Alle paar Jahre gibt es in der Modewelt jenen Moment, in dem das Publikum am Laufsteg den Atem anhält: Dann geht es nur um die eine, sie, die alle anderen überstrahlt, das Mädchen, um das sich die Kameras reißen. Im Januar letzten Jahres war so ein Moment gekommen – diesmal aber war das Mädchen ein Mann mit Hühnerbrust: Andrej Pejic. Ein Jüngling mit unvergesslichem Gesicht und makellos blassem Teint. Die Wangenknochen wie gemeißelt, der Schmollmund wie Brigitte Bardot. Jean Paul Gaultier konnte gar nicht genug bekommen von dem geheimnisvollen Schönen. Er ließ den damals 19-Jährigen gleich in zwei seiner Haute-Couture-Schauen laufen: einmal bei den Herren und dann, ein historisches Novum, bei den Damen, Pejic im Brautkleid. Es war eine Sensation und der vorläufige Höhepunkt einer sehr ungewöhnlichen Karriere.

Begonnen hatte alles, als Carine Roitfeld, damals Chefredakteurin der französischen „Vogue“, entschied, Pejic als Frau zu fotografieren. Seine Agentur fragte, ob ihm das recht sei. „Aber natürlich“, erinnert sich Pejic im „New York Magazine“ an seine Reaktion. „Ich hab seit meiner Kindheit Röcke angezogen.“ Seit der Strecke in der „Vogue“ sei sein Geschlecht „freigegeben zur künstlerischen Interpretation“. Bevor er die internationale Bühne betrat, hatte Pejic schon ein wenig in Australien gemodelt. Als er den Sprung nach London wagte, kassierte er zunächst Absagen von einem halben Dutzend Modelagenturen – schließlich nahm ihn die Agentur, die Kate Moss entdeckt hat, unter Vertrag. Sie führte ihn gleich in zwei Karteien – der für Frauen und der für Männer.

Zunächst nur Absagen

Über den Beginn seiner Karriere hat Pejic im Lauf der Zeit mindestens drei verschiedene Versionen erzählt: Einmal wurde er auf dem Flughafen Melbourne angesprochen, dann, als er bei McDonald’s an der Kasse arbeitete, dann wiederum, als er an einem Obststand Erdbeeren verkaufte. Allesamt schöne Geschichten – und irgendeine oder keine von ihnen wird stimmen. Ein wenig Mysterium hat noch keiner Legende geschadet, das hat Pejic früh verstanden. Andrej Pejic wurde in Bosnien geboren. Er war gerade ein paar Monate alt, als der Krieg ausbrach. Die Mutter floh mit ihm und seinem wenig älteren Bruder nach Serbien. Acht Jahre später zogen die drei ans Ende der Welt nach Australien, in ein Arbeiterviertel von Melbourne. Pejic war ein Außenseiter in jeder Hinsicht: Er kleidete sich wie ein Mädchen und sprach kein Wort Englisch.

Etwa zu jener Zeit, so erzählt er, habe er erstmals gemerkt, dass es ein Problem für ihn gebe. „Dass es eine feine Linie gibt zwischen Jungen und Mädchen.“ Plötzlich sei es nicht mehr akzeptiert gewesen, dass er Röcke anzog und mit Puppen spielte. Ein paar Jahre lang, etwa bis er zwölf war, hat er dann versucht, ein „richtiger“ Junge zu werden, mit allem, was dazugehört: Die Haare kamen ab, er stellte sich auf den Fußballplatz – aber es funktionierte nicht. Und so färbte er sich irgendwann die Haare platinblond und trug Frauenkleider, wenn ihm danach war. Der große Bruder beschützte ihn. Auch die Mutter, die in Bosnien als Anwältin gearbeitet hatte, stand immer hinter ihm. Den Mann in ihm erkennt nur, wer genau hinschaut – Pejics Gesicht ist völlig unbehaart, nur ein winziger Adamsapfel verrät etwas Testosteron. Eine Geschlechtsumwandlung kommt für ihn nicht infrage, auch wenn er als Kind wohl darüber nachgedacht habe. „Aber jetzt bin ich mit der Situation zufrieden, wie sie ist“, sagt er.

