden sollten.

Und die Oldtimer? Die könnten irgendwann verschwinden. Zum ersten Mal erlaubt das Castro-Regime den Verkauf neuer Wagen. In einem Autohaus in Havanna steht zum Beispiel ein nagelneuer Peugeot – für das Zehnfache von dem, was er in Deutschland kostet: rund 190.000 Euro. Die Regierung hofft, dass ein spendabler Exilkubaner seinen armen Verwandten in der Heimat den Wunsch erfüllt und so eine Menge Devisen ins Land kommen.