Im Dong Xuan Center in Berlin wird mit allem gehandelt, was aus Vietnam ist. Und auch mit manchem aus Indien, der Türkei und China. Ausflug in ein Paralleluniversum

Plattenbau-Town Berlin-Lichtenberg, Winter. Vielleicht der erste Morgen, an dem es richtig schneit, die Tram kommt an Woolworth vorbei, an Norma und Rewe – Supermärkte, die gegen das Dong Xuan Center winzig wirken: Auf 164.000 Quadratmetern stehen sieben Hallen, gefüllt mit allem und nichts aus Vietnam. Der Betreiber des Dong Xuan Centers soll der reichste Vietnamese Deutschlands sein und den Ort für die rund 5.000 Vietnamesen, die in Lichtenberg leben, zu einem „Asiatown“ ausweiten wollen, ähnlich den Chinatowns in London oder New York. Momentan ist das Center ein elf Hausnummern einnehmendes Gelände, mit vereistem Parkplatz davor, ein paar Autos, ein paar Krähen und einem Bratwurststand. Dong Xuan heißt übrigens "Frühlingswiese".

 

Halle 3, es stinkt erbärmlich. Irgendwie alt und nach Lack. Links und rechts von den Gängen gehen die Läden ab, Spatzen fliegen durch die Gänge, und dann wabert der Plastikduft herüber, vom Stand mit den Schuhen, von denen manche mit goldenen Totenköpfen bestickt sind – und dahinter dann der Stand mit dem Tüll: Kleider in Türkis. Orange. Pink. Viele bauschig, mit Pailletten. Am Eingang, vor dem kleinen Buddha-Schrein, steht neben den Räucherstäbchen und der Obstschale eine Flasche Cinzano Asti. Die Inhaberin Thu Huyen kommt aus Hanoi und vermietet Abend- und Hochzeitskleider, für 50 Euro pro Tag. Seit 14 Jahren lebt Thu Huyen in Marzahn, sie hat einen deutschen Mann geheiratet und ihre Tochter aus erster Ehe in Hanoi zurückgelassen. Ihr Mann und sie verdienten damals gemeinsam 1.600 Euro brutto – nicht genug, um das Kind nach Deutschland zu holen. "Deutsche Land", sagt sie und dass Vietnamesen es generell aus zwei Gründen mögen würden: "sauber" und "Krankenhaus". Thu steht jeden Tag um 6 Uhr auf, sie kocht und putzt und arbeitet dann von 11 bis 19 Uhr, sie zupft ihren Kunden die Augenbrauen, schminkt und frisiert sie und hofft, dass noch jemand ein Hochzeitskleid ausleiht, damit sie ihren Eltern Geld schicken kann. "Warum arbeitest du so viel?", fragt ihr Mann oft. "Nie hast du Zeit für die Familie." Etwa 300 Mieter hat das Center gerade, das macht geschätzt 300.000 bis 400.000 Euro Mieteinnahmen, die pro Monat an die Dong Xuan GmbH gehen. Allein die 250 Großhändler darunter sollen – so gibt es das Unternehmen selbst an – einen Jahresumsatz von bis zu drei Millionen Euro erwirtschaften. Wer einen Stand will, muss auf die Warteliste: Die Hallen sind ausgebucht.

 

An der Frischtheke: Was ist das? "Magen." Spitzknochen. Schwanzknochen. Hintereisbein. "Und das?" "Darm." Schweineblut. Schweineschlund. Und das? "Auch." Darm? "Ja." Oder Magen? "Ja." In Regalreihe 3 lagert der Fisch – getrocknet und abgepackt. Nicht weit von den Papiergoldbarren und Spielgeldbündeln, die Vietnamesen vor ihre Minischreine legen, 200-Euro-Scheine, 100.000-Dong-Scheine. Daneben Palmöl und Ingweröl und schließlich Hot Chili. Sweet Chili. Sweetened Chili. Seafood Chili. Garlic Chili. Banana Chili. Pickled Green Chili. Pickled Red Chili. Weiter. Abstecher in den Beauty Nails Supply, wo man den Eindruck bekommen könnte, auf unserer Erde existieren mehr Glitzersteindöschen als Menschen.

 

Singh ist 24 und aus Pakistan. Jede Woche kommt bei ihm neue Ware an, Kleider aus Frankreich, Italien, Vietnam und China. Bist du gern hier? "Ja, ich arbeite hier." Verkaufst du viel? "Das ist ein Geheimnis." Sinan ist Student und aus der Türkei. Er verkauft Wolle, Gardinen, Tischdecken und Badewannenvorleger. Ein Familienunternehmen, sagt er, mit Festpreisen. 40 Prozent ihrer Kunden seien Vietnamesen und etwas sympathischer als die 30 Prozent Deutschen. Und der Rest? "Orientalisch, sag ich mal." Verkaufst du viel? Sinan schürzt die Lippen. "Geht." Es gibt auch jetzt noch Weihnachtsbäume, es gibt eine Rikscha und Porzellantauben, Keramikkatzen, Klodeckel mit Welpen-Aufdruck, Sweatshirts mit Justin-Bieber-Aufdruck und Dinge, die sich nur schwer beschreiben lassen. Reizwäsche hängt an Schaufensterpuppen und Smartphone-Hülle neben Smartphone-Hülle. Die schiere Fülle macht lethargisch und vertreibt die Wünsche. Selbst wenn du Kopfhörer brauchst, willst du sie spätestens dann nicht mehr, wenn dir 100 davon angeboten werden.

 

15,50 Euro kosten die Reiskugeln, in der Mungbohnen sind. Oder der Eierreis, in dem auch Eierschale ist. Der Verkäufer lässt nicht mit sich reden. 3 für 10? – "Naaain!" – Darf ich fragen, woher Sie kommen? – "Naaa-in!" Ich nehme die Massage "Erkältung löschen" für zehn Euro, im Hinterzimmer eines Tattoo-Studios, die Masseurin macht sich zwischendurch eine Suppe in der Mikrowelle warm. "Gut oder aua?", fragt sie. Beides.