Pejic ist nicht transsexuell, er ist eine androgyne Klasse für sich, ein bisschen Mann, ein bisschen Frau, mal tendiert er mehr in die eine, mal in die andere Richtung. Er spielt mit der Ambivalenz, mit dem Zwischenraum jenseits aller Schubladen. Make-up trägt er eher nicht, er will sich nicht verwandeln – anders etwa als Dragqueens, Männer, die mit ihrem Outfit Frauen fast schon parodieren. Jeder Festlegung verweigert Pejic sich konsequent. Die Zuordnung zu einem Geschlecht, das betont er immer wieder, ist ihm nicht wichtig. „Ich bin, wer ich bin.“ Entsprechend sagt er auch nicht, ob er sich von Männern oder von Frauen angezogen fühlt. Das Einzige, was er sich zu dem Thema entlocken lässt, ist die Feststellung, dass er nicht besonders sexuell sei. Entschieden hingegen ist er bei der Wahl öffentlicher WCs, da geht er zu den Damen. „Weil ich dort meine Haare machen kann. Gehe ich mal ins Männer-WC, gibt’s Probleme, weil sie finden, ich gehöre nicht hierher.“

Längst ist Andrej Pejic eines der gefragtesten Models der Welt, Marc Jacobs, Paul Smith und Thom Browne schmücken sich mit ihm, Starfotografen wie Steven Meisel und Juergen Teller holten ihn vor die Kamera. Im vergangenen Herbst empfing ihn gar die Queen, Pejic war Teil einer Gruppe berühmter Australier, die von Ihrer Majestät in den Buckingham Palace geladen wurden. Andrej Pejic erschien im engen Versace- Rock, dazu ein maskuliner Blazer, die Haare lang und glatt geföhnt. Man muss sich aber nur einmal die Kommentare anschauen, die im Netz zirkulieren, dann weiß man, dass er nicht überall hofiert wird. Das Männermagazin „FHM“ hat sich offiziell entschuldigt, nachdem einer seiner Autoren Pejic 2011 in einem Text als „Ding“ bezeichnet hatte. Die Leser hatten ihn zuvor bei der Wahl zu den „100 sexiest women in the world“ auf Platz 98 gewählt – offenbar sehr zum Missfallen des Autors. Er schrieb, Pejic mache sich Hoffnungen, für Victoria’s Secret modeln zu können. „Reicht mir die Kotztüte.“

In Deutschland wirbt Pejic seit diesem Frühsommer für Schuhe – und ist damit ganz im biederen Mainstream angekommen: Er spielt die Hauptrolle in TV-Spots für eine Tochterfirma des Versandhändlers Zalando. Da hält er wechselnde High Heels in die Kamera und haucht auf Deutsch: „Für die Diva in mir. Für die Rebellin in mir. Für die Träumerin in mir.“ Und dann, plötzlich in Jeans und festen Stiefeln: „Für den Mann in mir.“ Weibliche Models reagierten mit Neid auf ihn, sagt er. „Jede hat Angst, ersetzt zu werden. Einige von ihnen lassen mich spüren: Du bist keine Frau, du solltest uns die Jobs nicht wegnehmen.“ Männer hingegen, sagt er, sähen ihn nicht als Konkurrenz. „Für sie bin ich eher der Exot.“

Das Geheimnis seines Erfolgs? In wirtschaftlich harten Zeiten hätten die Labels kein Geld, um Models beider Geschlechter zu buchen, witzelte er mal. „Deshalb bin ich ein guter Deal.“ Die Wahrheit ist natürlich etwas weniger flapsig: „Ich muss doppelt so hart arbeiten wie die weiblichen Topmodels, um ernst genommen zu werden“, sagt er. „Es wird seine Zeit dauern, damit ich beweisen kann, ein gutes Model zu sein, ganz unabhängig vom Medienhype und meinem sehr speziellen Aussehen.“ Im Juli 2011 lief Pejic auf der Berliner Fashion Week für Michael Michalsky. Das Kollektionsthema, so der Designer, sei Toleranz. Und dabei ginge es „nicht nur um Toleranz zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen. Sondern auch um die zwischen unterschiedlichen Geschlechtern – und allem, was dazwischen liegt.“

Das Spiel mit den Geschlechtern beherrscht die Mode seit jeher, die Grenzen lösen sich seit Jahren auf, es gibt eine ganze Reihe transsexueller Models. Doch keiner beherrscht das Spiel so mühelos wie Pejic, der sich für ein Magazin in Marilyn Monroe verwandelt und sich überhaupt gar keine Mühe macht, die Beule in seiner Unterhose zu verbergen. Sein vielleicht größter Coup bisher: Das niederländische Kaufhaus Hema, nicht besonders bekannt für Extravaganzen, wählte ihn aus, um für einen neuen Mega-Push-up-BH zu werben. Mindestens zwei Körbchengrößen, so verspricht die Werbung, könne dieser BH hinzaubern. Im Fall von Pejic wirkte das ausnahmsweise sehr glaubhaft.